[...]
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 113 Abs. 3 Satz 1 und Satz 4 VwGO kann das Gericht binnen sechs Monaten nach Eingang der Behördenakten den Verwaltungsakt ohne Entscheidung in der Sache selbst aufheben, sofern es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist.
So liegt es hier.
Als Rechtsgrundlage für die angefochtene Widerrufsentscheidung kommt im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nach Lage der Dinge alleine § 73 AsylVfG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) in Betracht. [...]
Der Entscheidung über den Widerruf ist derselbe Prognosemaßstab zugrunde zu legen, der bereits bei der zu widerrufenden Entscheidung selbst maßgebend war. Bei einem vorverfolgt aus seiner Heimat ausgereisten Ausländer setzt ein Widerruf demgemäß eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der zum Zeitpunkt der Zuerkennung maßgeblichen Verhältnisse dergestalt voraus, dass bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Umstände mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen erscheint und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (vgl. etwa BVerwGE 124, 276 [281]). Im Falle unverfolgt eingereister Schutzsuchender hat ein Widerruf demgegenüber bereits dann zu erfolgen, wenn aufgrund einer entsprechenden Änderung der Verhältnisse Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr beachtlich wahrscheinlich sind (BVerwGE 126, 243 [252]).
Bei einer Überprüfung anhand dieser Grundsätze kann der angefochtenen Entscheidung letztlich bereits nicht eindeutig entnommen werden, ob es sich beim Kläger um einen Vorverfolgten oder aber um einen unverfolgt aus seiner Heimat Ausgereisten handelt. Eine ausdrückliche Feststellung hierzu fehlt. In der Sache selbst wendet die Beklagte lediglich bei der Prüfung einer drohenden Strafverfolgung bzw. einer menschenrechtswidrigen Behandlung bei der Einreise zweimal punktuell den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab für Vorverfolgte an, wohingegen die Ausführungen zur Situation in der Türkei im Übrigen keine Anhaltspunkte für den insoweit zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab enthalten. Erkenntnisse hierzu ergeben sich auch nicht aus dem widerrufenen Bescheid vom 2. September 1996, der zur Begründung allein darauf verweist, durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 11. Juli 1996, 2 K 1606/94.TR, zu der nunmehr getroffenen Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG verpflichtet worden zu sein. Das Urteil selbst stützt sich indessen ausschließlich auf eine dem Kläger "im Falle seiner Rückkehr bereits anläßlich der an den Grenzen durchgeführten Einreisekontrollen im Hinblick auf sein Schicksal in der Türkei ... mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit" drohende politische Verfolgung; die Frage nach einer Vorverfolgung, insbesondere auch mit Blick auf die beklagtenseits im damaligen Ablehnungsbescheid vom 28. Juli 1994 angenommene inländische Fluchtalternative, lässt es hingegen offen.
Die damit bislang ungeklärt gebliebene Frage, ob der Kläger vorverfolgt oder unverfolgt aus seiner Heimat ausgereist ist, kann auch nicht etwa wegen vorliegend selbst im Falle einer Anwendbarkeit des - für den Kläger günstigeren - herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes gegebener Voraussetzungen für einen Widerruf offen bleiben. Von einer mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossenen politischen Verfolgung des Klägers bei heutiger Rückkehr in die Türkei kann nämlich derzeit nicht ausgegangen werden. Die von der Beklagten reklamierte entsprechende erhebliche Änderung der dortigen maßgeblichen Verhältnisse vermag die Kammer nicht festzustellen. Die bislang mit der Problematik befasst gewesenen Verwaltungsgerichte vertreten insoweit fast einhellig die Auffassung, dass sich zwar die Gesetzeslage in der Türkei verbessert, der Mentalitätswandel in Verwaltung und Justiz mit dem gesetzgeberischen Tempo jedoch nicht habe Schritt halten können, so dass es insbesondere nach wie vor zu Folter und Misshandlungen durch staatliche Kräfte, besonders in den ersten Tagen eines Polizeigewahrsams, komme, ohne dass es dem türkischen Staat bislang gelungen sei, dies wirksam zu unterbinden. Zudem habe sich aufgrund der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch die PKK im Jahre 2004 die Lage in der Türkei auch nicht etwa entspannt, sondern vielmehr verschärft. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird insoweit exemplarisch Bezug genommen auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Urteile des VG Stuttgart vom 30. Juni 2008, A 11 K 304/07, des VG Neustadt vom 2. Juni 2006, 4 K 186/08.NW, des VG Aachen vom 26. März 2008, 6 K 1094/07.A, des VG München vom 7. Februar 2008, M 24 K 07.50978, des VG Frankfurt vom 14. Dezember 2007, 6 E 3344/06.A, und des VG Hamburg, Urteil vom 25. Oktober 2007, 15 A 387/07 ( a.A.: VG Ansbach, Urteil vom 3. April 2008, AN 1 K 05.31304).
