VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 17.09.2008 - 5 K 20151/05 Me - asyl.net: M14678
https://www.asyl.net/rsdb/M14678
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen Verfolgungsgefahr von Mormonen im Iran; Missionierung gehört für Mormonen zum Selbstverständnis ihres Glaubens.

 

Schlagwörter: Iran, Drittstaatenregelung, Luftweg, Glaubwüdigkeit, Ehebruch, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Strafverfahren, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Konversion, Apostasie, Christen, Mormonen, Missionierung, Islamisten, nichtstaatliche Verfolgung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 26a
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung wegen Verfolgungsgefahr von Mormonen im Iran; Missionierung gehört für Mormonen zum Selbstverständnis ihres Glaubens.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Die Nrn. 2., 3. und 4. Satz 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 26.05.2005 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten. Ihm steht im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ein Anspruch gegenüber der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bezüglich des Iran zur Seite (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Im Übrigen jedoch war seine Klage abzuweisen.

Obwohl der Kläger keinerlei Nachweise über die behauptete Luftwegeinreise vorlegen konnte, geht das Gericht auf Grund seiner und seines Vaters Angaben, jeweils in der mündlichen Verhandlung am 17.09.2008, dennoch davon aus, dass er über den Flughafen Hamburg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und ein Asylanspruch insoweit nicht bereits im Hinblick auf die Drittstaatenregelung des § 26 a AsylVfG ausscheidet. Indessen war die Klage abzuweisen, soweit der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter begehrt hat. Zur Überzeugung des Gerichts steht nämlich fest, dass er den Iran nicht aus Furcht vor staatlicher Verfolgung verlassen hat. Er hat den Übertritt zum christlichen Glauben nicht bereits vor seiner Ausreise im Iran, sondern erst in Deutschland vollzogen. Verfolgung droht ihm des Weiteren auch nicht im Hinblick auf die von ihm geltend gemachte (intime) Beziehung zu einer verheirateten Iranerin.

Hinsichtlich dieses Vortrages hegt das Gericht gewisse Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit, wobei allerdings der Kläger in der mündlichen Verhandlung durchaus zu Recht auf sein jugendliches Alter und die damit verbundene Unerfahrenheit und Leichtsinnigkeit hingewiesen hat. Indessen kann all dies auf sich beruhen, da jedenfalls die vom Kläger befürchtete Bestrafung im Iran wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs keine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. nach der Regelung des § 60 Abs. 1 AufenthG darstellen würde. In Betracht käme insoweit allein ein Schutzanspruch nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Betracht. Die entsprechenden einschlägigen Vorschriften des islamischen Strafrechts bezwecken nämlich den Schutz der öffentlichen Moral und Sitte. Dabei lässt sich eine Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale bzw. die von § 60 Abs. 1 AufenthG erfassten Gesichtspunkte prinzipiell nicht feststellen. Die im Islam vorgesehenen Strafen wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs knüpfen an ein den islamischen Wertvorstellungen widersprechendes individuelles Verhalten und nicht an eine eine Person schicksalhaft prägende asylrelevante Eigenschaft an (vgl. VG Karlsruhe, U. v. 18.05.2006, A 6 K 12318/04; VG Münster, U. v. 10.12.2002, 5 K 3970/98. A - jeweils zitiert nach juris). Ob hiernach mit einer Bestrafung nach den Artikeln 63 ff. des Islamischen Strafgesetzbuches zu rechnen wäre oder aber auf Grund der strengen Beweisanforderungen der Art. 74 ff. der Nachweis des unerlaubten Geschlechtsverkehrs jedenfalls vorliegend kaum zu erbringen wäre und somit nur eine Bestrafung wegen unzüchtigen Verhaltens gemäß Art. 636 des Iranischen Gesetzbuches in Betracht käme, kann dahinstehen. Da dem Kläger wegen des in Deutschland vollzogenen Glaubenswechsels ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zusteht, wie sogleich darzulegen ist, kann gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG von der Feststellung abgehenen werden, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG vorliegen.

Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1993 II, S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben (unter anderem) wegen seiner Religion bedroht ist. [...]

Gemäß Art. 9 Abs. 1 RL hätte der Kläger nach Überzeugung des Gerichts mindestens administrative und polizeiliche, gegebenenfalls auch justizielle diskriminierende Maßnahmen zu befürchten, wobei aber auch die Anwendung physischer Gewalt nicht ausgeschlossen werden kann.

Zwar gibt es Berichte über Todesfalle von Konvertiten nur zu spezifisch gelagerten Einzelfällen, wobei die tatsächlichen Motive und Hintergründe für deren Tötung, vor allem aber die Täter selbst unbekannt geblieben sind. Hinsichtlich von in den Iran zurückgekehrten Mormonen liegen ai überhaupt keine Referenzfälle vor, anhand derer eine Gefährdung dieses Personenkreises eingeschätzt werden könnte, ai ist auch nichts über die Existenz mormonischer Gemeinschaften im Iran bekannt (Auskunft vom 15.03.2001 an das OVG Lüneburg). Auch das Deutsche Orient-Institut (Auskunft vom 28.02.2001 an das OVG Lüneburg) fuhrt aus, dass es keine Informationen darüber hat, ob im Iran eine Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage existiert. Konkrete Angaben sind auch den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes nicht zu entnehmen (vgl. z.B. Auskunft vom 05.03.2001 an das OVG Lüneburg).

