VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 24.10.2008 - 10 CS 08.2339 - asyl.net: M14556
https://www.asyl.net/rsdb/M14556
Leitsatz:

Die Notwendigkeit der Überwachung eines ausgewiesenen Ausländers gem. § 54 a AufenthG kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung rechtfertigen; eine Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG setzt voraus, dass eine gegenwärtige Gefährlichkeit des Ausländers besteht (hier verneint).

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Sofortvollzug, Suspensiveffekt, Überwachung ausgewiesener Ausländer, Verdacht der Unterstützung, Terrorismus, Wiederholungsgefahr
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 2; AufenthG § 84 Abs. 2; AufenthG § 54a Abs. 1; AufenthG § 54a Abs. 2; AufenthG § 54 Nr. 5
Auszüge:

Die Notwendigkeit der Überwachung eines ausgewiesenen Ausländers gem. § 54 a AufenthG kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung rechtfertigen; eine Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG setzt voraus, dass eine gegenwärtige Gefährlichkeit des Ausländers besteht (hier verneint).

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Beschwerde ist nur teilweise begründet. Soweit sie die sofortige Vollziehung der Ausweisung betrifft, hat sie Erfolg, weil Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bestehen, soweit sie die Versagung eines Aufenthaltstitels betrifft, bleibt sie erfolglos.

Gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung, um die Folgen des § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG auszulösen, bestehen dagegen keine grundsätzlichen Bedenken. Zwar ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisungsverfügung zur Durchsetzung der Verlassenspflicht nicht zulässig, wenn eine Abschiebung – wie hier – nicht möglich ist (s. dazu BayVGH vom 11.2.2004 InfAuslR 2004, 244). Im vorliegenden Fall kann jedoch aus den folgenden Gründen der Sofortvollzug der Ausweisung in Betracht kommen.

Die Ausweisung ist ein statusbestimmender Verwaltungsakt, der den Aufenthaltsstatus eines Ausländers für im Bundesgebiet "unerwünscht" erklärt (BayVGH vom 20.2.2008 KommunalPraxis BY 2008, 185). Obwohl die Ausweisung selbst keinen vollziehbaren Inhalt hat, die Folgen einer Ausweisung ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 11 Abs. 1, § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), und ihre Wirksamkeit gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG durch einen Rechtsbehelf nicht berührt wird, kann auch bei einer Ausweisungsverfügung die Klage gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO aufschiebende Wirkung haben, wie sich auch aus § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG schließen lässt. Die aufschiebende Wirkung der Klage betrifft in diesem Fall die Hemmung von Vollstreckungsmaßnahmen, die die Statusänderung zur Folge hat, insbesondere zur Durchsetzung der Ausreisepflicht, des Aufenthalts- und Einreiseverbots (das Erlöschen und das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels haben dagegen keinen vollziehbaren Inhalt, sondern wirken unmittelbar ohne Vollzugsakt). Zu der vollstreckbaren Folge einer Ausweisung gehört auch die Überwachung nach § 54 a AufenthG.

Mit § 54 a AufenthaltG sind mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (Gesetz vom 30.7.2004, neugefasst durch Bek. vom 25.2.2008 BGBl I S. 162) in bestimmten Fällen die Meldepflicht, die Aufenthalts- und Wohnsitzbeschränkung und das eingeschränkte Kommunikationsverbot als weitere Folgen einer Ausweisungsverfügung ins Gesetz aufgenommen worden. Diese Folgen einer Ausweisungsverfügung haben einen vollstreckbaren Inhalt und können somit auch begrifflich für sofort vollziehbar erklärt werden. Wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Abschiebung nicht möglich ist, kann die sofortige Vollziehung der Ausweisung deshalb zwar nicht zur Vollstreckung der Ausreisepflicht, wohl aber wegen der Folgen nach § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG angeordnet werden. In den Fällen des § 54 Nrn. 5 und 5 a AufenthG ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung daher grundsätzlich auch allein zu dem Zweck zulässig, die Folgen nach § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG eintreten zu lassen.

