[...]
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.11.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Zu Recht hat das Bundesamt die Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte und die mit Bescheid vom 06.05.1997 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (nunmehr Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen, widerrufen. Auch die Entscheidung des Bundesamts, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen und ihr daher die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden. [...]
Die Klägerin kann auch nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigte anerkannt werden. Unter Berücksichtigung der allgemeinpolitischen Lage in der Türkei und der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in die Türkei derzeit eine politische Verfolgung droht.
Allein aufgrund ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit hat die Klägerin bei einer Rückkehr in die Türkei keine staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. Eine landesweite oder auch nur örtlich begrenzte Gruppenverfolgung der Kurden ist derzeit nicht anzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.11.2004 - A 12 S 1189/04 -, Juris). Auch soweit die Klägerin in ihrem ursprünglichen Asylverfahren auf eine yezidische Religionszugehörigkeit abgehoben hat, vermag sie hieraus nichts für sich herzuleiten. Denn sie hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass sie glaubensgebunden ist und ihren Glauben auch praktiziert. Im vorliegenden Verfahren hat sie sich auf eine yezidische Religionszugehörigkeit nicht einmal mehr berufen.
Der Klägerin droht aufgrund der - durch Einbürgerung mittlerweile erloschenen - Asylanerkennung ihres Ehemannes bei einer Rückkehr in die Türkei auch keine politische Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der so genannten Sippenhaft. Nach einhelliger Rechtsprechung und allgemeiner Auskunftslage wird in der Türkei keine Sippenhaft in dem Sinne praktiziert, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Selbst nahen Angehörigen von landesweit gesuchten Aktivisten einer militanten staatsfeindlichen Organisation droht derzeit keine Sippenhaft mehr (vgl. z.B. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.07.2001 - A 12 S 228/99 -, m.w.N.; OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 19.04.2005 - 8 A 273/04.A -, Juris).
Schließlich sind auch der vom Bundesamt getroffene Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, sowie die Entscheidung des Bundesamts, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen und ihr daher die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen ist, nicht zu beanstanden.
Beruht - wie hier - die positive Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG (§ 60 Abs. 1 AufenthG) durch das Bundesamt auf einem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteil, hindert die Rechtskraft dieser Entscheidung bei unveränderter Sach- und Rechtslage grundsätzlich jede erneute und jede abweichende Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung. Dies folgt aus § 121 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. § 73 Abs. 1 AsylVfG befreit nicht von dieser - grundsätzlich zeitlich nicht begrenzten - Rechtskraftbindung, sondern setzt vielmehr voraus, dass die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung dem Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht entgegensteht. Eine Lösung der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil kann daher nur dann eintreten, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich verändert, wobei nicht jegliche nachträgliche Änderung der Verhältnisse die Rechtskraftwirkung eines Urteils entfallen lässt. [...]
Gemessen an diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall die Widerrufsvoraussetzungen gegeben. Denn der Widerruf kann nach den o.g. Maßstäben auf eine nachträgliche entscheidungserhebliche Veränderung der speziell die Klägerin betreffenden Verhältnisse gestützt werden. Zwar hat sich die für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen hier maßgeblich in den Blick zu nehmende Situation von türkischen Asylbewerbern kurdischer Volkszugehörigkeit, die die Türkei unverfolgt verlassen, sich im Bundesgebiet aber exilpolitisch betätigt haben, nicht erheblich geändert. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 13.12.1993 - A 12 S 1492/91 -, vom 28.11.1996 - A 12 S 922/94 -, vom 01.12.1997- A 12 S 676/95 -, vom 07.10.1999 - A 12 S 1021/97 -, vom 22.03.2001 - A 12 S 280/00 vom 27.07.2001 - A 12 S 228/99 - ; OVG Hamburg, Urt. v. 13.07.2006 - 4 Bf 318/99.A -; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 20.06.2006 - 4 LB 56/02 - ; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.05.2006 - 10 B 5.05 -; OVG Bremen, Urt. v. 22.03.2006 - 2 A 303/04.A ; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 10.03.2006 - 10 A 10665/05.OVG; Hess. VGH, Urt. v. 18.01.2006 - 6 UE 489/04 -; OVG des Saarlandes, Urt. v. 28.09.2005 - 2 R 2/05 -; OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 19.04.2005 - 8 A 273/04.A -) war und ist unter Zugrundelegung der auch in das vorliegende Verfahren eingeführten Erkenntnismittel geklärt, dass wegen exilpolitischer Betätigung bei einer Rückkehr in die Türkei dort - wenn überhaupt - nur exponierten Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Selbst wenn das exilpolitische Engagement der Klägerin dadurch, dass ihr Name in der Ausgabe der linksradikalen Zeitung Hevi in einer Solidaritätsadresse zugunsten der PSK vom 17.01.1997 aufgenommen war, im Zeitpunkt der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG als asylrechtlich relevant einzustufen gewesen war, so ist jedenfalls eine wesentliche, von der Rechtskraftbindung des früheren Urteils befreiende entscheidungserhebliche Änderung der individuellen Verhältnisse der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung deshalb anzunehmen, weil die Klägerin seit Jahren nicht mehr exilpolitisch in Erscheinung getreten ist. [...]