Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG nach Burundi wegen HIV-Infektion im Stadium C2.
Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG nach Burundi wegen HIV-Infektion im Stadium C2.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Im Übrigen ist die zulässige Klage der Klägerin zu 1.) begründet. Sie hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Hinblick auf die HIV-Erkrankung das Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für Burundi feststellt. [...]
Der erkennende Richter folgt hinsichtlich der Einschätzung der medizinischen Versorgungslage der WHO-Studie vom 29.07.2008. Diese basiert auf umfangreichem Zahlenmaterial und ist nachvollziehbar. Sie beleuchtet auf 18 Seiten die Gesamtproblematik von HIV und AIDS in Burundi. Zudem wird erklärt, wie die zu Grunde gelegten Zahlen ermittelt wurden (S. 5 und 11 der WHO-Studie). Auf Seite 12 wird dargestellt, dass im Jahr 2007 insgesamt geschätzte 47.000 Personen eine antiretrovirale Therapie benötigten ("Estimated number of people needing antiretroviral therapy"). Weiter wird dort ausgeführt, dass für das Jahr 2007 lediglich 23 % der Bedürftigen eine antiretrovirale Therapie erhielten ("Estimated antiretroviral therapy coverage"). Es wird auch deutlich, dass seit 2004 die Zahl der Bedürftigen kontinuierlich leicht gesunken ist, wobei gleichzeitig mehr erkrankte Personen eine Therapie erhielten. So lag im Jahr 2004 der prozentuale Anteil der erkrankten Personen, die tatsächlich eine entsprechende Therapie erhielten, nur bei 6 %. Grund für die geschilderte Verbesserung mag ein ab 2004 von der Regierung Burundis initiiertes Gesundheitsprogramm sein. Ziel des Programms ist es, der Bevölkerung nahezu kostenfrei die nötigen Medikamente zur Verfügung zu stellen. Auf der Basis der vorliegenden Zahlen ergibt sich seit 2004 lediglich eine Verbesserung der Versorgungsrate auf sehr niedrigem Niveau. Die WHO-Studie vom 29.07.2008 ist zum einen aktuelleren Datums als die Auskunft des Auswärtigen Amtes und sie stützt sich zum anderen auf eine wesentlich breitere Datenbasis. Dagegen beschränkt sich die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 25.06.2007 im Wesentlichen auf die Angabe, die HIV-Infektion sei in Burundi behandelbar und bei Mittellosigkeit der Patienten erhielten etwa 90 % der Patienten eine kostenfreie Behandlung. Weitere Erklärungen und Ausführungen fehlen schlicht. Aufgrund der langjährigen Erfahrungen der internationalen Organisationen WHO, UNAIDS sowie UNICEF kann die erforderliche Beurteilungskompetenz hinsichtlich der Lage in Burundi angenommen werden. Die in der Studie enthaltenen Daten wurden über mehrere Jahre (seit 2004) gesammelt und ausgewertet. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes scheint hingegen auf der Beurteilung lediglich eines einzelnen Arztes zu basieren. Es ist nicht ersichtlich, woraus dieser seine Kenntnisse bezieht und weshalb seine Angaben gegenüber der WHO-Studie aussagekräftiger sein sollten. Aus diesen Gründen ist die WHO-Studie gegenüber der Auskunft des Auswärtigen Amtes aber auch gegenüber den Schätzungen der GTZ - die ebenfalls einen sehr schlechten Versorgungsstand beschreiben - vorzugswürdig.
Ausgehend von einer Versorgungsrate in der Größenordnung von 23 % aller Bedürftigen kann unterstellt werden, dass die Klägerin zu 1.) nach dem derzeitigen Status ihrer HIV-Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland eine lebensbedrohenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes erleiden wird. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass gerade die Klägerin zu 1.) als schwer kranke Rückkehrerin nach vier Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik zu dem Kreis derjenigen Personen gehören wird, dem eine adäquate medizinische Versorgung zu Teil wird. Die Versorgungsrate von 23 % belegt eine eklatant schlechte Versorgungslage.
Für den Fall des Ausbleibens der medizinischen Versorgung hat Herr Dr. ... in seinem Attest vom 13.11.2008 eine Prognose abgegeben: Es ist bei der Klägerin zu 1.) mit schweren gesundheitlichen Folgen zu rechnen. Eine Reaktivierung der Tuberkulose ist möglich, aber auch das Auftreten anderer opportunistischer Infektionen wie auch Neoplasien (Tumore). Die HIV-Infektion der Klägerin befindet sich nach dem zuletzt vorgelegten ärztlichen Attest vom 13.11.2008 bereits in dem Stadium C2 der internationalen Klassifikation. [...]
Nach Überzeugung des erkennenden Richters kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Ehemann der Klägerin zu 1.) die notwendige medizinische Versorgung für die Klägerin zu 1.) und deren jüngste - ebenfalls HIV-positive - Tochter sichern kann. Es dürfte aufgrund der immer noch desolaten politischen und wirtschaftlichen Lage (vgl. Länderinformation des Auswärtigen Amtes im Internet, Stand März 2006 und November 2008) sehr schwierig für den Ehemann der Klägerin zu 1.) sein, trotz seiner guten Ausbildung eine Arbeit zu finden. Die jahrelangen internen Spannungen und blutigen Auseinandersetzungen seit 1993 und ein zeitweises Wirtschaftsembargo haben dazu geführt, dass Burundi eines der ärmsten Länder der Welt ist (Platz 167. von 177. im UN-Human Development Index 2007/08). Etwa zwei Drittel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, 80-90 % der Bevölkerung muss mit weniger als einem US-Dollar pro Woche auskommen. Burundi wurde von dem rasanten Anstieg der Lebensmittel- und Treibstoffpreise erheblich betroffen. Die Inflation hat zu einer weiteren Verschlechterung der Einkommensverhältnisse der Bevölkerung geführt. Hunger, Aids und armutsbedingte Krankheiten wie Tuberkulose sind weit verbreitet. Die Wiedereingliederung von etwa einer Million Vertriebenen und Flüchtlinge in ein schon jetzt überbevölkertes Land stellt das Land vor enorme Herausforderungen. Die Landknappheit aufgrund von Überbevölkerung stellt eines der Hauptprobleme dar. Etwa 90 % der Bevölkerung lebt traditionell von Ackerbau und Viehzucht sowie in den Städten vom informellen Sektor. 70 % der Agrarproduktion wird von Frauen erbracht. Der Privatsektor kann sich wegen bürokratischer und politischer Hemmnisse sowie infolge Korruption nur schwer entwickeln (vgl. Länderinformation des Auswärtigen Amtes zur Wirtschaftspolitik, Stand: November 2008). Der Ehemann der Klägerin zu 1.) dürfte mit der medizinischen Versorgung der Klägerin zu 1.) und der am 10.04.2008 geborenen Tochter angesichts dieser Lage überfordert sein. Es ist darüber hinaus problematisch, allein auf den Ehemann als "Versorger" abzustellen, denn dieser könnte als "Versorger" ausfallen oder sich möglicherweise auch der schwierigen familiären Situation entziehen wollen. Die Klägerin zu 1.) ist angesichts ihres schlechten Gesundheitszustandes ebenfalls außer Stande, selbst die finanziellen Mittel für die medizinische Versorgung zu erwirtschaften. [...]