VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 03.09.2008 - 4 K 503/08.WI - asyl.net: M14620
https://www.asyl.net/rsdb/M14620
Leitsatz:

Der Ausschluss von der Altfallregelung wegen Straftaten von Familienangehörigen gem. § 104 a Abs. 3 AufenthG ist verfassungsgemäß.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Straftaten, Familienangehörige, Verfassungsmäßigkeit, Menschenwürde, Gleichheitsgrundsatz, Rechtsstaatsgrundsatz, Schutz von Ehe und Familie, besondere Härte
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 6; AufenthG § 104a Abs. 3; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 3; GG Art. 6
Auszüge:

Der Ausschluss von der Altfallregelung wegen Straftaten von Familienangehörigen gem. § 104 a Abs. 3 AufenthG ist verfassungsgemäß.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet, denn die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG. [...]

Aufgrund der Straftaten der Klägerin zu 2) ist eine Erteilung gemäß Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 3 der genannten Regelung ausgeschlossen. So liegen bezüglich der Klägerin zu 2) Verurteilungen wegen zweier vorsätzlicher Straftaten vor und die ihr gegenüber verhängten Strafen übersteigen mit insgesamt 160 Tagessätzen die in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr.6 AufenthG festgelegte Grenze von 50 Tagessätzen, bis zu deren Erreichen diese Verurteilungen außer Betracht bleiben können.

An der Vereinbarkeit dieser Bestimmungen mit dem Grundgesetz hat das Gericht keinen Zweifel. Bei der Regelung des § 104 a AufenthG handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die es ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen, auch wenn die eigentlichen Voraussetzungen nach dem Aufenthaltsgesetz zur Erteilung von Aufenthaltstiteln nicht gegeben sind. Mit dieser "Altfallregelung" ermöglicht der Gesetzgeber, dass zwar ausreisepflichtigen aber aufgrund Zeitablaufs integrierter Familien und Einzelpersonen entgegen der üblichen Voraussetzungen Aufenthaltstitel verliehen werden können.

Im Rahmen dieser Ausnahmeregelung ist der Gesetzgeber frei, die Voraussetzungen bzw. Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis festzulegen. § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG schließt unter anderem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus, wenn der geduldete Ausländer wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Damit wird nicht jedem in irgendeiner Form straffällig gewordenen geduldeten Ausländer die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis genommen, sondern lediglich denjenigen, die entweder zu mehreren geringeren Geldstrafen verurteilt wurden oder sich einer schwerwiegenderen Straftat schuldig gemacht haben.

Die Ausschlusswirkung solcher Straftaten auch für die anderen Familienmitglieder ist rechtlich nicht zu beanstanden. Andernfalls käme das erheblich straffällig gewordene Familienmitglied als minderjähriges Kind oder als Ehegatte – oder wie hier als Mutter der gemeinsamen Kinder – über das den übrigen Familienmitgliedern ansonsten zu erteilende Aufenthaltsrechts dann doch wieder zu einer Aufenthaltserlaubnis, so dass der sachgerecht erscheinende Strafvorbehalt leerliefe. Von einer unzulässigen "Sippenhaft" kann daher keine Rede sein. Im übrigen ist anzumerken, dass im vorliegenden Fall auch der Kläger zu 1) keineswegs völlig unbescholten ist. Gegen ihn erging im September 1997 ein Strafbefehl wegen eines gemeinschaftlich mit der Klägerin zu 2) begangenen Ladendiebstahls.

In der gesetzlichen Ausschlussregelung vermag das Gericht auch keine Verletzung der Menschenwürde (Art 1 GG), des Diskriminierungsverbotes (Art 3 Abs. 3 GG) oder des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips zu erblicken. Dass ein Verstoß gegen Strafgesetze mitunter auch zur Folge haben kann, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verweigert wird und sich dies auch auf den Rest der Familie auswirken kann, ist in diesem Zusammenhang nicht als überraschende oder unverhältnismäßige Rechtsfolge zu werten. Eine Diskriminierung kann hierin nicht gesehen werden. Vielmehr erscheint es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei straffällig gewordenen Ausländern eine "Gnadenreglung" auch für die übrigen Familienmitglieder ausgeschlossen wissen will. Immerhin konnten diese das delinquente Familienmitglied nicht von dessen Straftaten abhalten. Eine schicksalhafte Überforderung eines Jugendlichen mit der Bürde, die gewünschte Zukunftsplanung der gesamten Familie durch dessen Straffälligkeit vereitelt zu haben (wovon das AG Bernau in dem von den Klägern zitierten Urteil vom 03.08.2007 ausgegangen ist), steht im vorliegenden Fall nicht in Rede. Vielmehr gingen beide Kläger auf Diebestour. [...]

Auch der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG steht der Versagung von Aufenthaltserlaubnissen im Falle erheblicher Straffälligkeit eines Familienmitgliedes nicht entgegen, denn ein Auseinanderreißen der Familie im Falle aufenthaltsbeendender Maßnahmen steht hier gerade nicht in Rede.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit dem § 104 a Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgesehen hat, dass dem Ehegatten des straffällig gewordenen Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis dennoch erteilt werden kann, wenn der Ehegatte die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 AufenthG im Übrigen erfüllt und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Diese Härtefalleregelung spricht insoweit auch gegen die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kläger, ermöglicht sie doch ein Abweichen im Einzelfall. [...]