Keine ernsthafte Bedrohung gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG/Art. 15 Bst. c Qualifikationsrichtlinie in Kabul; kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung wegen allgemeiner Gefahren, da in Hamburg gleichwertiger Abschiebungsschutz für Afghanen besteht.
Keine ernsthafte Bedrohung gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG/Art. 15 Bst. c Qualifikationsrichtlinie in Kabul; kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung wegen allgemeiner Gefahren, da in Hamburg gleichwertiger Abschiebungsschutz für Afghanen besteht.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Im Übrigen ist die Klage zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen, ist zulässig.
Die Klage ist nicht deshalb mangels eines Rechtsschutzinteresses unzulässig, weil eine Abschiebung der Kläger nach Afghanistan gegenwärtig nicht vorgesehen ist und sie eine Duldung erhalten. Zwar kommt die Unzulässigkeit einer Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes dann in Betracht, wenn durch den entsprechenden Antrag keine zusätzliche oder jedenfalls keine schwächere Rechtsposition erlangt werden könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001, BVerwGE 114, 379). Eine solche Konstellation dürfte hier aber nicht gegeben sein. Zwar werden nach Mitteilungen der Pressestelle des Senats gegenwärtig Rückführungen afghanischer Staatsangehöriger nicht vollzogen und wurde eine entsprechende Regelung in den Koalitionsvertrag der jetzigen Regierungsparteien aufgenommen. Afghanische Staatsangehörige erhalten gegenwärtig eine Duldung. Die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG würde den Klägern jedoch eine zusätzliche Rechtsposition gewähren, die insbesondere für eine Verfestigung des Aufenthaltstitels (etwa nach § 25 Abs. 3 AufenthG) von Bedeutung sein kann. Inwieweit die Gewährung einer Duldung zu einer Einschränkung der Ansprüche nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG führen kann, etwa weil die Feststellung einer extremen Gefährdungslage wegen allgemeiner Gefahren versagt ist, ist - wie auch das Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG - eine Frage der Begründetheit der Klage (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 26.6.2008, 5 A 850/06).
2. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. [...]
a) Der Antrag der Kläger, mit dem sie Schutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG begehren, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
aa) Die Kläger sind in Afghanistan keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt. Es bedarf in diesem Zusammenhang zunächst keiner weiteren Erörterung der Frage des Charakters der in Afghanistan bestehenden Unsicherheit der allgemeinen Lage als bewaffneter Konflikt und der Frage nach dem Erfordernis einer extremen Gefahr wegen Betroffenheit der gesamten Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe. Denn trotz der zunehmenden Zahl von Attentaten, Überfällen und Übergriffen sowie sonstiger gewaltsamer Auseinandersetzungen kann ein "Ausgesetztsein" im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG - womit die in Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004, Abl. L 304/12) genannte ernsthafte Bedrohung aufgegriffen wurde, nicht festgestellt werden (vgl. OVG Münster, Urt. v. 28.2.2008, 20 A 2375/07.A, Juris; VGH Kassel, Urt. v. 7.2.2008, 8 UE 1913/06.A, juris; VG Hamburg, Urt. v. 12.3.2008, 6 A 398/04). Im Ergebnis kann die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan - trotz negativer Entwicklung - nicht als so kritisch angesehen werden, dass jeder in sein Heimatland zurückkehrende und nach Kabul gelangende Afghane berechtigter Weise Sorge hegen muss, Opfer eines Übergriffs oder Anschlags zu werden oder in sonstiger Weise von rivalisierenden ethnischen, religiösen oder sonst motivierten Gruppen oder Banden in seinem Leben oder seiner Unversehrtheit geschädigt zu werden, also ernsthaft individuell bedroht zu sein. Dies gilt vor allem im Hinblick auf entsprechende Auseinandersetzungen im Raum Kabul (vgl. OVG Münster, a.a.O.; VGH Kassel, a.a.O.; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008).
bb) Das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann ebenfalls nicht festgestellt werden. [...]
cc) Weitere Gefahren, insbesondere hinsichtlich der Versorgung und Unterbringung in Afghanistan sind als "allgemeine Gefahren" nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG einzustufen. Wegen des in Hamburg für die Kläger bestehenden Schutzes haben sie vorliegend keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG. [...]
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 23.8.2006, 1 B 60/06, juris), der das Gericht folgt, ist die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG nur dann geboten, wenn der einzelne Asylbewerber ansonsten gänzlich schutzlos bliebe, d.h. wenn seine Abschiebung in den gefährlichen Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamtes oder der Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde, was vorliegend zu verneinen ist. Wie bereits ausgeführt, werden insbesondere afghanische Familien mit minderjährigen Kindern derzeit nicht nach Afghanistan abgeschoben und erhalten eine Duldung. Dies soll auch weiterhin gelten und eine entsprechende Regelung wurde in den Koalitionsvertrag zwischen den jetzigen Regierungsparteien in Hamburg aufgenommen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es für einen vergleichbar wirksamen Schutz in materieller Hinsicht nur auf die Schutzwirkung der Duldung ankommt, nicht aber auf deren Folgewirkungen im Hinblick auf eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts, wie etwa ein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis. Die durch das Aufenthaltsgesetz eingeführte bessere aufenthaltsrechtliche Stellung des Betroffenen bei der Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG gehört nicht zu dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz vor Abschiebung in eine unmittelbar drohende extreme Gefahrensituation (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.8 2006, a.a.O.).
Schließlich wird auf Folgendes hingewiesen: Sollte der mögliche ausländerrechtliche Schutz für afghanische Familien entfallen - wofür aktuell allerdings nichts spricht - so können die Kläger bei der Beklagten geltend machen, dass nunmehr eine neue Sachlage entstanden sei. Bis zu einer Entscheidung der Beklagten über einen solchen Wiederaufgreifensantrag darf die Abschiebung nur dann vollzogen werden, wenn den Klägern zuvor Gelegenheit zur Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen (Eil-) Rechtsschutzes gegeben worden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.8.2006, a a.O.). [...]