OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.12.2008 - 18 B 1836/08 - asyl.net: M14514
https://www.asyl.net/rsdb/M14514
Leitsatz:

Analphabetismus ist kein Grund, von den gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Deutschkenntnissen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung abzusehen.

 

Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, Aufenthaltserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Sprachkenntnisse, Alter, Schwerhörigkeit, Analphabeten, Verfassungsmäßigkeit
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 5
Auszüge:

Analphabetismus ist kein Grund, von den gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Deutschkenntnissen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung abzusehen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Beschwerde ist zunächst einmal erfolglos, soweit mit ihr Abschiebungsschutz bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG geltend gemacht wird.

Nach ständiger Senatsrechtsprechung kann zwar für die Dauer eines Erteilungsverfahrens für eine Aufenthaltserlaubnis ausnahmsweise durch eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung erwirkt werden, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugute kommt, wobei das Vorliegen der Voraussetzungen glaubhaft zu machen ist. In diesem Fall ist zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, wonach die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus gesetzessystematischen Gründen ausscheidet, wenn ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG (bzw. zuvor § 69 AuslG) nicht eingetreten ist (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 20. April 1999 – 18 B 1338/97 –, InfAuslR 1999, 449), was auch für die hier in Rede stehende Regelung des § 104 a Abs. 1 AufenthG gilt (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2008 – 18 B 230/08 –, InfAuslR 2008, 211). [...]

Soweit die Antragstellerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (gemeint ist wohl der Beschluss vom 11. Februar 2008 – 2 BvR 2575/07 –, InfAuslR 2008, 240) der Ansicht ist, vorläufiger Rechtsschutz sei bei einer oberstgerichtlich nicht geklärten Rechtsfrage zu gewähren, und sie eine solche in der Regelung zu den hinreichenden mündlichen Deutschkenntnissen im Sinne von § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sieht, ist ihr nicht zu folgen. Im Hinblick auf die Anforderung nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bestehen im Grundsatz verfassungsrechtliche Bedenken nicht. Die Vorschrift dient dem legitimen Zweck sicherzustellen, dass die Integration des Begünstigten in Deutschland hinreichend gewährleistet ist, wofür Deutschkenntnisse eine wesentliche Voraussetzung sind. Fällen, in denen solche Kenntnisse aus bestimmten Gründen nicht erworben werden können, trägt § 104a Abs. 1 Satz 5 AufenthG Rechnung. Ob letztere Vorschrift eingreift, ist eine Frage des Einzelfalls, so dass es diesbezüglich keiner grundsätzlichen Klärung bedarf.

Erfolglos beruft sich die Antragstellerin ferner auf die auf Altersgründen beruhende Ausnahmeregelung in § 104 a Abs. 1 Satz 5 AufenthG. Diesbezüglich fehlt es bereits an der gebotenen Glaubhaftmachung des Umstandes, dass die fünfzigjährige Antragstellerin die geforderten Deutschkenntnisse aus Altersgründen nicht erfüllen kann. Einer Glaubhaftmachung bedurfte es hier vor allem auch deshalb, weil von Personen im Alter der Antragstellerin regelmäßig erwartet werden kann, dass ihnen das Erlernen der deutschen Sprache (noch) möglich ist.

Ebenso wenig hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass infolge einer bei ihr bestehenden Schwerhörigkeit nach der vorgenannten Norm von der Erfüllung des Erfordernisses der Deutschkenntnisse abzusehen sei. Die von ihr hierzu vorgelegte ärztliche Bescheinigung der Dres. P. und P1. vom 22. November 2008 verhält sich hierzu nicht annähernd. [...]

Soweit sich die Antragstellerin schließlich noch auf ihren Analphabetismus und die daraus resultierenden Erschwernisse beim Erlernen der deutschen Sprache beruft, macht sie einen Umstand geltend, der von der Ausnahmeregelung in § 104 a Abs. 1 Satz 5 AufenthG nicht erfasst wird und auch sonst im Rahmen des § 104 a Abs. 1 AufenthG keine Berücksichtigung finden kann. Nach der gesetzlichen Wertung wird von dem Erfordernis der Deutschkenntnisse nur abgesehen, wenn der Ausländer diese Voraussetzung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann (§ 104 a Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Diese restriktive Handhabung entspricht der Intention des Gesetzgebers. In den Genuss der gesetzlichen Altfallregelung sollen nur die ausreisepflichtigen Ausländer gelangen, die seit Jahren geduldet und hier wirtschaftlich und sozial integriert sind (vgl. BT-Drucks. 16/5065, S. 202; so auch OVG NRW, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 17 E 1349/08 –). [...]