Zu den im Bundesgebiet zugänglichen Erkenntnissen gem. § 79 Abs. 1 AufenthG zählen auch Informationen, die im Bundesgebiet ansässige Institutionen wie das Auswärtige Amt oder der Bundesnachrichtendienst im konkreten Einzelfall erst über Mittelspersonen im Ausland (hier: Sicherheitsbehörden eines ausländischen Staates) beschaffen müssen; das Einverständnis eines Ausländers, Auskünfte bei den Sicherheitsbehörden seines Heimatstaates einzuholen (hier: Israel), kann geeignet sein, die Abkehr von einer in Deutschland verbotenen Organisation glaubhaft zu machen.
Zu den im Bundesgebiet zugänglichen Erkenntnissen gem. § 79 Abs. 1 AufenthG zählen auch Informationen, die im Bundesgebiet ansässige Institutionen wie das Auswärtige Amt oder der Bundesnachrichtendienst im konkreten Einzelfall erst über Mittelspersonen im Ausland (hier: Sicherheitsbehörden eines ausländischen Staates) beschaffen müssen; das Einverständnis eines Ausländers, Auskünfte bei den Sicherheitsbehörden seines Heimatstaates einzuholen (hier: Israel), kann geeignet sein, die Abkehr von einer in Deutschland verbotenen Organisation glaubhaft zu machen.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. [...]
1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen, nachdem der Kläger seiner Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) auch im Antrag auf Zulassung der Berufung nicht genügt und seine Abkehr von der "Hizb ut Tahrir" (HuT), einer in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen Organisation, nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat, derzeit keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), auch wenn den Ausführungen des Verwaltungsgerichts nur im Ergebnis, nicht aber in allen Teilen der Urteilsbegründung gefolgt werden kann.
a) Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG werden die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf Antrag in der Regel befristet. [...]
b) Liegt andererseits eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel vor – d.h. ein Fall, der durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet ist, der so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt –, so scheidet eine Befristung aus Rechtsgründen aus (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 26.3.2003 – 11 S 59/03 –, InfAuslR 2003, 333 [335]). Das Tatbestandsmerkmal der Regelbefristung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.8.2000 – 1 C 5.00 –, InfAuslR 2000, 483). Dem RegelAusnahmeverhältnis entsprechend sind an das Vorliegen eines Ausnahmefalls strenge Anforderungen zu stellen. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung oder Abschiebung darf nur in atypischen Fällen versagt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.8.2000 – 1 C 5.00 –, InfAuslR 2000, 483 [484]). Könnte die Ausländerbehörde im Ermessenswege bestimmen, ob ein Regel- oder ein Ausnahmefall vorliegt und hieran die Versagung der Befristung knüpfen, würde die gesetzgeberische Absicht der Regelbefristung unterlaufen (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 26.3.1992 – OVG Bf VII 71/91 –, InfAuslR 1992, 359 [361]).
c) Für die rechtshindernde Tatsache des Vorliegens eines Ausnahmefalls als Abweichung von der in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG angeordneten gesetzlichen Regel trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und (Beweis-) bzw. Feststellungslast (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2005, § 108 RdNr. 13 a; Höfling/Ricksen, in: Sodan, Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 108 RdNr. 132). Einen Ausnahmetatbestand hat entsprechend allgemeinen Grundsätzen stets derjenige zu beweisen, der sich auf ihn beruft (vgl. BGHZ 87, 393 [399 f.]; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., 2008, Anhang § 286 RdNr. 12). Nur wenn das Gericht in Ausübung seiner Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) zu dem Ergebnis kommt, dass die Ausländerbehörde zu Recht einen Ausnahmefall angenommen hat, wird die gesetzliche Regel des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durchbrochen und ein Anspruch des Ausländers auf Befristung an der Entstehung gehindert. Nicht der Ausländer, sondern die Ausländerbehörde trägt die Feststellungslast für das Vorliegen eines solchen – atypischen – Geschehensablaufs. Hieran hält der Senat trotz der Kritik des Verwaltungsgerichts und der Landesanwaltschaft Bayern im Schriftsatz vom 18. September 2008 fest.
d) Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Ausländer bei der Feststellung des Vorliegens eines Regelfalls jeder Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) enthoben wäre. Die Ausländerbehörde kann (zunächst) nur diejenigen Tatsachen berücksichtigen, die ihr aus den Akten oder anderweitig bekannt sind. Handelt es sich hingegen um Umstände, die der alleinigen Kenntnis- und Verantwortungssphäre des Ausländers zuzuordnen sind, wie namentlich die Abkehr von einer in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen Organisation, so hat zunächst der Ausländer selbst entsprechende Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, die geeignet sind, eine entsprechende Schlussfolgerung zu tragen. Der Ausländer kann sich insoweit jedes tauglichen (Beweis-) Mittels bedienen. Hierzu kann insbesondere auch das ausdrückliche erklärte Einverständnis zählen, bei den Sicherheitsbehörden seines Heimatlandes entsprechende Auskünfte einzuholen, die für sich allein oder in Verbindung mit weiteren Indiztatsachen die Annahme rechtfertigen, er habe sich von der inkriminierten Organisation gelöst und stelle infolgedessen keine Gefahr mehr dar. Letzteres gilt namentlich dann, wenn es sich – wie hier im Falle des Staates Israel – um befreundete und bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eng zusammenarbeitende Nationen handelt.
e) Kommt der Ausländer seiner in diesem Sinne verstandenen Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) nach und legt er seine Abkehr schlüssig dar, so ist es Aufgabe der Ausländerbehörde, die geltend gemachten Tatsachen zu prüfen und die zu ihrer Glaubhaftmachung angebotenen Informationen – gegebenenfalls auch im Ausland im Wege des diplomatischen Verkehrs über das Auswärtige Amt – einzuholen und zu bewerten. Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist zwar auf der Grundlage der im Bundesgebiet bekannten Umstände und zugänglichen Erkenntnisse über den Aufenthalt von Ausländern und damit auch über die nachträgliche Befristung von deren Ausweisung zu entscheiden. Zu den im Bundesgebiet zugänglichen Erkenntnissen zählen jedoch entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Landesanwaltschaft Bayern auch solche Informationen, die sich eine im Bundesgebiet ansässige Institution, das Auswärtige Amt oder der Bundesnachrichtendienst, im konkreten Einzelfall erst über Mittelspersonen aus dem Ausland beschaffen muss (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-Aufenthaltsgesetz, Stand: Februar 2007, § 79 RdNr. 10). Die in § 79 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Regelung ist im Lichte verfassungsrechtlicher Gewährleistungen – namentlich des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) – restriktiv zu handhaben. Überschritten wird die verfassungsrechtliche Grenze einer zulässigen Einschränkung der Amtsermittlungspflicht (§ 86 VwGO) regelmäßig dann, wenn mit der Beschränkung der Entscheidungsgrundlage eine unangemessene Verkürzung der Richtigkeitsgewähr der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen einherginge (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-Aufenthaltsgesetz, Stand: Februar 2007, § 79 RdNr. 3). § 79 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann daher entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Landesanwaltschaft nicht über seinen Wortlaut hinaus ausgelegt werden, um mit der Erfüllung der Amtsermittlungspflicht möglicherweise verbundenen Schwierigkeiten von vornherein zu entgehen. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung auf das Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) steht dem entgegen.
f) Hat der Ausländer seine Abkehr von einer in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen Organisation derart glaubhaft gemacht, dass diese – die geltend gemachten Tatsachen als wahr unterstellt – jedenfalls denkbar und möglich erscheint, so trägt die Ausländerbehörde, sofern sie abweichend von dem in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG normierten Regelfall gleichwohl einen Ausnahmefall annehmen und den Betroffenen damit entgegen der in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG angelegten Systematik von vornherein von jedem Anspruch auf Befristung überhaupt und ermessensfehlerfreier Entscheidung hinsichtlich der Fristdauer ausnehmen möchte, die Beweis- bzw. Feststellungslast für das Vorliegen einer solchen Atypik. Die hiervon abweichenden Annahmen des Verwaltungsgerichts und der Landesanwaltschaft finden weder im materiellen Recht noch im Prozessrecht eine Stütze. Vor allem besteht zwischen der Annahme eines Regelfalls und dem Vorliegen eines Ausnahmefalls kein "Stufenverhältnis", wie die Landesanwaltschaft offenbar meint. Beide stehen vielmehr im Verhältnis der Exklusivität und schließen sich damit gegenseitig aus.
