VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 28.08.2008 - M 17 K 07.51093 - asyl.net: M14629
https://www.asyl.net/rsdb/M14629
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG nach Vietnam wegen HIV-Infektion im Stadium B III.

 

Schlagwörter: Vietnam, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, HIV/Aids, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG nach Vietnam wegen HIV-Infektion im Stadium B III.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache ohne Erfolg. [...]

Für die Klägerin liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Vietnam vor. [...]

Es kann dahin stehen, ob Aids in Vietnam eine derart weit verbreitete Erkrankung ist, dass von einer Allgemeingefahr für eine Bevölkerungsgruppe im Sinne der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auszugehen ist, denn für die Klägerin wären bei einer Rückkehr nach Vietnam schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu befürchten. Auf Grund der vorliegenden ärztlichen Atteste ist nachgewiesen, dass die Klägerin an einer chronischen HIV-Infektion (Stadium B III nach CDC) leidet und auf eine antiretrovirale Kombinationstherapie, zuletzt bestehend aus Truvada, Regataz und Norvir, eingestellt ist. Eine HIV-Infektion ist derzeit nicht heilbar, wohl aber behandelbar mit der Folge, dass vor allem die Symptome abgemildert und damit auch das Leben der HIV-Infizierten verlängert werden kann (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl., S. 685). Nach dem amtsärztlichen Attest vom ... Juli 2008 ist eine regelmäßige Kontrolle und Behandlung der Klägerin durch auf dieses Krankheitsbild spezialisierte Ärzte notwendig. Bei Nichtfortführung dieser Behandlung wäre konkret eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands zu befürchten. Die Klägerin ist nicht nur darauf angewiesen, mit Medikamenten versorgt zu werden, sondern auch darauf, dass diese Medikamenteneinnahme durch Spezialisten überwacht wird, da auf die jeweilige Verträglichkeit der Medikamente bzw. auch auf die zahlreichen möglichen Folgeerkrankungen und auf die Nebenwirkungen der antiretroviralen Medikamente reagiert werden muss.

Das Gericht geht davon aus, dass im Falle einer Rückkehr der Klägerin nach Vietnam die lückenlose Fortsetzung der indizierten und lebensnotwendigen Therapie nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 14. Juli 2008 sind Personen mit HIV/AIDS in Vietnam auf Grund kultureller Faktoren, Vorurteilen und Angst Opfer von Diskriminierungen. Die Regierung habe 2004 eine nationale Anti-AIDS-Strategie verabschiedet. Laut Äußerungen ausländischer Gesundheitsberater würden HIV-infizierten Frauen, die gesunde Kinder zur Welt bringen, die Kinder nach der Geburt weggenommen und in staatliche Obhut (Waisenheime) gegeben. Die Frauen erhielten nach der Schwangerschaft keine staatliche Unterstützung. Während der Schwangerschaft würden sie mit Medikamenten, die eine Übertragung des Virus auf das Kind verhindern, versorgt. Diese Aussagen sprechen dafür, dass Ziel der nationalen Anti-AIDS-Strategie vor allem ist, der Ausbreitung der Epidemie entgegen zu wirken und die Ansteckung von Kindern zu verhindern, die Hilfe für die infizierten Frauen tritt dahinter zurück. Hierfür spricht ferner die Auskunft der Deutschen Botschaft Hanoi an das Bundesamt vom ... August 2006. Danach ist die Behandlung von HIV/AIDS in bestimmten Zentren in Hanoi, Quang Ninh und Ho-Chi-Minh-City möglich. Diese Kliniken böten wohl kostenlose Konsultationen an bzw. einige staatliche Kliniken zu sehr geringen Kosten. CD4/CD8-Tests seien in einzelnen Zentren durchführbar; der Preis liege zwischen 20 und 30 USD. Auch könne die Viruslast in drei Instituten bestimmt werden. Die von der Klägerin mittlerweile eingenommenen Medikamente Truvada, Regataz und Norvir sind in der Medikamentenliste, die in der Auskunft enthalten ist, nicht ausdrücklich aufgeführt. Die in Vietnam erhältlichen Medikamenten werden laut Auskunft kostenlos für in Frage kommende Patienten, die nach entsprechendem "staging" in den genannten Zentren registriert sind, bereitgestellt. Über das staatliche Apothekensystem seien lediglich einzelne Medikamente kommerziell verfügbar. Abschließend wird in der Auskunft darauf hingewiesen, dass, sollte ein Patient eine ARV-Behandlung wünschen, er sich bei einer der genannten Kliniken registrieren (lassen) sollte, er würde dann Schritt für Schritt in das Programm aufgenommen werden.

Diese Auskunft ist sehr vage, was die Möglichkeit der Behandlung betrifft, insbesondere unter welchen Voraussetzungen Infizierte in das Programm aufgenommen werden. Dementsprechend ist kaum eine Prognose möglich, ob überhaupt und wenn ja, wie schnell die Klägerin die indizierte Therapie nach einer Rückkehr nach Vietnam fortsetzen kann. Nachdem bei der Klägerin bereits ein fortgeschrittenes Stadium der Erkrankung diagnostiziert worden ist, könnte eine Unterbrechung der Therapie, weil eine nahtlose Weiterbehandlung in Vietnam nicht sichergestellt ist, zu erheblichen konkreten Gefahren für Gesundheit und Leben der Klägerin führen. [...]