Die sofortige Vollziehbarkeit der Folgen nach § 54 a AufenthG ist differenziert geregelt. Die von der Behörde getroffenen Maßnahmen nach § 54 a Abs. 3 und 4 AufenthG sind kraft Gesetzes (§ 54 a Abs. 5 Satz 2 AufenthG) sofort vollziehbar. § 54 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG trifft für die Fälle der Ausweisung nach § 54 Nrn. 5 und 5 a AufenthG dagegen die Regelung, dass die Meldepflicht und die Aufenthaltsbeschränkung zwar ebenfalls unmittelbar kraft Gesetzes gelten, aber nur dann, wenn die Ausweisungsverfügung selbst vollziehbar ist. Der Gesetzgeber hat – wie die Formulierung nahelegt – nicht nur bestandskräftige Ausweisungsverfügungen gemeint, sondern auch noch nicht bestandskräftige. Eine nicht bestandskräftige Ausweisungsverfügung ist vollziehbar, wenn die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO angeordnet ist. Da es sinnlos erscheint, die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung im Hinblick auf die – nicht mögliche – Abschiebung zu beurteilen, wenn es ausschließlich um die Maßnahmen nach § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG geht, ist die Regelung des § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG so zu verstehen, dass die Ausweisungsverfügung allein wegen der Melde- und Aufenthaltsgebote für sofort vollziehbar erklärt werden kann. Denn ein Ausländer, der wegen eines Ausweisungstatbestands nach § 54 Nr. 5 oder 5 a AufenthG ausgewiesen wird, aber wegen eines Abschiebungsverbots nicht abgeschoben werden kann, muss aus dringenden Sicherheitsgründen ebenfalls den Maßnahmen des § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG unterworfen werden können. Andernfalls könnte der Zweck des Gesetzes, die Bewegungsfreiheit besonders gefährlicher Ausländer von Anfang an zu beschränken und sie zu überwachen, nicht effektiv genug erreicht werden.

Das besondere Vollzugsinteresse muss von der Ausländerbehörde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich begründet werden. Darauf wird hier aber nicht weiter eingegangen, weil es darauf nicht entscheidungserheblich ankommt.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist im vorliegenden Fall wiederherzustellen, weil durchgreifende Zweifel bestehen, ob der Antragsteller die Ausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5 oder 5a AufenthG erfüllt hat.

Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 HS 1 AufenthG liegen vor. Denn es steht fest, dass der Antragsteller durch seine Beihilfe zur Fälschung des Passes für einen Ausländer, der des Terrorismus verdächtigt wird, dazu beigetragen hat, eine terroristische Organisation zu unterstützen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob dem Betreffenden bewusst war, dass er den Terrorismus oder eine den Terror unterstützende Vereinigung unterstützte.

Nach § 54 Nr. 5 HS 2 AufenthG muss aber auch die weitere Voraussetzung erfüllt sein, dass die Unterstützungshandlung eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründet. Insoweit bestehen durchgreifende Zweifel, weil die weiter bestehende Gefährlichkeit des Antragstellers nicht auf tragfähigen Schlussfolgerungen beruht. Der Antragsteller bestreitet, in terroristische Aktivitäten verwickelt gewesen und davon gewusst zu haben. Im Eilverfahren sind keine hinreichend überzeugenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, die diese Aussage widerlegen. Im angefochtenen Bescheid wird ausdrücklich hervorgehoben, dass den Sicherheitsbehörden über den Antragsteller keine neuen Erkenntnisse vorliegen und der Antragsteller nicht durch weitere einschlägige Aktivitäten aufgefallen ist.

Die vom Antragsteller ausgehende Gefahr wird vom Verwaltungsgericht ebenso wie von der Ausländerbehörde darin gesehen, dass der Antragsteller mit der Ehefrau des H. näher bekannt ist und daher davon auszugehen sei, dass er über die terroristischen Aktivitäten dieser Person unterrichtet war. Der Senat hat bereits in dem Beschluss vom 1. Oktober 2008 im Verfahren 10 C 08.2340 Bedenken gegen diese Schlussfolgerung geäußert, da ebenso gut die gegenteilige Annahme berechtigt sein kann, dass nämlich Terroristen und deren Helfer sich gerade ein unverdächtiges Umfeld suchen, um ihre Aktivitäten geheim zu halten. Es gibt auch sonst keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller von den terroristischen Aktivitäten seiner Bekannten gewusst hat und weiterhin bereit ist, eine terroristische Vereinigung zu unterstützen. Dabei fällt in erster Linie auf, dass gegen den Antragsteller in dem Strafverfahren nicht wegen der Unterstützung des Terrorismus oder einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde, obwohl das Strafverfahren im Zusammenhang mit dem gegen andere Personen erhobenen Vorwurf geführt wurde, den Terrorismus oder eine diesen unterstützende Vereinigung zu unterstützen. Weitere Verdachtsmomente sahen die Strafverfolgungsbehörden danach – wie sich aus der vom Senat beigezogenen Strafakte des Antragstellers ergibt – insoweit offenbar nicht. In dem Strafbefehl wird auf den Verdacht einer Verwicklung des Antragstellers in terroristische Aktivitäten nicht eingegangen. Die Antragsgegnerin zieht aus demselben festgestellten Sachverhalt somit weitergehende Schlüsse als die Strafverfolgungsbehörden, ohne diese anhand von nachprüfbaren Tatsachen belegen zu können. Auch von anderen Sicherheitsbehörden erhielt die Antragsgegnerin keine Informationen, die den Verdacht erhärtet hätten, der Antragsteller stelle auch gegenwärtig noch eine Gefahr dar. [...]