Ebenso wenig vermag die Bezugnahme auf § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und § 11 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 58 a AufenthG die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu tragen: § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG betrifft ausschließlich die der Befristung nachgelagerte Frage der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG hat lediglich den Fall der Abschiebungsanordnung (§ 58 a AufenthG) im Auge; auf die Ausweisungsverfügung nach §§ 54 Nr. 5 oder 5 a AufenthG ist die Vorschrift nicht übertragbar. § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist erkennbar als Ausnahmevorschrift konzipiert und schon deshalb nicht analogiefähig. Sollen auf der Grundlage von § 54 Nr. 5 und 5a AufenthG ausgewiesene Personen von der Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG generell ausgeschlossen werden, bedarf es einer entsprechenden Regelung seitens des (Bundes-) Gesetzgebers, die – jedenfalls bislang – nicht vorliegt.
2. Von diesen Maßstäben ausgehend unterliegt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis – jedenfalls nach derzeitigem Erkenntnisstand – keinen ernstlichen Zweifeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat seine Abkehr von der HuT weder im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht noch im Antrag auf Zulassung der Berufung hinreichend glaubhaft gemacht und damit seiner Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) – jedenfalls bislang – nicht im erforderlichen Umfang genügt.
a) Die Behauptung, sämtliche Kontakte zur HuT abgebrochen zu haben, ist insoweit – zumal dann, wenn wie hier entgegen der rechtskräftigen Ausweisungsverfügung weiterhin die Auffassung vertreten wird, mit der HuT nichts zu tun gehabt zu haben und schon gar nicht deren Aktivist gewesen zu sein – allein nicht ausreichend, um eine Abkehr glaubhaft darzulegen, auch wenn man zugunsten des Klägers die "schmale" Erkenntnislage des Ausweisungsverfahrens berücksichtigt. Ebenso wenig genügt die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses, um eine Änderung des Sachverhalts schlüssig aufzuzeigen. Dieses besagt lediglich, dass der Kläger in Israel strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Über etwaige, nach wie vor fortbestehende Verbindungen des Klägers zu HuT gibt das Zeugnis keine Auskunft.
b) Gleichwohl bildet der Umstand, dass der Kläger sich in seinem Heimatstaat Israel – ein Land, das wie kein anderes unter dem islamischen Fundamentalismus zu leiden hat – offensichtlich frei und ungehindert bewegen kann und dort sogar als Lehrer am öffentlichen Leben teil hat, ein gewichtiges Indiz, welches es als zumindest denkbar und möglich erscheinen lässt, dass von ihm keine der mit der Ausweisung bekämpften Gefahren mehr ausgeht. In Verbindung mit einer Zustimmung des Klägers zur Anfrage bei israelischen Stellen, ob dort sicherheitsrelevante Erkenntnisse über eine aktuelle Verbindung zur HuT vorliegen, wäre dieser Gesichtspunkt deshalb durchaus geeignet, eine Abkehr von den Zielen dieser Organisation auch nach außen glaubhaft zu machen, sofern israelische Behörden eine entsprechende Unbedenklichkeit des Klägers zu bestätigen vermögen. Dass der Kläger eine entsprechende Zustimmung zur Anfrage bei israelischen Stellen erteilen würde, wenn er tatsächlich noch Verbindungen zu dieser Organisation unterhielte, steht nicht zu erwarten. Für den Fall einer solchen Zustimmung würde der Kläger seiner Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) in dem erforderlichen Umfang genügen und die oben dargelegte Beweislastregelung käme zum Tragen, sofern die Ausländerbehörde trotz einer dem Kläger günstigen Auskunft israelischer Stellen gleichwohl einen Ausnahmefall i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG annehmen und den Kläger von jeder Befristung ein für alle mal ausnehmen möchte. [...]