Einbürgerung ukrainischer Staatsangehöriger unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit, da die Ausbürgerung von unzmutbaren Bedingungen abhängig gemacht wird.
Einbürgerung ukrainischer Staatsangehöriger unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit, da die Ausbürgerung von unzmutbaren Bedingungen abhängig gemacht wird.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Sie ist als Verpflichtungsklage nach § 75 VwGO und auch sonst zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]
A. Die Klägerin verliert ihre ukrainische Staatsbürgerschaft nicht kraft Gesetzes im Zeitpunkt ihrer Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. [...]
Nach den hier einschlägigen ukrainischen Vorschriften bewirkt die Einbürgerung eines ukrainischen Staatsbürgers in den deutschen Staatsverband nicht schon kraft Gesetzes das Erlöschen seiner ukrainischen Staatsbürgerschaft. Diese Rechtswirkung tritt vielmehr erst dann ein, wenn bezüglich des Staatsbürgers der Ukraine eine Eingabe betreffend den Verlust der Staatsbürgerschaft bei der Kommission für Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft beim Präsidenten der Ukraine gemacht wird, diese dem Präsidenten der Ukraine den Verlust vorschlägt und der Präsident die Entscheidung über die Beendigung der Staatsbürgerschaft der Ukraine trifft (Art. 20, 22, 23 ukrStBG, zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderabschnitt Ukraine). Dieser Vorgang ist im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG als Aufgabe, nicht als Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit zu qualifizieren.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Klägerin enthält das ukrainische Staatsbürgerschaftsrecht einen Verlusttatbestand im Sinne der §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 12 StAG für den Fall der Einbürgerung in einen fremden Staatsverband insbesondere nicht in Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 ukrStBG. [...]
Mit dieser Auslegung des ukrainischen Staatsbürgerschaftsrechts stimmt auch die Rechtspraxis der ukrainischen Behörden überein. [...]
Unabhängig von allem Vorstehenden kann sich der Senat die notwendige Überzeugungsgewissheit für eine Bejahung der Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG jedenfalls deshalb nicht verschaffen, weil dem die ihm vorliegenden Auskünfte und Stellungnahmen ukrainischer Auslandsvertretungen zur Verwaltungspraxis bei Beendigungsverfahren entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts zu § 9 StAG ist für diese Anspruchsvoraussetzung maßgeblich, dass der Einbürgerungsbewerber seine frühere Staatsangehörigkeit tatsächlich verliert und nicht, dass er sie unter Zugrundelegung von Gesetz und Verwaltungspraxis des Herkunftslandes verlieren müsste. Die notwendige Gewissheit können sich die Einbürgerungsbehörden – von den Fällen abgesehen, in denen eine gesicherte und allseits bekannte Praxis des Herkunftsstaates besteht – nur verschaffen, indem sie die diplomatische Vertretung des Heimatstaates um Auskunft ersuchen, die gegebenenfalls ihrerseits die Weisung der vorgesetzten Dienststelle einholen kann. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Heimatstaat des Bewerbers diesen nach seiner Einbürgerung nicht weiterhin als seinen Staatsangehörigen in Anspruch nimmt und das Anliegen des Gesetzes, Mehrstaatigkeit aus Gründen der Rechtssicherheit möglichst zu vermeiden, nicht verfehlt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 – 5 C 3.06 –, juris, Rdn. 21; OVG NRW, Beschluss vom 22. September 1995 – 25 A 9/90 –, a.a.O., Hailbronner, a.a.O., § 9, Rdn. 13).
Nach diesem Maßstab fehlt hier die notwendige Überzeugungsgewissheit, weil alle Stellungnahmen ukrainischer Auslandsvertretungen, die dem Senat vorliegen, ebenfalls die Entscheidung des Präsidenten der Ukraine, nicht aber schon den Eintritt eines Verlustgrundes nach Art. 19 ukrStBG als den rechtserheblichen Auslöser für die Beendigung der ukrainischen Staatsbürgerschaft bezeichnen. So heißt es etwa in dem vom Beklagten des Parallelverfahrens 19 A 626/04 vorgelegten Schreiben der ukrainischen Botschaft in Berlin vom 26. März 2002, es bestehe keine "automatische" Einstellung der Staatsangehörigkeit der Ukraine, der Beschluss bezüglich der Einstellung der Staatsangehörigkeit der Ukraine werde ausschließlich vom Präsidenten der Ukraine gefasst. Bezogen auf den Fall der Einbürgerung eines ukrainischen Ehepaares in den deutschen Staatsverband hat das ukrainische Generalkonsulat in Frankfurt am Main unter dem 29. Dezember 2005 ferner ausgeführt, die ukrainische Gesetzgebung erkenne eine doppelte Staatsangehörigkeit nicht an. Sie stütze sich nach Art. 2 ukrStBG vielmehr auf den Grundsatz der einzigen Staatsbürgerschaft. Das bedeute, dass das Ehepaar bis zu seiner Ausbürgerung in der ukrainischen Staatsbürgerschaft bleibe und die Behörden der Ukraine seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unberücksichtigt ließen.
