[...]
A. Die Sache ist entscheidungsreif.
I. Das Klageverfahren war nicht im Hinblick auf den Beschluss des FG Köln vom 09. Mai 2007 (10 K 1690/07; EFG 2007, 1247) auszusetzen.
In diesem Verfahren hat das Finanzgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld (a.a.O.) insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als die Gewährung von Kindergeld im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird (Aktenzeichen des BVerfG: 2 BvL 4/07).
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Aussetzung eines Klageverfahrens entsprechend § 74 der Finanzgerichtsordnung – FGO – geboten, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens hat (vgl. BFH-Beschluss vom 07. Februar 1992 – III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). [...]
B. Die Klage ist unbegründet. [...]
1. Der Aufhebungsbescheid vom 28.04.1999 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.08.1999 und die insoweit ergangene Einspruchsentscheidung vom 30.09.1999 sind rechtmäßig.
Denn der Klägerin stand zum einen im fraglichen Zeitraum materiell-rechtlich kein Anspruch auf Zahlung von Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu (nachfolgend a)). Zum anderen stand dem Beklagten auch eine verfahrensrechtliche Änderungsmöglichkeit im Hinblick auf die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung vom 27.11.1997 zu (nachfolgend b)).
a) Der Klägerin kam im fraglichen Zeitraum materiell-rechtlich kein Anspruch auf Zahlung von Kindergeld zu.
(1) Der Senat misst die Berechtigung der Klägerin zum Bezug von Kindergeld am Prüfungsmaßstab des § 62 Abs. 2 EStG in der heute geltenden Fassung. Der Senat folgt damit erneut der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 2007 – III R 54/02 a.a.O. gegen FG Köln vom 09. Mai 2007 – 10 K 1690/07 a.a.O.), wonach die Neuregelung auch Rückwirkung für die Vergangenheit entfaltet. Der Betrachtungsweise, wonach einem Ausländer bei hinreichend langem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland ohne weiteres Kindergeld zusteht, folgt der Senat nicht. [...]
(3) Nach den vorgenannten Anforderungen waren die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zahlung von Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG in dem streitigen Zeitraum nicht erfüllt.
(a) Die Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG findet auf die Person der Klägerin Anwendung. Denn die Klägerin war im fraglichen Zeitraum eine (im Hinblick auf das Herkunftsland Kasachstan) nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin. Die Klägerin war nicht deutsche Staatsbürgerin i. S. v. Art. 116 GG und erfüllte deshalb auch nicht die Voraussetzung des § 62 Abs. 1 EStG.
Nach Art. 116 Abs. 1 GG ist Deutscher im Sinne des Grundgesetzes, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat.
Damit eine Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit – wie die Klägerin – als Deutsche eingestuft wird, muss sie Flüchtling oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit oder Abkömmling deutscher Staatsangehöriger ("Statusdeutscher") sein. Ob jemand Statusdeutscher ist, richtet sich nach den Vorschriften des BVFG, die bei der Auslegung des Art. 116 GG maßgeblich sind. Die Anerkennung der Klägerin als Spätaussiedlerin ist bestandskräftig verweigert worden, womit die Klägerin keine Deutsche nach Art. 116 Abs. 1 GG war. Der erkennende Senat bezieht sich insoweit auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 19.06.2001 – 1 C 26/00 a.a.O.).
(b) Die Tatbestandsvoraussetzung des § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG, nämlich der Besitz einer "Niederlassungserlaubnis" nach § 9 Aufenthaltsgesetz, lagen im streitigen Zeitraum nicht vor. Diese genannte Rechtsposition entspricht der "Aufenthaltsberechtigung" nach § 27 Ausländergesetz; die Klägerin hatte im streitigen Zeitraum keine solche Berechtigung.
(c) Auch eine "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 7 Aufenthaltsgesetz konnte die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht vorweisen.
(1) Im Hinblick auf das in den Streitjahren geltende Ausländerrecht hätte es hierzu einer Aufenthaltserlaubnis nach § 15 Ausländergesetz mit Berechtigung zur Erwerbstätigkeit bedurft.
Der Klägerin war im fraglichen Zeitraum aber keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Bei der ab dem 03.11.1998 bestehenden "Erlaubnis" handelte es sich um eine bloße Fiktion i. S. d. § 69 Abs. 3 Ausländergesetz, welche für die hier in Frage stehende Berechtigung nicht ausreicht. Die Klägerin war lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis.
(2) Selbst wenn man eine Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 7 Aufenthaltsgesetz/§ 15 Ausländergesetz annähme, wären die Anspruchsvoraussetzungen gleichwohl nicht erfüllt.
Denn hier griffe die Ausnahme nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 2. Halbsatz c) EStG im Zusammenhang mit den §§ 23, 25 Aufenthaltsgesetz ein: Der Klägerin wurde der Aufenthalt geduldet aus humanitären Gründen und zur Vermeidung einer persönlichen Härte.
Eine Rückausnahme nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG greift nicht ein, da die Klägerin keiner Erwerbstätigkeit nachgehen durfte, Buchst. b) der Vorschrift. [...]