VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 06.10.2008 - A 4 K 692/06 - asyl.net: M14668
https://www.asyl.net/rsdb/M14668
Leitsatz:
Schlagwörter: Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Depression, dissoziativer Stupor, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Nach diesen Grundsätzen liegen bei der Klägerin die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG derzeit vor.

Für das Gericht steht zunächst nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 24.6.2008 fest, dass die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 F43.1), einem dissoziativen Stupor (ICD 10 F44.2) und einer schweren depressiven Episode (ICD 10 32.2) leidet, in der Folge hilflos ist und auf Pflege (Pflegestufe 1 nach dem SGB XI) angewiesen. [...]

Wegen der bei ihr festgestellten Erkrankungen ist die Klägerin auf die im Gutachten dargestellte Pflege und medizinische Behandlung fortlaufend und auf nicht absehbare Zeit angewiesen. [...]

Aus den vorstehenden Feststellungen zur Existenz der Erkrankungen und zur dringenden Behandlungsbedürftigkeit zur konkreten Gefahrenabwehr ergibt sich zugunsten der Klägerin auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, da nach den vorliegenden Erkenntnismitteln die erforderliche Behandlung im Kosovo im vorliegenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gewährleistet oder jedenfalls von der Klägerin nicht erlangbar ist.

Im Einzelnen gilt zur Behandelbarkeit der festgestellten psychischen Erkrankungen im Zielstaat Folgendes: Bereits mit Urteil vom 11.11.2003, A 4 K 12823/02, hat das erkennende Gericht die Möglichkeit der Erlangung von psychotherapeutischen Behandlungen im Kosovo mit folgender Begründung verneint: [...]

An dieser Beurteilung der Behandlungsmöglichkeiten hat sich auch unter Heranziehung der neueren Erkenntnismittel, welche in das Verfahren eingeführt wurden, nichts Wesentliches geändert. Die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten und die Nichterreichbarkeit der (wenigen) privaten Behandlungsmöglichkeiten aus finanziellen Gründen wird dementsprechend von den anderen, neueren Auskünften detailliert und nachvollziehbar dargelegt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe v. 02.05.2005 an VG Koblenz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Zur Lage der medizinischen Versorgung im Kosovo vom 7.6.2007; Dr. med. Susanne Schlüter-Müller v. 20.05.2005 an OVG NRW; UNHCR v. 18.07.2005 an VG Koblenz). Das Gericht bewertet daher auch gegenwärtig die genannten Auskünften als schlüssig und überzeugend und hält an seiner früheren Beurteilung der fehlenden Behandlungsmöglichkeiten von schweren, psychischen Erkrankungen im Kosovo fest. Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 22.11.2005, 29.6.2006 und vom 15.2.2007 lassen eine andere Beurteilung ebenfalls nicht zu. Sie bestätigen die bisherige Mangellage. Danach wird weiterhin an der Wiederherstellung der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung gearbeitet, wobei hierzu die Ressourcen fehlen und das verfügbare Budget im Jahr 2006 gegenüber 2005 sogar um ca. 15% kleiner ausgefallen ist. Wegen fehlender Fachärzte, nur ca. 70 Psychiater und Neurologen sind im öffentlichen Gesundheitswesen verfügbar, drohen immer noch erhebliche Engpässe auch bei der ambulanten medizinischen Versorgung. Dabei ist die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im öffentlichen Gesundheitswesen weiterhin kostenpflichtig, je nach Behandlung sind im ambulanten Bereich zwischen 1 und 4 EUR zu bezahlen, für Medikamente bis zu 2 EUR bei einem Sozialhilfesatz für Familien bis zu 75 EUR/Monat. [...]