Angesichts dieser eindeutigen und widerspruchsfreien schriftlichen Äußerungen ukrainischer Auslandsvertretungen vermag die von der Klägerin behauptete gegenteilige mündliche Äußerung des Herrn N. S. dem Senat weder die erforderliche Überzeugungsgewissheit zu vermitteln noch ihn zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen. [...]
B. Kann die Klägerin ihre ukrainische Staatsbürgerschaft hiernach nur durch ein Entlassungsverfahren bei den ukrainischen Behörden aufgeben, so ist ihr dessen Durchführung nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen möglich, weil der ukrainische Staat ihre Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht (2. Alternative des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG). Die ukrainischen Auslandsvertretungen in Frankfurt und Bonn knüpfen die Entgegennahme eines Entlassungsantrags an die konsularische Registrierung der Klägerin als Auslandsukrainerin (Schreiben der Außenstelle Bonn der Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Februar 2000). Diese Registrierung wiederum kann sie, wie die Beweisaufnahme des Senats ergeben hat, weder bei den ukrainischen Auslandsvertretungen noch bei ukrainischen Inlandsbehörden mit zumutbaren Mitteln erreichen.
Zunächst ist es der Klägerin mit zumutbaren Mitteln nicht möglich, ihre Registrierung als Auslandsukrainerin im Bundesgebiet zu erreichen. Maßgeblich ist auch insoweit die tatsächliche Handhabung der Registrierung durch die ukrainischen Auslandsvertretungen, nicht hingegen die abstrakte Gesetzeslage nach ukrainischem Staatsangehörigkeitsrecht und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen. Rechtslage und Staatspraxis der Ukraine weichen in dieser Hinsicht nach den Feststellungen des Senats in erheblichem Umfang voneinander ab: Nach Nr. 4 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen sind die ukrainischen Auslandsvertretungen für Entlassungsanträge von Auslandsukrainern grundsätzlich zuständig. Sie führen auch das "Abmeldungsverfahren" durch, das zur Registrierung als Auslandsukrainer führt (telefonische Auskunft der Abteilungsleiterin für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten des Außenministeriums Frau Q. gegenüber der deutschen Botschaft in Kiew, mitgeteilt mit Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2007). In der Praxis hingegen nehmen die ukrainischen Auslandsvertretungen in Deutschland diese rechtlichen Vorgaben nicht einmal zur Kenntnis und behandeln ihre eigenen Staatsbürger im Übrigen so willkürlich und schikanös, dass die Durchführung des "Abmeldungsverfahrens" bei diesen Stellen für den Personenkreis der nicht registrierten Auslandsukrainer als praktisch unmöglich eingestuft werden muss. Diesen Schluss zieht der Senat aus dem Verhalten des ukrainischen Generalkonsulats in Frankfurt/Main gegenüber der Klägerin anlässlich ihrer dortigen Vorsprache auf Veranlassung des Senats am 17. Juli 2007. Bei dieser Vorsprache hat sie ausdrücklich auf die soeben erwähnte telefonische Auskunft der Abteilungsleiterin für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten des Außenministeriums Frau Q. gegenüber der deutschen Botschaft in Kiew Bezug genommen und den Bediensteten des Konsulats die Auskunft des Auswärtigen Amtes vorgelegt, in der die Äußerung von Frau Q. wiedergegeben ist. Unter Bezugnahme auf dieses amtliche Dokument hat sie ausdrücklich erklärt, eine Genehmigung zum ständigen Aufenthalt im Ausland beantragen zu wollen, um von Deutschland aus den Entlassungsantrag aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft stellen zu können.
