VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 22.09.2008 - 2 K 176/08 - asyl.net: M14608
https://www.asyl.net/rsdb/M14608
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Hinnahme der Mehrstaatigkeit, Erledigung der Hauptsache, Kosten, Kostenentscheidung, billiges Ermessen, Untätigkeitsklage, Prozesskostenhilfe, Prozesskostenhilfebewilligung, Serbien, Kosovo, Staatsangehörigkeitsrecht, Unabhängigkeitserklärung
Normen: VwGO § 161 Abs. 2; VwGO § 161 Abs. 3; VwGO § 75; StAG § 12 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Nachdem die Kläger unter Beibehaltung ihrer serbischen Staatsangehörigkeit eingebürgert wurden und die Beteiligten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Beachtung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten zu entscheiden.

Dabei ist die Vorschrift des § 161 Abs. 3 VwGO in den Blick zu nehmen, nach der bei einer Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO – wie hier – die Kosten stets dem Beklagten zur Last fallen, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Die Kostenüberbürdung nach dieser Vorschrift tritt nur dann nicht ein, wenn der Beklagte einen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung hatte und dem Kläger dieser Grund bekannt war oder bekannt sein musste (vgl. BVerwG, NVWZ 1991, 1180).

Vorliegend haben die Kläger am 25.02.2008 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingereicht, dem ein (Untätigkeits-) "Klageentwurf" beigefügt war. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss der Kammer vom 15.05.2008 war die Untätigkeitsklage mithin erst anhängig (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage Rdnr. 111).

Der vollständig eingereichte PKH-Antrag war allerdings ungeachtet der erforderlichen Anhörung des Prozessgegners bereits mit Eingang grundsätzlich entscheidungsreif (vgl. Kopp, VwGO 15. Auflage § 166 Rdnr. 14 a mwN).

Stellt man von daher hinsichtlich der Frage, ob die – mittellosen – Kläger i.S.v. § 161 Abs. 3 VwGO mit ihrer Bescheidung vor "Klageerhebung" rechnen durften, auf den Zeitpunkt des Eingangs ihres PKH-Antrags und des Klageentwurfs ab, kann zunächst dahinstehen, ob ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung darin bestanden hatte, dass die bereits am 21.12.2007 ergangene und dem Beklagten vorliegende Auskunft des serbischen Generalkonsulats über die Höhe der Entlassungsgebühren ihm nicht „eindeutig“ erschienen war und es deshalb diesbezüglich weiterer Aufklärung bedurfte (so der Schriftsatz des Beklagten vom 04.09.2008). Den Klägern war dies jedenfalls seinerzeit nicht bekannt und musste ihnen nach Sachlage auch nicht bekannt sein. Mit den Klägern kurz vor Anrufung des Gerichts zugeleitetem Schreiben vom 07.02.2008 hatte der Beklagte nämlich – im Gegensatz zu seiner vorherigen Sachstandsmitteilung vom 28.11.2007, in der er auf die noch ausstehende, in einem Parallelverfahren erbetene Stellungnahme des Generalkonsulats hingewiesen hatte – lediglich ausgeführt, das Parallelverfahren sei noch nicht abgeschlossen und es werde empfohlen, dies abzuwarten.

Die Anhängigkeit eines gleich gelagerten Verfahrens rechtfertigt aber ohne Zustimmung des Klägers, der in eigener Sache auf Entscheidung drängt, in der Regel keine Untätigkeit (vgl. Funke/Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage § 75 Rdnr. 12; Beschluss der Kammer vom 06.07.2007 – 2 K 214/06 –).

Dies spräche dafür, die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen, zumal er auch in seiner Stellungnahme zu dem Klageentwurf lediglich darauf verwiesen hatte, zur Problematik der Gebührenhöhe habe er – unabhängig von dem Verfahren der Kläger – das Bundesministerium des Innern um Stellungnahme gebeten.

Auch die von dem Beklagten unter dem 13.12.2007 an die Ausländerbehörde des Landkreises D. gerichtete Anfrage, ob der Widerruf des Asylstatus der Kläger Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltstitels habe, hat einen zureichenden Grund für die damalige Untätigkeit nicht dargestellt, zumal diese Ausländerbehörde Auswirkungen eines Widerrufs des Asylstatus auf den Aufenthalt der Kläger bereits mit bei dem Verwaltungsvorgang befindlichem Schreiben vom 20.11.2007 verneint hatte.

Andererseits ist im weiteren Verfahrensverlauf, zeitgleich zu der Einreichung des Klageentwurfs ein beachtlicher Umstand eingetreten, der es unabhängig von einer früheren Untätigkeit des Beklagten angezeigt erscheinen ließ, eine Bescheidung des Einbürgerungsbegehrens vorläufig zurückzustellen. Am 20.02.2008 hatte die Bundesrepublik Deutschland nämlich die Republik Kosovo als eigenständigen Staat der Europäischen Staatengemeinschaft anerkannt, nachdem das kosovarische Parlament drei Tage zuvor die Unabhängigkeit des Kosovo proklamiert hatte. Darauf hat der Beklagte in seiner Stellungnahme zu dem Klageentwurf hingewiesen und dieser Umstand hat dazu geführt, dass die Kammer das Klageverfahren mit Beschluss vom 19.06.2008 entsprechend § 75 S. 3 VwGO ausgesetzt hat, um eine Klärung der Frage zu ermöglichen, welche Staatsangehörigkeit die Kläger nach der neuen Sachlage innehaben.

Damit hatte die Untätigkeit des Beklagten allerdings ihr Ende gefunden und zwischen dem Ausgang des von den Klägern fortgesetzten Prozesses und der ursprünglichen Verzögerung der Bescheidung durch den Beklagten bestand kein Zusammenhang mehr. Ein Fall des § 75 VwGO – wie ihn der Wortlaut des § 161 Abs. 3 VwGO verlangt – liegt somit im Zeitpunkt der Kostenentscheidung nicht mehr vor, so dass die allgemeine Vorschrift des § 161 Abs. 2 VwGO über die Kostenverteilung bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zur Anwendung kommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1992 – 3 C 50/90 – juris).

Zwar hat der Beklagte dem Begehren der Kläger, unter Beibehaltung ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert zu werden, letztlich entsprochen und die Kläger klaglos gestellt. Eine alleinige Kostentragungspflicht des Beklagten erscheint gleichwohl unbillig.

Denn der Beklagte hat zunächst nur dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die zwischenzeitlich völlig offene Frage, welche Staatsangehörigkeit die Kläger nach neuer Sach- und Rechtslage besitzen, nach Inkrafttreten des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes dahin geklärt hatte, dass sie nur die serbische Staatsangehörigkeit innehaben. Das Risiko, aufgrund der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo gegebenenfalls nur die kosovarische Staatsangehörigkeit zu besitzen und diese auch vor einer Einbürgerung in den deutschen Staatsverband aufgeben zu können, betrifft allerdings die Sphäre der Kläger und ist deshalb kostenmäßig zu ihren Lasten zu bewerten. Ferner ist zu sehen, dass die Einbürgerung der Kläger unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit gemäß der von dem Beklagten bereits vorgerichtlich vertretenen und von den Klägern bestrittenen Rechtsauffassung erfolgte. [...]