VG München

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Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 22.10.2008 - M 10 S 08.5041 - asyl.net: M14561
https://www.asyl.net/rsdb/M14561
Leitsatz:

Zwar ist die Feststellung zum Trennungszeitpunkt in einem Scheidungsurteil nicht bindend für die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte, kann aber in der Regel der aufenthaltsrechtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Ehegattennachzug, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Glaubwürdigkeit, Ehebestandszeit, Trennungszeitpunkt, Scheidungsurteil, Bindungswirkung, Ausländerbehörde
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 31 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

Zwar ist die Feststellung zum Trennungszeitpunkt in einem Scheidungsurteil nicht bindend für die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte, kann aber in der Regel der aufenthaltsrechtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom ... September 2008 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. [...]

Nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG haben Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keine aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das gesetzlich normierte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht hinter die persönlichen Interessen des Antragstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet bis zur Hauptsacheentscheidung zurücktritt. Im Rahmen der Interessenabwägung finden die voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs Berücksichtigung.

Die Klage hat bei Zugrundelegung des im Scheidungsurteil festgestellten Trennungszeitpunkt aller Voraussicht nach Erfolg, bei Betrachtung der unterschiedlichen Angaben des Antragstellers und seiner Ehefrau zum Trennungszeitpunkt sind die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zumindest offen. Es überwiegt daher nicht das gesetzlich bestimmte Interesse an der sofortigen Vollziehung der entstandenen Ausreisepflicht das persönliche Interesse des Antragstellers von Vollstreckungsmaßnahmen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage verschont zu bleiben. Die bei offener Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung führt zu einem Überwiegen der Interessen des Antragstellers an einem vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet. Eine sofortige Ausreise hätte den Verlust des Arbeitsplatzes des Antragstellers zur Folge.

Der Erfolg der Klage im Verfahren M 10 K 08.4708 hängt davon ab, ob der Antragsteller ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beanspruchen kann. [...]

Ausschlaggebend für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Antragstellers nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist die Frage, ab welchem Zeitpunkt die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr bestand. [...] Ob eine solche tatsächliche Verbundenheit bis zum Juli 2007 zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau noch bestand, wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu klären sein. Der kurzfristige Auszug des Antragstellers aus der gemeinsamen Wohnung im Juli 2006 kann außer Betracht bleiben. Schenkt man den Angaben der Ehefrau Glauben, so liegt die "Unterbrechung der ehelichen Lebensgemeinschaft" bereits nach der endgültigen Trennung im Mai 2006. Glaubt man dem Antragsteller, wonach die eheliche Lebensgemeinschaft erst zum 15. Juli 2007 beendet wurde, so handelt es sich beim Auszug Anfang Juli 2006 um eine kurzfristige Unterbrechung der ehelichen Lebensgemeinschaft, die für die Ehebestandszeit unerheblich ist.

Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes geht das Gericht zunächst von der Richtigkeit der Feststellungen im Scheidungsurteil aus. Nach der Rechtsprechung der Kammer sind Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte zwar rechtlich nicht an die tatsächlichen Feststellungen anderer Gerichte gebunden. Sie dürfen aber in der Regel diese Feststellungen ihrer Entscheidung zugrundelegen (vgl. VG München v. 7.4.2005, Az. M 10 K 05.344). Allenfalls in Sonderfällen kann anderes gelten, wenn die Ausländerbehörde bzw. die Verwaltungsgerichte ausnahmsweise in der Lage sind, den Vorfall besser als andere Gerichte aufzuklären oder wenn ohne Weiteres erkennbar ist, dass das Urteil, das zur Entscheidungsfindung herangezogen werden soll, auf einem Irrtum beruht. Im Scheidungsurteil ist im Tatbestand angegeben, dass der Antragsteller und seine Ehefrau seit Mitte Juli 2007 getrennt lebten. Der von der Ehefrau des Antragsteller angegebene Trennungszeitpunkt im Mai 2006 wird durch das Urteil nicht bestätigt. Für den Versorgungsausgleich wird von einer Ehebestandszeit bis 30. September 2007 ausgegangen. Im Protokoll der mündlichen Verhandlung ist zwar die Aussage der Ehefrau des Antragstellers festgehalten, wonach sie schon seit dem Jahr 2006 innerhalb der Wohnung vom Antragsteller getrennt gelebt habe. Dieses Getrenntleben habe nach dem vorübergehenden Auszug des Antragstellers stattgefunden. Offensichtlich ist das Gericht jedoch dem Vorbringen der Ehefrau des Antragstellers nicht gefolgt, weil die Ehefrau des Antragstellers mit dem Antragsteller noch im September 2006 einen kurzen Urlaub in Griechenland verbracht hatte. Nach den im Scheidungsurteil vom 7. August 2008 getroffenen Feststellungen ist von einer Ehebestandszeit vom 30. März 2005 bis zum 15. Juli 2007 auszugehen, so dass der Antragsteller ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 AufenthG erworben hätte. [...]