Dieses Begehren der Klägerin hat Vizekonsul. N1. mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe keine Genehmigung von der zuständigen Behörde der Ukraine erhalten, den ständigen Wohnsitz in Deutschland zu nehmen. Diese Begründung ist am Maßstab rechtsstaatlicher Grundsätze willkürlich. Selbst wenn das Generalkonsulat bis zum Zeitpunkt der Vorsprache der Klägerin entgegen Nr. 4 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen die Rechtsauffassung vertreten haben sollte, dass nur inländische ukrainische Behörden für die Registrierung von Auslandsukrainern zuständig seien, hätten die vorgelegten amtlichen Dokumente dem Vizekonsul bei Anlegung rechtsstaatlicher Maßstäbe zumindest Veranlassung geben müssen, eine Weisung der vorgesetzten Dienststelle, etwa des ukrainischen Außenministeriums in Kiew, zu dieser Rechtsfrage des ukrainischen Rechts einzuholen. Stattdessen hat Vizekonsul S. N1. der Klägerin schriftlich seine Nichtzuständigkeit für die Ausstellung von Pässen an nicht konsularisch erfasste Auslandsukrainer bescheinigt und damit (wie nach den Begleitumständen angenommen werden muss, bewusst) ignoriert, dass die Klägerin eben diese konsularische Erfassung begehrte.
Der Senat hat keinen Anlass, den Wahrheitsgehalt der Schilderungen der Klägerin anzuzweifeln. Denn sie hat sich bei ihrer Vorsprache beim Generalkonsulat von einer ukrainisch sprechenden Zeugin begleiten lassen, ohne dass der Senat sie hierzu aufgefordert hat. Dieses Verhalten lässt den Schluss zu, dass es ihr darauf ankam, dem Senat einen vollständigen und wahrheitsgetreuen Eindruck vom Ablauf ihrer Vorsprache zu vermitteln. [...]
Ebenso wenig hat der Senat Veranlassung anzunehmen, bei der willkürlichen Ablehnung ihres Begehrens handele es sich um einen Einzelfall, dem die Repräsentativität für das Verhalten ukrainischer Auslandsvertretungen in Deutschland oder auch nur für das generelle Verhalten des Generalkonsulats Frankfurt/Main gegenüber nicht registrierten Auslandsukrainern fehle. Vielmehr lässt sich der gegenteilige Schluss aus dem Antwortverhalten des ukrainischen Außenministeriums in Kiew im Rahmen der Beweisaufnahme des Senats ziehen. [...]
Angesichts der pauschalen und in entscheidenden Punkten widersprüchlichen Auskünfte des ukrainischen Außenministeriums ist der Klägerin auch eine Rückreise in die Ukraine zum Zweck der Registrierung oder/und Stellung eines Entlassungsantrags aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft unzumutbar. Sie muss sich nicht auf ein Entlassungsverfahren im Heimatland verweisen lassen, bei dem ungewiss ist, wie lange es dauern wird und ob die Staatsangehörigkeitsbehörden in der Ukraine es ebenso willkürlich handhaben wie die ukrainischen Auslandsvertretungen in Deutschland. Insbesondere kann die Stellung eines Entlassungsantrags im Heimatland allein schon deswegen unzumutbar sein, weil längere, unter Umständen mehrjährige Verfahrenszeiten zu erwarten sind (BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 – 5 C 3.06 –, BVerwGE 129, 20, juris, Rdn. 22).
Ob auch im Fall der Klägerin allein schon die zu erwartende Verfahrensdauer die Unzumutbarkeit der Stellung eines Entlassungsantrags in der Ukraine begründet, kann offenbleiben. Denn hier ergibt sich die Unzumutbarkeit jedenfalls im Zusammenwirken mit den übrigen genannten Gesichtspunkten. Gleichwohl ist auch in diesem Zusammenhang auffällig, dass das ukrainische Außenministerium die Frage nach der Verfahrensdauer im Beweisbeschluss des Senats vom 16. Oktober 2006 nicht beantwortet hat (letzte Frage zu g)). Mangels Beantwortung dieser Frage kann der Senat hierzu nur auf die Mitteilung der Außenstelle Remagen-Oberwinter der ukrainischen Botschaft in deren Merkblatt aus dem Jahr 1997 zurückgreifen. Danach ist für die Prüfung eines Antrags auf Genehmigung der ständigen Wohnsitznahme im Ausland durch die ukrainischen Inlandsbehörden "mit einer Bearbeitungszeit von etwa einem Jahr zu rechnen" (Blatt 603–605 der Beiakte Heft 4 im Parallelverfahren 19 A 626/04). Eine solche Verfahrensdauer hält der Senat im Fall der Klägerin am Maßstab des Art. 6 GG für unzumutbar, weil sie deutschverheiratet ist, für die Antragstellung persönlich in die Ukraine zurückkehren müsste (Verbalnote vom 21. Mai 2007) und zu befürchten ist, dass sie für diesen Zeitraum dort auch anwesend sein muss. [...]