Gleichwohl gilt, dass insbesondere evangelikale Christen zu den Personen gehören, die sehr häufig von den iranischen Behörden und Sicherheitskräften drangsaliert, festgenommen, verhört, ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, misshandelt, gefoltert und mitunter angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt werden. Aktivitäten evangelikaler Christen werden besonders streng überwacht, um Missionsversuche zu unterbinden. Nach Auskunft des US-Außenministeriums sollen sie sogar aufgefordert worden sein, zum Zwecke der Kontrolle Mitgliederlisten zu übergeben (ai, Auskunft vom 07.07.2008 an VG Mainz; Kompetenzzentrum Orient-Okzident Mainz, Auskunft vom 29.02.2008 an VG Mainz; Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 28.02.2001 an OVG Lüneburg). In seinem Erkenntnis vom 07.07.2008 hat ai eine ausführliche Darstellung von Referenzfällen betreffend die Verfolgung von Christen im Iran gegeben, um (auf Seite 2) die stets wiederkehrenden Verfolgungsmuster, wie z.B. anonyme Drohanrufe und Morddrohungen, Razzien, Haft ohne Kontakt zur Außenwelt, strenge Überwachung nach Freilassung, um Kontakte mit oder Wiederbelebung der Hausgemeinde zu unterbinden, aufzulisten.

Zusätzlich zu den genannten staatlichen Repressionen ist zu erwähnen, dass für Konvertiten eine weitere Gefährdung entstehen kann, wenn sie ins Visier radikal-militanter Muslime geraten, die den Abfall vom Islam als ein mit dem Tode zu bestrafendes Vergehen betrachten. Eine ähnliche Gefährdung für die physische Unversehrtheit von Konvertiten kann aus dem Kreis der Familie ausgehen, wenn diese auf Grund ihres muslimischen Selbstverständnisses einen Religionswechsel nicht toleriert. Eine Gefährdung für Konvertiten besteht nach ai (a.a.O.) latent fast immer. Vor diesem Hintergrund fasst ai zusammen, dass für evangelikale Christen und Konvertiten die Möglichkeit einer ungehinderten Religionsausübung in privaten Hausgemeinden nicht besteht und führt dann weiter aus (S. 3 f.), dass sich die Lage der religiösen Minderheiten in den vergangenen Jahren seit dem Amtsantritt des Präsidenten Ahmadinedschad verschlechtert habe. Für diese Auffassung streite insbesondere der Entwurf für eine Änderung des iranischen Strafrechts, welcher gegenwärtig dem Parlament zur Diskussion vorliege. Anfang 2008 wurde durch Medienberichte bekannt, dass die iranische Justiz einen Entwurf des Strafrechts zur weiteren Beratung und Beschlussfassung dem Parlament vorgelegt hat, welcher unter anderem eine Ausweitung der bestehenden Tatbestände für die Verhängung der Todesstrafe vorsieht, unter anderem auch für den Tatbestand der "Apostasie". Bisher gab es im iranischen Strafgesetz keine ausdrücklichen Bestimmungen, die den Abfall vom Islam unter Strafe stellten.

Insbesondere bei den Mormonen, die - wie ausgeführt - den iranischen Behörden als religiöse Glaubensgemeinschaft kaum bekannt sein dürften, ist zu beachten, dass diese Gruppierung nicht im Iran beheimatet ist, vielmehr Kontakt zu ihren Zentren in den USA bzw. Schwesterkirchen im Ausland unterhält. Dies lässt sie leicht in den Verdacht der Zusammenarbeit mit fremden Mächten geraten, hier insbesondere mit dem "Erzfeind" USA (ai, Auskunft vom 15.03.2001 und Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 28.02.2001, jeweils an das OVG Lüneburg).

Vorliegend ist nach dem Vorstehenden zwar davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Iran selbst in Großstädten nicht einmal vereinzelt Glaubensbrüder und -schwestern, geschweige denn eine auch nur ansatzweise organisierte Hausgemeinde vorfinden würde. Dies bedeutet an sich, dass er zwangsläufig auf eine Glaubensausübung im privaten, häuslichen Bereich, gewissermaßen auf das "forum internum" beschränkt wäre. Zu Recht haben aber die Bevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, dass es dem Selbstverständnis der Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage entspricht, missionierend tätig zu werden (so auch ai, Auskunft vom 15.03.2001 an das OVG Lüneburg). Mitglieder der Kirche Jesu Christi folgen dem biblischen Gebot, dass Evangelium Jesu Christi in aller Welt zu predigen. Ihr Bestreben liegt darin, jeden Menschen zu Christus zu führen und ebenso Mitgenuss an den Segnungen des wiederhergestellten Evangeliums zu ermöglichen (Wikipedia, die freie Enzyklopädie, S. 16). Zwar werden die Mitglieder angehalten, nicht aggressiv aufzutreten, sondern die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen zu respektieren, doch ebenso aufgefordert, die Lehren der Kirche unter ihren Bekannten nach Möglichkeit zu verbreiten (a.a.O.). Dem Selbstverständnis der Mormonen entspricht es demnach, auch dort, wo nicht einmal ansatzweise Gemeindestrukturen vorhanden sind, diese nicht zuletzt durch eine missionierende Tätigkeit aufzubauen. In diesem Falle würde die Konversion des Betreffenden nach außen sichtbar und die beschriebene Gefährdung konkret werden. Dem steht auch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 05.03.2001 an das OVG Lüneburg nicht entgegen, wenn dort ausgeführt wird, dass die Zugehörigkeit eines Iraners zu den Mormonen unabhängig von deren Schwerpunkt und Ursprung in den USA zu keiner besonderen Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran fuhren würde, weil sie unter dem Vorbehalt steht, dass die betreffende Person im Iran keine Missionstätigkeit ausübt. Wie ausgeführt, gehört die Entfaltung solcher Aktivitäten aber grundsätzlich zum Selbstverständnis der Mormonen. [...]