VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 19.11.2008 - AN 19 E 08.30406 - asyl.net: M14525
https://www.asyl.net/rsdb/M14525
Leitsatz:

Es ist durch das Konzept der normativen Vergewisserung ausgeschlossen, die Überstellung eines Asylsuchenden nach Griechenland im Rahmen des Dublin-Verfahrens wegen der dortigen Verhältnisse im Wege des Eilrechtsschutzes auszusetzen.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Griechenland (A), Abschiebungsanordnung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache, Verordnung Dublin II, Selbsteintrittsrecht, Drittstaatenregelung, Verfassungsmäßigkeit, normative Vergewisserung, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 34a Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; VO Nr. 343/2003/EG Art. 3 Abs. 2; VO Nr. 343/2003/EG Art. 15; AsylVfG § 27a; AsylVfG § 26a; GG Art. 16a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Ohne Erfolg bleiben auch die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen dahingehend, dass ein Asylverfahren durchgeführt, von einer Abschiebung nach Griechenland abgesehen und dem Antragsteller eine Duldung erteilt wird.

Dahinstehen kann vorliegend die Antwort auf die Frage, ob zielführend hier wegen § 123 Abs. 5 VwGO nur ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sein könnte, nachdem zwischenzeitlich bzw. am 18. November 2008 dem Antragsteller wohl eine Abschiebungsanordnung gemäß § 34 a Abs. 1 AsylVfG zugestellt worden sein dürfte, welche allerdings dem Gericht nicht vorliegt. Es kann sich nämlich sowohl bei Auslegung der gestellten Anträge als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als auch bei förmlicher Umstellung kein Erfolg des Begehrens ergeben.

Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zu (auch nur vorläufiger) Verpflichtung zur Durchführung eines Asylverfahrens mit sachlicher Verbescheidung scheidet als unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache generell aus bzw. es kommt in derartigen Fällen nur eine Untersagung der Abschiebung in Betracht (§ 123 VwGO) oder eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer (ggf. noch zu erhebenden) Klage gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG (§ 80 Abs. 5 VwGO).

Begehrt hat der Antragsteller mit seinem Eilantrag außerdem die Untersagung einer Abschiebung nach Griechenland und des Weiteren (dem Wortlaut nach) "hilfsweise", dass dem Antragsteller eine Duldung erteilt wird. Zu erkennen ist dieses Begehren als Begehren auf Aussetzung der Abschiebung durch das Gericht im Sinn des § 34 a Abs. 2 AsylVfG. Die Anträge zur Aussetzung der Abschiebung waren abzulehnen, wobei es dahinstehen kann, ob die Bundesrepublik Deutschland als Antragsgegner insoweit überhaupt passiv legitimiert ist, da nämlich die – nunmehr für den ... terminierte – Abschiebung durch eine Ausländerbehörde des Freistaats Bayern erfolgen soll und auch eine ausländerrechtliche Duldung nur durch eine (Landes-) Ausländerbehörde zu erteilen wäre. Der Aussetzungsantrag muss nämlich schon deswegen ohne Erfolg bleiben, weil § 34 a Abs. 2 AsylVfG eine stattgebende Entscheidung ausdrücklich verbietet.

Zunächst liegen hier die Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 AsylVfG vor, dass nämlich der Antragsteller in den gemäß § 27 a AsylVfG für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, nämlich nach Griechenland, wobei Griechenland im Übrigen auch ein sicherer Drittstaat im Sinn des § 26 a AsylVfG ist, aus welchem der Antragsteller – über andere Länder – nach Deutschland eingereist ist. [...] Von einem Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland im Weg der Art. 3 Abs. 2 oder Art. 15 Dublin II-VO ist vorliegend nicht auszugehen. Ein solcher Selbsteintritt ist nicht erfolgt und es liegen auch nicht die sachlichrechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Selbsteintritt vor. Ein derartiger Selbsteintritt unterläge im Übrigen bestimmten Verfahrensvorschriften, von deren Einhaltung der vorliegende Sachverhalt weit entfernt ist, zumal ja vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgenommen wurde. Deswegen kann auch die Antwort auf die Frage dahinstehen, ob und ggf. inwieweit die Selbsteintrittsklauseln der Dublin II-VO subjektive Rechte von Asylbewerbern enthalten bzw. enthalten können.

