Keine Gefahr für ehemaligen Kämpfer der RUF in Sierra Leone mehr.
Keine Gefahr für ehemaligen Kämpfer der RUF in Sierra Leone mehr.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die zulässige Klage ist nicht begründet. [...]
Nach § 73 Abs. 3 AsylVfG ist die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG (bzw. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) vorliegen, zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist, bzw. zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. [...]
Aus dem Vortrag im ersten Asylverfahren des Klägers kann allenfalls seine Behauptung, er sei damals von Regierungskräften gesucht worden, weil diese der Auffassung gewesen seien, er habe die RUF-Rebellen zu einer Diamantenmine geführt und diese dadurch unterstützt, in einen Zusammenhang mit der Begründung seiner Klage im vorliegenden Verfahren gebracht werden. Dieser Vortrag kann eine Suche der Polizei nach dem Kläger nicht begründen. Die vom Kläger angegebene (erzwungene) Unterstützung der RUF fand vor dem Abschluss des Friedensabkommens von Lome am 07.07.1999 statt. In diesem Abkommen wurde für alle Kämpfer eine vollständige Amnestie festgelegt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, West-Afrika, November 2000, Seite 161). Ausnahmen gibt es nur für solche Verbrechen, die nach dem 30.11.1996 begangen wurden und für die der Sondergerichtshof für Sierra Leone zuständig ist, der durch die Vereinten Nationen am 14.08.2000 eingerichtet wurde. Die Zuständigkeit beschränkt sich aber auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 17.02.2003 an das VG Gera).
Auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könnte sich der Kläger nur berufen, wenn diese Vorschrift im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anwendbar wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.2005 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und Beschluss vom 19.10.2005 - 1 B 16.05 - Juris). Dies setzte das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage voraus. Zwar sind die Lebensverhältnisse in Sierra Leone aufgrund der Folgen des Bürgerkriegs in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts und zum Beginn 21. Jahrhunderts sehr schwierig, was die Versorgungslage mit Lebensmitteln und die medizinische Versorgung betrifft. Während des Bürgerkriegs wurden 2 Millionen Menschen vertrieben. Etwa 490.000 von ihnen flohen nach Liberia und Guinea. Aufgrund von Rückkehrprogrammen des UNHCR kehrten von September 2000 bis Juli 2004 179.000 sierraleonesische Flüchtlinge zurück. Viele machten sich auf eigene Faust auf den Weg zurück. Derzeit sind noch 43.000 Flüchtlinge aus Sierra Leone beim UNHCR registriert (vgl. UNHCR, Sierra Leone - Flüchtlingsstatus wird aufgehoben, Mitteilung vom 01.08.2008). Die Rückkehr von hunderttausenden von Flüchtlingen und die Aufhebung des Flüchtlingsstatus durch den UNHCR zeigen, dass im Allgemeinen keine extreme Gefahrenlage in Sierra Leone mehr festgestellt werden kann (vgl. zum Nichtvorliegen einer extremen Gefahrenlage auch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2007 - 11 A633/05.A -, Bayerischer VGH, Urteil vom 21.07.2006 - 25 B 05.31119 - und OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2005 - 4 LB 110/99 -, jeweils Juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände wurden vom Kläger nicht vorgetragen.
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach dem Ende des Bürgerkriegs in Sierra Leone ist ein bewaffneter Konflikt nicht mehr feststellbar. Dieser ist zumindest nach dem Abschluss des nationalen Demobilisierungsprogramms Ende März 2004 abgeschlossen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 13.01.2005 an das VG Gera). Anhaltspunkte für gegenwärtige bewaffnete Konflikte gibt es nicht. Die Wahlen im Jahr 2007, die Anlass für solche Konflikte hätten sein können, verliefen friedlich (vgl. Freedom House, Freedom in the World - Sierra Leone (2008)).
3. Die Abschiebungsverbote aus § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. [...]
Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. [...]
Diese Gefahren können in Sierra Leone zwar nicht generell ausgeschlossen werden (vgl. U.S. Department of State, Sierra Leone, Country Reports on Human Right Practices, Seite 1). Es gibt aber keine greifbaren Anhaltspunkte, dass dem Kläger solche Gefahren drohen. Der Vortrag des Klägers, die Polizei fahnde nach ihm, reicht nicht aus (siehe oben 1.).
b) Nach § 60 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, wenn dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht. Sierra Leone hat die Todesstrafe nicht abgeschafft (Amnesty International, Jahresbericht 2007, Sierra Leone). Aufgrund des Vortrags des Klägers gibt es aber keinen Anhaltspunkt für ein Drohen der Todesstrafe, da er schon wegen des einzigen konkreten Sachverhalts, den er benannt hat, die (erzwungene) Unterstützung der RUF-Rebellen, wegen der Amnestie (siehe oben 1.) nicht mehr belangt werden kann. Es kann daher dahinstehen, ob dafür überhaupt die Todesstrafe hätte verhängt werden können.
c) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Konvention vom 4. November 1950 über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. [...] Der Schutzbereich des Art. 3 EMRK ist deckungsgleich mit § 60 Abs. 2 AufenthG. Auf die Ausführungen (oben 3a) wird verwiesen. [...]