VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 17.10.2008 - AN 14 K 06.30669 - asyl.net: M14658
https://www.asyl.net/rsdb/M14658
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Turkmenen, Nordirak, Diskriminierung, Verfolgungshandlung, Sicherheitslage, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist unbegründet. [...]

Das Bundesamt hat auch zu Recht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG abgelehnt. [...]

Die Klägerin hat ihre Heimat nicht wegen politischer Verfolgung verlassen und muss auch bei einer Rückkehr nicht mit politischer Verfolgung rechnen.

Die Klägerin hat im Verfahren mitgeteilt, dass ihre gesamte Verwandtschaft im Irak lebe, überwiegend in Arbil. Sie hat auch bis zu ihrer Ausreise in ihrem Beruf als Sportlehrerin gearbeitet und hat die von ihr behaupteten Diskriminierungen und Beeinträchtigungen nicht zum Anlass genommen, von sich aus ihre Berufstätigkeit zu kündigen. Die von der Klägerin berichteten Beeinträchtigungen erfüllen weder von der Art noch von der Intensität her die Anforderungen an eine politische Verfolgung. Wenn die Klägerin berichtet, sie habe nicht an sportlichen Veranstaltungen als Turkmenin teilnehmen dürfen, zeigt dies einerseits, dass die Klägerin in ihrer Heimat Beeinträchtigungen ausgesetzt war, die aber andererseits in ihrer Intensität nach keine ausgrenzende Verfolgung dargestellt haben, da in wesentlichen Lebensbereichen wie der Berufsausübung keine Verfolgung stattgefunden hat. Die Klägerin hat seit 1996 Schulen in Arbil besucht und von 1998 bis zum Jahre 2002 Sportpädagogik an der Universität in Arbil studiert und ab Ende des Jahres 2002 ein Jahr lang an einer Schule als Sportpädagogin gearbeitet. Die Klägerin mag im Verlaufe ihrer Ausbildung zwar wegen ihrer Volkszugehörigkeit Beeinträchtigungen ausgesetzt gewesen sein. Von einer an asylerhebliche Merkmale anknüpfenden, zielgerichteten politischen Verfolgung, die die Klägerin gesellschaftlich ausgegrenzt hat, kann aber nicht die Rede sein.

Der Klägerin war es auch möglich, ihren Mann in Arbil religiös und standesamtlich zu heiraten. [...] Auch die Tatsache, dass die gesamte Verwandtschaft der Klägerin nach wie vor im Irak lebt, überwiegend in Arbil, deutet darauf hin, dass die Klägerin auch bei einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen nicht zu befürchten hat. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2007 ist die Sicherheitslage in den unter autonomer kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten des Nordirak (Provinzen Arbil, Sulaymania und Dahuk) besser als in Bagdad oder in den Hochburgen der Aufständischen. Die Wahrscheinlichkeit durch Anschläge getötet zu werden ist geringer. Allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass auf Grund des beabsichtigten Referendums über die Zugehörigkeit der Stadt und Provinz Kirkuk zur autonomen Region Kurdistan-Irak die ethnischen Spannungen zwischen Kurden, Arabern und Turkmenen erheblich verschärft worden seien. Auch soll in der Stadt und der Region Kirkuk eine Zwangskurdisierung stattfinden durch die Ansiedlung von bis zu 200.000 kurdischen Neubürgern und Repräsentanten der arabischen und turkmenischen Bevölkerungsteile klagen darüber, dass sie aus der Region systematisch vertrieben werden sollen, um für das für Ende 2007 geplante Referendum eine pro-kurdische Mehrheit in der Provinz sicher zu stellen. Trotzdem weist der Lagebericht darauf hin, dass insgesamt Minderheiten in der Region Kurdistan-Irak etwas besser vor Gewalt und Verfolgung geschützt seien, als in den übrigen Landesteilen. Da die Klägerin nicht aus der Stadt oder Provinz Kirkuk stammt, sondern aus Arbil, ist sie von dieser Entwicklung nicht unmittelbar betroffen. Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt Bezug auf die Begründung im Bescheid des Bundesamtes vom 28. Juni 2006 bezüglich § 60 Abs. AufenthG. [...]

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen nicht vor. Nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln kann weder davon ausgegangen werden, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat eine erhebliche individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, noch dass sie im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erheblichen individuellen Gefahren für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2007 ist die Sicherheitslage im Irak verheerend, es gibt offene, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen, jedoch ist die Sicherheitslage in der autonomen Region Kurdistan-Irak besser als in den übrigen Landesteilen. Allerdings kommt es auch im Nordirak vermehrt zu Anschlägen. Die Klägerin ist davon jedoch ebenso betroffen, wie die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe der sie angehört. Eine individuelle und konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann bei einer Rückkehr der Klägerin nicht angenommen werden. Nicht in Übereinstimmung mit der Erkenntnislage des Gerichts steht auch die Behauptung, dass momentan die Turkmenen, egal wo sie lebten mit dem Argument, dass sie Terroristen seien und Widerstand leisteten, getötet würden. Zutreffend erscheint allerdings zu sein, dass die im kurdischen Gebiet lebenden Turkmenen von allen Seiten instrumentalisiert und unter Druck gesetzt werden. Dabei gehen die Verfolgungshandlungen in erster Linie von kurdischer Seite aus (Stellungnahme des UNHCR vom 26.7.2007 an Rechtsanwalt Thon, Dresden). Art und Intensität dieser Instrumentalisierung führt nach der Überzeugung des Gerichts aber nicht zu einer erheblichen, individuellen Gefährdung für Leib oder Leben der Klägerin. Es handelt sich hierbei vielmehr ebenfalls um Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der die Klägerin angehört allgemein ausgesetzt ist. Das Gericht berücksichtigt dabei auch, dass sich die Sicherheitslage im Irak inzwischen landesweit, also auch im Zentralirak deutlich verbessert hat. [...]