Das Bundesamt hat nunmehr augenscheinlich eine Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland angeordnet und es steht in nicht zu bezweifelnder Weise fest, dass sie (im Sinn des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) durchgeführt werden kann. Da also die Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 AsylVfG vorliegen, ergibt sich für das Gericht das gesetzliche Verbot, die vorgesehene Abschiebung auszusetzen (§ 34 a Abs. 2 AsylVfG). Dies gilt auch und insbesondere im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 zu insbesondere der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen des Asylrechts über sichere Drittstaaten. Geltend gemacht hat der Antragsteller zu den (seinen Angaben nach fehlenden) Möglichkeiten der Gewährung von Flüchtlingsschutz in Griechenland im Wesentlichen, dass Griechenland allgemein – wie auch in seinem Einzelfall – asylrechtlichen bzw. Flüchtlingsschutz nicht gewährt, vor allem im Hinblick auf verfahrensrechtliche Gewährleistungen, die sich aus Vorschriften des europäischen Rechts ergeben. Insoweit wurde darauf hingewiesen, dass sich die Lage infolge stark angestiegener Asylbewerberzahlen in den letzten Jahren drastisch verschärft habe. Dieser Vortrag rechtfertigt kein Abweichen von dem gesetzlichen Verbot des § 34 a Abs. 2 AsylVfG. Die Lage von Deutschland nach Griechenland zurück überstellter Asylbewerber unterliegt nicht der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, da Griechenland kraft Verfassung als Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften ein sog. "sicherer Drittstaat" ist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG). Offensichtlich nicht mit Erfolg könnte sich der Antragsteller darauf berufen, dass Griechenland seit jeher nicht wenigstens tatsächlich die Möglichkeit geboten habe, ein Schutzersuchen zu stellen (siehe die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.5.1996 zu Grunde liegende Konstellation im Fall der dortigen Beschwerdeführerin zu 1). In Abweichung von dem strikten gesetzlichen Verbot des § 34 a Abs. 2 AsylVfG wäre Schutz vor einer Abschiebung allerdings dann zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet würden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des "Konzepts normativer Vergewisserung" von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden könnten und damit von vornherein außerhalb der Grenzen der Durchführung eines solchen Konzepts lägen. Eine derartige Konstellation liegt aber nicht vor. Die vorgetragenen Umstände, an deren Darlegung im Übrigen strenge Anforderungen zu stellen sind, liegen gerade nicht außerhalb des Konzepts der normativen Vergewisserung. Soweit es sich um die Würdigung der allgemeinen Verhältnisse für Asylbewerber in Griechenland handelt, hat das Bundesverfassungsgericht den "Fall in Betracht (gezogen), dass sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht". Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht die Konstellation angesprochen, dass ein durch die Anlage I zum Asylverfahrensgesetz (§ 26 a Abs. 2 AsylVfG) zum sicheren Drittstaat bestimmter Staat auf Grund schlagartiger Änderung der Verhältnisse nicht mehr als sicher im genannten Sinn angesehen werden kann, hierauf die Bundesregierung durch eine Rechtsverordnung nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG reagieren müsste und aber (noch) nicht reagiert hat, wobei aber eine entsprechende Rechtsverordnung nur für längstens sechs Monate gilt. Mithin ist dem Gesetzgeber letztlich eine Frist von sechs Monaten dafür eingeräumt, bei weiterbestehender Änderung der maßgeblichen rechtlichen und politischen Verhältnisse die Anlage I zum Asylverfahrensgesetz in der erforderlichenWeise anzupassen. Etwas anders verhält es sich im Fall der Republik Griechenland, die als Mitgliedsstaat der Europäischen Union kraft Verfassung sicherer Drittstaat ist bzw. nicht einmal der Disposition des (einfachen) Gesetzgebers zur Einstufung als sicherer Drittstaat untersteht, bezüglich dessen Abschiebungen durch das Gericht nicht ausgesetzt werden dürfen. Von daher stellt sich schon die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht überhaupt im Fall einer Änderung der politischen Verhältnisse in einem EU-Staat einen Ausnahmefall dahingehend als möglich erachtet hätte, dass die Gerichte trotz § 34 a Abs. 2 AsylVfG Schutz vor Abschiebung gewähren können. Selbst wenn man aber den Gerichten zubilligen wollte, nicht nur bei Änderung der Verhältnisse in sicheren Drittstaaten gemäß der Anlage I zu § 26 a AsylVfG die jeweilige Lage eigenständig zu würdigen, sondern auch bei EU-Staaten, die unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind, so kommt eine Gewährung von Abschiebungsschutz im Eilverfahren im hier vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Verhältnisse in Griechenland haben sich nicht derart entwickelt, dass es dem Gericht erlaubt bzw. für das Gericht geboten wäre, eigenständig über die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu befinden und danach seine Entscheidung auszurichten. Es liegt nicht annähernd eine Konstellation der Art vor, die den vom Bundesverfassungsgericht angeführten Fällen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gleich steht, also gleichfalls eine Nichtanwendung von § 34 a Abs. 2 AsylVfG gebietet. Insoweit ist maßgebend, dass über die Behandlung von Asylbewerbern durch die griechischen Behörden nun im Grunde schon seit Jahren – und durchaus kontrovers – diskutiert wird, nachdem sich in tatsächlicher Hinsicht durch einen drastischen Anstieg der Asylbewerberzahlen mindestens erhebliche praktische Schwierigkeiten ergeben haben, Asylverfahren in angemessener Weise durchzuführen. In diese Richtung läuft auch der Vortrag des Antragstellers und dem entspricht die für ihn eingereichte Petition zum Bundestag. Die einschlägigen Fakten sind bekannt und insbesondere trifft es wohl zu, dass im Januar 2008 von der EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland eingeleitet worden ist. Damit wird seitens des Antragstellers in den Raum gestellt, dass sich die für die Qualifizierung aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften als sicher maßgeblichen Verhältnisse in Griechenland in einer Weise geändert haben, dass Griechenland nicht sicher im Sinn des Grundgesetzes ist. Es kann dahinstehen, ob von einer Sicherheit in Griechenland in diesem Sinn vorliegend in tatsächlicher Hinsicht noch ausgegangen werden kann, da jedenfalls keine Veränderung derart vorliegt, dass hierauf nicht vom (verfassungsändernden) Gesetzgeber reagiert werden konnte. Mit anderen Worten liegt die weitere Einstufung (auch) Griechenlands als sicherer Drittstaat durch die Verfassung innerhalb des Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung, weil es aus Sicht des erkennenden Gerichts und in Fortführung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 14.5.1996, RdNr. 189 in juris) ausschließlich eine Aufgabe der Legislative ist, die Einstufung eines Staats als sicherer Drittstaat aufzuheben. Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn eine schlagartige Veränderung der Verhältnisse festzustellen wäre, wie z.B. bei einem Militärputsch. Zu konstatieren ist vorliegend aber (allenfalls) eine schleichende Veränderung der Verhältnisse, deren Beurteilung dem Gericht wegen § 34 a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Art. 16 a Abs. 2 Satz 3 GG verwehrt ist. [...]