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VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 17.09.2008 - unbekannt - asyl.net: M14647
https://www.asyl.net/rsdb/M14647
Leitsatz:

Kein Aussetzung der Dublin-Überstellung nach Griechenland, da dort trotz gewisser Mängel grundsätzlich Asylverfahren durchgeführt werden, die der Verfahrensrichtlinie und der Richtlinie zu den Aufnahmebedingungen entsprechen; die Durchführung einer Anhörung stellt keine Ausübung des Selbsteintrittsrechts dar.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Abschiebungsanordnung, Verordnung Dublin II, Griechenland, Selbsteintrittsrecht, Anhörung, Verfahrensrichtlinie, Aufnahmebedingung, Zustellung, Ablehnungsbescheid, Rechtsweggarantie, vorbeugender Rechtsschutz, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; EG VO Nr. 343/2003 Art. 3 Abs. 2; AsylVfG § 27a; GG Art. 16a Abs. 2; AsylVfG § 26a; AsylVfG § 31 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. [...]

Ein Anordnungsgrund ist hier gegeben, weil dem Antragsteller die Abschiebung für den 18. September 2008 unmittelbar bevorsteht und eine Eilbedürftigkeit als Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes vorliegt.

Einem Anordnungsanspruch steht jedoch bereits die Ausschlussklausel des § 34a Abs. 2 AsylVfG entgegen. Demnach darf eine Abschiebung im Sinne von § 34a Abs. 1 AsylVfG nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden.

Der Anwendung des § 34a Abs. 2 AsylVfG steht zunächst nicht entgegen, dass die Zuständigkeit von Griechenland gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung EG Nr. 343/2003 (Amtsbl. EG 2003, L 50/1) vom 18.02.2003 (Dublin II) für die Prüfung eines vom Antragsteller gestellten Asylantrags entfallen wäre, weil die Antragsgegnerin zu 1) von dem in ihrem Ermessen stehenden Recht Gebrauch gemacht hätte, das Asylbegehren des Antragstellers gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung EG Nr. 343/2003 selbst zu behandeln. Allein die unter dem 17.01.2008 umfassend erfolgte Anhörung des Antragstellers zu seinem Asylbegehren reicht insofern nicht aus, die für eine Übernahme notwendige Absicht, über das Asylbegehren auch in der Sache zu entscheiden, zu begründen (so auch VG des Saarlandes, Beschluss vom 20.03.2007 - 2 L 399/07 -, m.w.N.).

Vielmehr ergibt sich insoweit aus den Verwaltungsunterlagen eindeutig, dass die Antragsgegnerin zu 1) zum Zeitpunkt der Anhörung bereits der Aufenthalt des Antragstellers in Griechenland bekannt war und die Absicht bestand, Griechenland zu dessen Aufnahme zwecks Durchführung eines Asylverfahrens aufzufordern (vgl. Anfrage vom 28.01.2008). [...]

Im vorliegenden Fall soll der Antragsteller in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nach § 27a AsylVfG abgeschoben werden, nachdem feststeht, dass die Abschiebung in diesen Staat durchgeführt werden kann. [...]

Mit seinen Anträgen, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung nach Griechenland zu unterlassen bzw. keine Abschiebung nach Griechenland durchzuführen, begehrt der Antragsteller letztlich, die Überstellung an Griechenland zu unterbinden. Das aber ist genau das Rechtsschutzziel, das von § 34a Abs. 2 AsylVfG verhindert werden soll.

Früher in der Rechtsprechung (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 03.02.2006 - 4 G 227/06.A - AuAS 2006, 67 = InfAuslR 2006, 250 = NVwZ 2006, 427) erhobenen Einwände gegen die Anwendbarkeit von § 34a Abs. 2 AsylVfG greifen mittlerweile nicht mehr durch, weil § 27a AsylVfG durch das Gesetz vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, S. 1970) eingefügt und § 34a Abs. 1 AsylVfG entsprechend geändert worden ist, so dass eine neue Rechtslage vorliegt. Zudem enthält Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Verordnung EG Nr. 343/2003 einen Vorbehalt hinsichtlich der nationalen Regelung der Rechtsbehelfe, die bei Fällen wie dem vorliegenden einen Eilrechtsschutz ausschließen und nur für die Hauptsache den Klageweg eröffnen. Die Regelung in § 34a Abs. 2 AsylVfG ist damit nicht zu beanstanden (so auch VG München, Beschluss vom 07.01.2008 - M 4 E 08.59 -; VG Augsburg, Beschluss vom 13.03.2008 - 6 E 08.306 - und VG Ansbach, Beschluss vom 14.02.2008 - AN 14 E 08.30033; AN 14 E 08.30035 - jew. zit. nach juris).

