VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 26.11.2008 - 6 K 1742/08.A - asyl.net: M14524
https://www.asyl.net/rsdb/M14524
Leitsatz:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung eines türkischen Staatsangehörigen wegen Unterstützung der PKK.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Unterstützung, PKK, Folter, menschenrechtswidrige Behandlung, Reformen, Menschenrechtslage
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung eines türkischen Staatsangehörigen wegen Unterstützung der PKK.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. [...]

Die materiellen Voraussetzungen für den mit Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides erfolgten Widerruf der Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG (heute: Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG –) besteht, liegen nicht vor. [...]

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in der Türkei derart geändert hätten, dass dem Kläger derzeit nicht mehr – wie vom Verwaltungsgericht Köln im Urteil vom 3. September 1993 angenommen – bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. zu dem im Widerrufsverfahren anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerwG, Urteil vom 24. November 1992 – 9 C 3/92 –, juris, und das Kammerurteil vom 26. März 2008 im Verfahren 6 K 1094/07.A, Rn. 27 ff.) droht, dass er verhaftet und als aktiver Unterstützer der PKK menschenrechtswidriger Behandlung unterzogen wird.

Denn anders als das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid ausführt, haben sich die im Zeitpunkt der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei nicht nachträglich und nicht nur vorübergehend so erheblich verändert, dass für den Kläger die Gefahr einer menschenrechtswidriger Behandlung wegen seiner politischen Einstellung insgesamt entfallen ist.

Trotz der umfassenden Reformbemühungen, insbesondere der "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Folter, kommt es in der Türkei weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen asylerheblicher Art und Intensität – namentlich zu Folter nach Festnahmen – die dem türkischen Staat zurechenbar sind. Die in der Türkei durchgeführten Reformen und die dadurch erfolgten tatsächlichen gesellschaftlichen Veränderungen lassen sich vor diesem Hintergrund nicht als ein so tief greifender Wechsel des politischen Systems einstufen, dass derzeit keine politische Verfolgung mehr zu befürchten ist. Türkischen Staatsangehörigen, die wie der Kläger individuell als Anhänger und aktive Unterstützer der kurdischen Sache in das Blickfeld der türkischen Sicherheitsbehörden geraten sind, droht deshalb auch gegenwärtig politische Verfolgung (vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. März 2007 – 8 A 4728/05.A –, Rn. 60; VG Aachen, Urteile vom 23. April 2008 – 6 K 1140/07 –, juris, vom 26. März 2008 – 6 K 1094/07.A –, Rn. 55 ff. und vom 22. Oktober 2007 – 6 K 1309/06.A –, Rn. 25). [...]