Kommt eine Widerrufsentscheidung damit vorliegend nach Lage der Dinge überhaupt nur dann in Betracht, wenn dem Kläger zum einen der Schutz des § 51 Abs. 1 AuslG als nicht Vorverfolgtem gewährt worden ist und zum anderen eine nachträgliche Veränderung der hierfür maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei zumindest dergestalt vorliegt, dass eine politische Verfolgung bei heutiger Einreise nicht mehr beachtlich wahrscheinlich droht, so fehlt es - wie bereits ausgeführt - schon an den erforderlichen Feststellungen zu der erstgenannten Voraussetzung. Überdies lägen, selbst wenn danach der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden wäre, keine hinreichenden Erkenntnisse für eine entsprechende Prognose in Bezug auf die Person des Klägers vor, so dass es auch insoweit noch weiterer Sachaufklärung bedürfte.
Der angefochtene Bescheid verweist zwar darauf, dass nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 2007 diesem seit vier Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus der Bundesrepublik in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen hätten explizit erklärt, dass diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionen drohten.
Die zur Entscheidung über einen Widerruf anzustellende Verfolgungsprognose hat jedoch konkret auf den Kläger in seiner speziellen Situation abzustellen. Bei der Person des Klägers handelt es sich indessen gerade nicht um einen (umfassend) abgelehnten Asylbewerber, sondern ihm ist im Jahre 1996 zunächst als politisch Verfolgtem Flüchtlingsschutz in Form einer positiven Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG gewährt worden. Damit dürfte er nach der Lebenserfahrung in den Augen der türkischen Behörden viel eher als ein abgelehnter Asylbewerber verdächtig sein, sich vor seiner Ausreise aus der Türkei in einer damals die Gefahr einer politischen Verfolgung begründenden Weise gegen den türkischen Staat engagiert zu haben. Dem kann der Kläger auch nicht etwa wirksam durch ein Verschweigen des ihm durch die Bundesrepublik Deutschland zuerkannten Schutzes begegnen, da ein solcher zum einen bereits angesichts der Dauer des zwischenzeitlichen Aufenthaltes von mehr als 14 Jahren naheliegt und dem Kläger überdies im Falle einer Abschiebung mangels Reisepass vorläufige Reisepapiere ausgestellt werden müssten, aus denen der Aufenthaltszweck ersichtlich würde (vgl. dazu das Urteil des VG Trier vom 11. Juli 1996, 2 K 1606/94.TR). Überdies stammt der Kläger aus der Provinz Sirnak. Hierzu hat ebenfalls schon das VG Trier in seinem Urteil vom 11. Juli 1996 festgestellt, dass gerade aus dieser Region stammende Kurden oftmals von vornherein verdächtigt würden, mit der PKK zu sympathisieren. Aus heutiger Sicht kommt noch hinzu, dass ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 2007 (Seite 18) der türkische Generalstab dort seit Juni 2007 auch wieder zeitweilige Sicherheitszonen und militärische Sperrzonen eingerichtet hat, was ebenfalls darauf schließen lässt, dass Vorgänge mit Bezügen zu dieser Region derzeit verstärkt im Fokus der türkischen Sicherheitsbehörden stehen. Des weiteren wirbt die PKK, so der vorgenannte Lagebericht (Seite 17), wieder verstärkt Kämpfer an, so dass in die Türkei zurückkehrende Kurden entsprechenden Alters möglicherweise auch von daher mit einer besonders intensiven Überprüfung zu rechnen haben. Verstärkt wird diese Gefahr im Falle des Klägers schließlich auch noch durch den Umstand, dass er seinen Militärdienst nicht abgeleistet hat.
Die für eine Verfolgungsprognose unter Berücksichtigung dieser Einzelfallumstände vorliegend noch erforderlichen weiteren Ermittlungen stellen sich - insbesondere aufgrund des Auslandsbezuges - als erheblich dar. Überdies erscheint es auch sachdienlich, mittels Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die weitere Sachverhaltsaufklärung der Beklagten aufzuerlegen, da sich die Aufklärung essentieller Sachverhaltsmomente durch die Behörde auch unter dem Gesichtspunkt einer funktionsgerechten Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Judikative und Exekutive als sinnvoll darstellt. Eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange der Beteiligten hierdurch vermag die Kammer nicht zu erkennen. [...]