VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 16.09.2008 - 5 E 1736/06.A - asyl.net: M14682
https://www.asyl.net/rsdb/M14682
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Tumor, Finanzierbarkeit, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Bei dem Kläger zu 1. liegt jedoch das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 AufenthG vor. [...]

Nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten des Prof. Dr. med. ... (S. 8) wurde am 17.10.2005 bei dem Kläger zu 1. eine Tumorbiopsie durchgeführt, die einen gutartigen Hirntumor ohne Tendenz zu weiterem Wachstum ergab. Überraschender Weise zeigte sich in der Folgezeit eine Größenprogredienz des Tumors. [...] Der Gutachter empfiehlt eine operative Tumorentfernung in den nächsten 6 Monaten, zumal auch maligne Formen des Ependymoms bekannt sind. Aus diesen überzeugenden, fundiert begründeten Ausführungen entnimmt das Gericht, dass bei dem Kläger zu 1. in absehbarer Zeit eine Hirnoperation durchgeführt werden muss, nicht nur um die bestehenden Symptome zu bessern, sondern auch um zu verhindern, dass der Tumor sich zu einem bösartigen entwickelt.

Diese erforderliche Operation kann der Kläger zu 1. bei Rückkehr in den Iran aber nicht durchführen lassen.

Die medizinische Versorgung im Iran entspricht nicht internationalen Anforderungen, ist aber ausreichend bis - vor allem in Teheran - befriedigend. In allen größeren Städten existieren Krankenhäuser. Die Versorgung mit Medikamenten ist weitestgehend gewährleistet; in speziellen Apotheken können Medikamente auch aus dem Ausland bestellt werden. Behandlungsmöglichkeiten auch für schwerste Krankheiten sind zumindest in Teheran grundsätzlich gegeben. Iran verfügt über ein ausgebautes Versicherungswesen, welches prinzipiell auch die Deckung von Krankheitskosten umfasst. Allerdings sind Patienten weiterhin auf hohe Eigenaufwendungen angewiesen, da Behandlungskosten die Versicherungsleistungen deutlich übersteigen. Ohne dass der Patient massive Vorauszahlungen leistet, findet - zumindest bei größeren Eingriffen - eine Behandlung nicht statt. Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die Rente, Unfall und Krankheit absichert; freiberuflich tätige Personen müssen sich freiwillig versichern (AA, Lagebericht vom 18.03.2008, S. 34).

Aus dieser Auskunftslage entnimmt das Gericht, dass die bei dem Kläger zu 1. notwendige Tumoroperation zwar im Iran möglicherweise durchgeführt werden kann. Der Kläger zu 1. verfügt aber nicht über die dafür erforderlichen finanziellen Mittel. Es erscheint bereits fraglich, ob der seit Jahren in Deutschland lebende Kläger zu 1. noch Ansprüche gegen gesetzliche oder private Krankenversicherungen im Iran hat. Selbst wenn solche Ansprüche noch bestünden, würden sie die wahrscheinlich auch nach den Maßstäben des Iran nicht unerheblichen Kosten einer Hirnoperation nicht ansatzweise abdecken. Über eigene Mittel verfügt der Kläger zu 1. nicht, wie sich auch aus den im Prozesskostenhilfeverfahren gemachten und belegten Angaben ergibt. Auf die finanzielle Unterstützung von Familienangehörigen in Deutschland und im Iran kann der Kläger zu 1. nicht zurückgreifen. Die vom Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung vom 23.10.2007 gemachten unwiderlegbaren Angaben zur ihrer finanziellen Situation lassen nicht vermuten, dass sie dem Kläger zu 1. die für eine Hirnoperation im Iran erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellen können. [...]