VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 30.10.2008 - 5 CS 08.2608 - asyl.net: M14543
https://www.asyl.net/rsdb/M14543
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Beschwerde, Begründung, Begründungsfrist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Fax, Rücknahme, Einbürgerung, Mehrehe, Kinderehe
Normen: VwGO § 146 Abs. 4; VwGO § 60 Abs. 1; VwVfG § 48
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Sie ist unzulässig und wäre im Übrigen auch unbegründet.

1. Die Beschwerde wurde zwar fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses am 4. September 2008 beim Verwaltungsgericht eingelegt, aber nicht rechtzeitig begründet. Sie ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO). [...]

Dem Antragsteller kann keine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist nach § 60 Abs. 1 VwGO gewährt werden. Denn die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das der Antragsteller sich zurechnen lassen muss (§ 173 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO).

Der Prozessbevollmächtigte hat geltend gemacht (Schriftsätze vom 8.10. und 22.10.2008): Am letzten Tag der Begründungsfrist habe er von einer Auslandsreise wider Erwarten nicht bereits zur Mittagszeit zurückkehren können, sondern erst am Abend. Er habe daher seine Rechtsanwaltsgehilfin gebeten, sich für die Zeit zwischen 20.30 und 23 bis 24 Uhr bereitzuhalten. Weiter habe er beim Verwaltungsgerichtshof telefonisch die Bestätigung einholen lassen, dass das Telefaxgerät des Gerichts während der Abendstunden empfangsbereit geschaltet sei. Er habe dann die Begründungsschrift in den Abendstunden gefertigt und gegen 22.20 Uhr unterzeichnet. Ab diesem Zeitpunkt habe sich sodann die Rechtsanwaltsgehilfin "über den Zeitraum nahezu einer Stunde hinweg" bemüht, die Begründungsschrift auf dem Faxwege an den Verwaltungsgerichtshof zu übertragen. Sämtliche Übertragungsversuche seien jedoch fehlgeschlagen. Die Übertragungsprotokolle hätten den Vermerk "Sendung nicht erfolgreich abgeschlossen; besetzt/keine Antwort" enthalten. Schließlich habe seine Rechtsanwaltsgehilfin die Sendeversuche aufgegeben. Zur Bestätigung hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Kopie eines Fehlerberichts vorgelegt, wonach ein Übermittlungsversuch an den Verwaltungsgerichtshof um 22.56 Uhr gescheitert ist.

Dieses Vorbringen kann eine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist nicht rechtfertigen. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte einen zulässigen Weg der Einreichung fristgebundener Schriftsätze gewählt, indem er den Versuch unternommen hat, die etwa eine Stunde und 40 Minuten vor Ablauf der Frist gefertigte Beschwerdebegründung mittels Telefax an den Verwaltungsgerichtshof zu übermitteln. Wird dieser Übermittlungsweg durch ein Gericht eröffnet, so dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittel herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Das gilt im Besonderen für Störungen des Empfangsgerätes im Gericht, denn in diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristsäumnis in der Sphäre des Gerichts. Der Nutzer hat mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24.00 Uhr zu rechnen ist (vgl. etwa BVerfG, B.v. 11.5.2005 – 2 BvR 526.05 – NJW 2006, 829 und BVerwG, B.v. 13.11.1996 – 7 B 304.96 Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 206, jeweils m.w.N.). Nach diesem Maßstab muss der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers sich ein schuldhaftes Versäumen der Begründungsfrist vorwerfen lassen.

