VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 12.12.2008 - 10 L 508/08.A - asyl.net: M14504
https://www.asyl.net/rsdb/M14504
Leitsatz:

Keine vorläufige Aussetzung der Überstellung eines irakischen Staatsangehörigen nach Schweden im Rahmen der Dublin II-Verordnung (Abänderung der Entscheidung des Einzelrichters); keine Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch Anhörung des Antragstellers.

Schlagwörter: Schweden (A), Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Abschiebungsanordnung, Drittstaatenregelung, Kettenabschiebung, Irak, Jesiden, Abänderungsantrag, Selbsteintrittsrecht, Anhörung, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Schweden,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 34a Abs. 2; AsylVfG § 27a; GG Art. 16a Abs. 2; VO Nr. 343/2003/EG Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag der Antragsgegnerin, "den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 23. Juli 2008 - 10 L 430/08.A - gemäß § 80 Abs. 7 VwGO aufzuheben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen" hat Erfolg.

Der Antrag ist unzulässig, weil die begehrte Aussetzung der beabsichtigten Abschiebung nach Schweden gegen das gesetzliche Verbot des § 34 a Abs. 2 AsylVfG verstößt. Nach dieser Bestimmung darf die hier in Rede stehende Abschiebung nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Gerade dies aber will der Antragsteller erreichen.

Die Bestimmung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist ihrem Wortlaut und ihrem Anwendungsbereich nach sowie hinsichtlich ihrer Rechtsfolge unmissverständlich. Anders als in dem Beschluss vom 23. Juli 2008 - 10 L 430/08.A - noch angenommen, führt auch die verfassungskonforme Auslegung auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (2 BvR 1938/93), BVerfGE 94, 49 ff, zur keinem anderen Ergebnis. [...]

Vorliegen ist keiner der vom Bundesverfassungsgericht erkennbar als abschließend gemeinten Fälle, die sich zudem noch aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängen müssen, gegeben:

- Dem Antragsteller droht in Schweden nicht die Todesstrafe.

- Der Antragsteller hat nicht etwa eine erhebliche konkrete Gefahr dafür aufgezeigt, dass er in unmittelbaren Zusammenhang mit der Zurückweisung oder Rückführung nach Schweden dort Opfer eines Verbrechens werde, welches zu verhindern nicht in der Macht Schwedens steht.

Im Gegensatz zu der vorläufigen Einschätzung im Beschluss vom 23. Juli 2008 ist nach nochmaliger Überprüfung nichts dafür erkennbar, dass sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse in Schweden "schlagartig" geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG noch aussteht.

- Für eine Ausnahmesituation, in der Schweden selbst gegen den Antragsteller zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, ist nichts ersichtlich.

- Schließlich liegt auch nicht der auch vom Bundesverfassungsgericht als seltener Ausnahmefall bezeichnete Fall vor, dass Schweden sich - etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat Irak - von seinen mit dem Beitritt zu den Konventionen eingegangenen und generell auch eingehaltenen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass es sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuches entledigt.

Als Mitglied der Europäischen Gemeinschaften zählt Schweden gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG kraft Verfassung zu den sicheren Drittstaaten. Die damit festgestellte Sicherheit des Asylbewerbers, der dort bereits einen Asylantrag gestellt hatte, ist nicht im Einzelfall zu überprüfen. Vielmehr schließt Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG für diesen Fall die Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG aus. Das Vorbringen des Antragstellers beim Bundesamt ist auch hinsichtlich weiterer Abschiebungsgründe nach § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthG von einer Prüfung regelmäßig ausgeschlossen.

Ein Sonderfall, der abweichend vom Wortlaut des § 34 a Abs. 2 AsylVfG eine ausnahmsweise Prüfung der Abschiebungsmaßnahme in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eröffnete liegt - entgegen der ersten summarischen Prüfung des Einzelrichters - nicht vor. Befürchtungen des Antragstellers, wonach Flüchtlinge in Schweden ohne eine Prüfung ihres Schutzgesuches oder unter Verweigerung des Schutzes der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, sind nach nochmaliger - nicht nur summarischer Prüfung - unbegründet. Schweden gehört mit zu den europäischen Ländern, die eine Vielzahl irakischer Staatsangehöriger aufgenommen hat und deren Asylanträge mit 70 % überwiegend positiv beschieden wurden (vgl. VG Sigmaringen, Beschluss vom 6. Oktober 2008 - A 2 K 1987/08 -, Abdruck S. 6).

Dass die schwedischen Gerichte den nach der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention gebotenen Schutz generell nicht gewährleisten, hat der Antragsteller nicht dargetan und drängt sich dem Gericht auch nicht aufgrund derzeit bekannter Tatsachen auf. Hinweise darauf sind auch dem eingereichten Schreiben des UNHCR vom 16. Oktober 2008 nicht zu entnehmen. Aus dieser Erkenntnis folgt vielmehr - im Gegensatz zum Beschluss vom 23. Juli 2008 -, dass Abschiebungen nach erfolgter Prüfung der schwedischen Asylbehörden nicht nur in den Zentralirak erfolgen, sondern auch in den Süd- oder - was hier maßgeblich ist - auch in den Nordirak. Zwar bestünden dort Schwierigkeiten und die Flugverbindungen zwischen Stockholm und Erbil seien eher unregelmäßig und unzuverlässig, gleichwohl finden sie nach Auskunft des UNHCR statt. Dies deckt sich auch mit dem Vorbringen der Antragsgegnerin und der Auskunft des schwedischen Liasonsbeamten bei der Antragsgegnerin.

Schweden hat sich aufgrund seiner nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand bejahten Zuständigkeit zur Rückübernahme des Antragstellers bereit erklärt. Es ist hier auch nicht deshalb unzuständig geworden, weil die Antragsgegnerin von ihrem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung (VO) eingeräumten Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht hätte. [...]

Die bloße Anhörung eines Asylbewerbers stellt aber noch keine die Rechtsfolge des § 3 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung auslösende Prüfung im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung dar. Was unter der "Prüfung eines Asylantrags" im Sinne der Verordnung zu verstehen ist, wird durch Artikel 2 Buchstabe e) der Verordnung legaldefiniert: "Prüfung eines Asylantrags" ist danach die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge, der Entscheidungen bzw. Urteile der zuständigen Stellen in Bezug auf einen Asylantrag gemäß dem einzelstaatlichen Recht, mit Ausnahme der Verfahren zu Bestimmung des zuständigen Staates gemäß dieser Verordnung. Ist hier also die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge und auch deren Ergebnis in Gestalt von Entscheidungen oder gar von Urteilen in den Blick zu nehmen, so kann in der bloßen Anhörung des Asylbewerbers - auch wenn diese über Fragen nach dem Reiseweg hinausgehen sollte - nicht schon die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts gesehen werden. Eine solche wäre erst dann anzunehmen, wenn die Antragsgegnerin im Wege einer Entscheidung zu einer inhaltlichen Bewertung der Anhörung der Antragstellerin gelangt wäre, die sich mit dem Vorbringen der Antragstellerin im Einzelnen in der Sache auseinandergesetzt hätte. Diese Voraussetzung ist aber nicht erfüllt.

Aus dem bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Juli 2008, ist vielmehr eindeutig zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig betrachtet, da Schweden aufgrund ihres mit Schreiben vom 30. Juni 2008 erteilten Einverständnisses gemäß Art. 16 Abs. 1 c Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.

[...]