Es liegt auch keiner jener Ausnahmefälle vor, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - aus Gründen verfassungskonformer Auslegung der Drittstaatenregelung und der sie flankierenden Regelung in § 34a Abs. 2 AsylVfG - anerkannt sind. Über das gesetzliche Verbot in § 34a Abs. 2 AsylVfG dürfen sich die Verwaltungsgerichte nur dann hinwegsetzen, wenn dem Ausländer im Abschiebungszielstaat die Todesstrafe droht, wenn für ihn die konkrete Gefahr besteht, dort im unmittelbaren Zusammenhang mit der Zurückweisung oder Zurückverbringung Opfer eines Verbrechens zu werden, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaates steht, wenn sich die für die Qualifizierung als "sicher" maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben, wenn der Drittstaat voraussichtlich selber gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greifen wird oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuches entledigen wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 166 = BGBl I 1996, 952 = DVBI 1996, 739 = NVwZ 1996, 678 = DÖV 1996, 654 = EzAR 632 Nr. 25; VG des Saarlandes, Beschluss vom 23.07.2008 - 2 L 446/08 - zit. nach juris).

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit des Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist. So kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Griechenland eine auch nur annähernd vergleichbare Gefährdungssituation droht, wie sie im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.05.1996 skizziert worden ist. Die Kammer folgt nicht der in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 25.04.2008 - 2 L 102/08.GI.A -; daran anschließend: VG Schleswig, Beschluss vom 16.06.2008 - 6 B 18/08 - und VG Karlsruhe, Beschluss vom 23.06.2008 - A 3 K 1412/08 - jew. zit. nach juris), dass in Griechenland generell eine ordnungsgemäße Durchführung eines Asylverfahrens nicht gewährleistet ist. Da es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist schon aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Vergewisserungskonzeptes davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht die Verordnung EG Nr. 343/2003 auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist. Zwar mag ein zur Unanwendbarkeit des § 34a Abs. 2 AsylVfG führender Ausnahmefall auch dann vorliegen, wenn ein europäischer Drittstaat in feststellbarer Weise insbesondere weder die Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.2005 (ABl. EG 2005, L 326 S. 13) einhält noch den Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 (ABl. EG 2003 L 31 S. 18) Rechnung trägt. Es ist aber auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse davon auszugehen, dass trotz gewisser Mängel in Griechenland grundsätzlich Asylverfahren durchgeführt werden, die den genannten Richtlinien entsprechen (so auch VG Frankfurt, Beschluss vom 11.01.2008 - 7 G 3911/07.A - und VG Augsburg Beschluss vom 25.03.2008 - Au 5 E 08.30050 -, vgl. auch VG des Saarlandes, Beschlüsse vom 23.07.2008, a.a.O. und vom 08.08.2008 - 2 L 730/08 -, jew. zit. nach juris).

Es daher nicht festzustellen, dass Asylbewerbern in Griechenland ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren droht, so dass eine Rückführung nach Griechenland generell zu untersagen ist. Dabei ist im Falle des Antragstellers im Speziellen zu berücksichtigen, dass sich Griechenland mit Schreiben des Ministry of Interior, Hellenic Police Headquarters, Security & Order Branch, Aliens Division, Asylum Section, Greek Dublin Unit, vom 02.05.2008 dazu bereit erklärt hat, den Antragsteller entsprechend des Verfahrens nach Art. 18.7 und 10.1 Dublin II aufzunehmen. Außerdem wird in dem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es dem Antragsteller möglich ist, nach der Ankunft in Griechenland dort einen Asylantrag zu stellen, sofern er dies wünscht. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass Griechenland den Antragsteller nicht entsprechend der europäischen Richtlinien 2005/85/EG und 2003/9/EG behandeln würde und ausnahmsweise eine Untersagung der Abschiebung unter Berücksichtigung der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten ist.

Damit ist der Antrag nach § 123 VwGO bereits unzulässig.

Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Bescheid vom 17.04.2008, mit dem die Unzulässigkeit des Asylantrags des Antragstellers festgestellt und seine Abschiebung nach Griechenland angeordnet worden ist, rechtlich noch nicht wirksam geworden ist, weil er dem Antragsteller bisher nicht bekannt gegeben worden ist. So ist weder in den Verwaltungsunterlagen der Antragsgegnerin zu 1) noch des Antragsgegners zu 2) ein Zustellungsnachweis vorhanden. Der Antragsgegner zu 2) trägt insoweit vor, dass die Aushändigung des Bescheides vom 17.04.2008 am morgigen Tag erfolgen soll. Auch wenn erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens bestehen, weil nach § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG ausdrücklich eine Zustellung der Entscheidung nach § 27a AsylVfG sowie der damit verbundenen Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG vorgeschrieben ist und durch das Vorgehen der Antragsgegner die Möglichkeiten des Rechtsschutzes für den Antragsteller, die unter der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG stehen, erheblich eingeschränkt werden, ändert dies im vorliegenden Fall nichts daran, dass eine Untersagung der Abschiebung in einen anderen Staat der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf die Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht kommt. Ein solcher Sonderfall ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG ist eine zumindest vorläufige Untersagung der Abschiebung nicht geboten, da der Antragsteller die Möglichkeit der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens hatte. [...]