Das Telefaxgerät des Verwaltungsgerichtshofs war im fraglichen Zeitraum funktionsfähig und empfangsbereit; denn ausweislich des den Beteiligten bekannten Faxjournals sind an diesem Gerät in den Abendstunden des 6. Oktober 2008 mehrere Sendungen, zuletzt um 23.40 Uhr ordnungsgemäß entgegengenommen worden. Allerdings spricht einiges dafür, dass das Gerät ab 21.09 Uhr durch die Übermittlung eines anderweitigen umfangreichen Schriftsatzes für nahezu 113 Minuten, also bis etwa 23.02 Uhr belegt war; dementsprechend hat das Sendegeräte des Prozessbevollmächtigten bei dem Übermittlungsversuch um 22.56 Uhr im Fehlerbericht die Meldung "besetzt/keine Antw." ausgegeben. Eine solche Belegung stellt indes keine technische Störung dar, die dem Rechtsmittelführer nicht angelastet werden könnte, sondern ein gewöhnliches Ereignis, auf das sich ein Rechtsuchender einstellen muss; denn gerade die Abend- und Nachtstunden werden wegen günstigerer Tarife oder wegen drohenden Fristablaufs genutzt, um Schriftstücke fristwahrend per Telefax zu übermitteln (BVerfG, B.v. 16.4.2007 – 2 BvR 359.07 – NJW 2007, 2838). Der Rechtsuchende muss diesem Umstand im Hinblick auf die ihm obliegende Sorgfaltspflicht durch eine ausreichend bemessene Zeitreserve Rechnung tragen, die er dann bei Bedarf auch ausschöpfen muss und Übermittlungsversuche bei Belegung des gerichtlichen Empfangsgerätes nicht zu früh abbrechen darf. Das wurde nicht ausreichend beachtet. Denn die Versuche, den um 22.20 Uhr fertig gestellten Begründungsschriftsatz zu versenden, sind nach dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten bereits nach "nahezu einer Stunde", also spätestens um 23.20 Uhr, beendet und nicht bis zum Fristende um 24.00 Uhr fortgesetzt worden. Eine vollständige Ausschöpfung der Frist hätte sich aber schon mit Blick auf die späte Fertigung des Schriftsatzes aufdrängen müssen und war auch ohne weiteres zumutbar; das gilt umso mehr, als die Rechtsanwaltsgehilfin sich zuvor beim Verwaltungsgerichtshof telefonisch vergewissert hatte, dass das Telefaxgerät des Gerichts auch abends empfangsbereit ist. Dieses Verschulden trifft den Prozessbevollmächtigten selbst, nicht (allein) seine Mitarbeiterin. Er hätte nach Unterzeichnung des Schriftsatzes um 22.20 Uhr in Kenntnis des unmittelbar bevorstehenden Fristablaufs die weitere Vorgehensweise zum Versand an das Gericht ausdrücklich vorgeben müssen und insbesondere die Entscheidung darüber, bis wann die Übermittlung per Telefax zu versuchen ist, nicht seiner Mitarbeiterin überlassen dürfen. Dass er entsprechende Anordnungen im Einzelfall oder aber allgemein im Rahmen der Büroorganisation erteilt hat, wurde nicht geltend gemacht. Damit ist zumindest von einem schuldhaften Organisationsmangel auszugehen.

2. Die Beschwerde wäre aber auch in der Sache wohl ohne Erfolg geblieben. [...]

Mit dem Verwaltungsgericht ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Hauptsacheklage voraussichtlich abzuweisen sein wird, weil die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Einbürgerung vorliegen und die behördliche Ermessensausübung nicht zu beanstanden ist (zur Rücknahme einer Einbürgerung wegen Doppelehe bei "Kinderehe" nach pakistanischem Recht auch BayVGH, U.v. 4.5.2005 – 5 B 03.1371 <juris> und nachfolgend BVerwG, B.v. 29.3.2006 – 5 B 78.05). Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Rücknahme der am 17. Juli 2003 erfolgten Einbürgerung des Antragstellers noch zeitnah erfolgt, sodass Art. 48 BayVwVfG eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Rechtsgrundlage für Rücknahme einer vom Eingebürgerten erschlichenen Einbürgerung darstellt (vgl. BVerfG, U.v. 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 – BVerfGE 116, 24/52 ff.). "Zeitnah" in diesem Sinne ist nach dem jüngst ergangenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2008 – 5 C 32.07 (<RdNrn. 18 ff.>) die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde. Diesen Zeitraum hat die Staatsangehörigkeitsbehörde mit ihrem Rücknahmebescheid vom 10. Juli 2008 noch eingehalten. [...]