Vorläufiger Stopp einer Dublin-Überstellung nach Griechenland; es muss im Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob die Überstellung des Antragstellers wegen einer Erkrankung aufgrund der Selbstbindung des Bundesamts ausgeschlossen ist oder ob ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts vorliegt.
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Der Antrag hat Erfolg.
Wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, ordnet das Bundesamt nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Im vorliegenden Fall liegt zwar noch kein wirksam gewordener Verwaltungsakt (Anordnung der Abschiebung) vor. Dem Antragsteller kann aber nicht angesonnen werden, die Anordnung der Abschiebung abzuwarten, weil sie nach der Praxis des Bundesamts erst unmittelbar vor der Durchführung der Abschiebung bekannt gegeben wird. Das hängt mit der Regelung des § 34 Abs. 2 AsylVfG zusammen. Hiernach darf die Abschiebung nach Abs. 1 nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Dieses Verbot hat sogar Verfassungsrang. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG können in den Fällen des Satzes 1, also bei Anwendung der "Drittstaatenregelung", aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. Gleichwohl ist der vorliegende Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (ausnahmsweise) zulässig.
Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG gehören die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften, wie z.B. Griechenland, zu den sicheren Drittstaaten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (2 BvR 1938, 2315/93, BVerfGE 94, 49 = NVwZ 1996, 700) hat die Bundesrepublik Deutschland allerdings Schutz gegen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 oder 53 AuslG durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solches Konzepts aus sich heraus gesetzt sind. Die Ausschlusswirkung des Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG reicht nicht über die Grenzen hinaus, die dem Konzept normativer Vergewisserung gesetzt sind. Eine Überprüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der in normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht hat Beispielfälle aufgelistet, in denen vom Verbot des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebung in einen - nach dem Gesetz - sicheren Drittstaat abgesehen werden kann. Es kommt hier nur der Fall in Betracht, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht. § 26a Abs. 3 AsylVfG betrifft aber nur Norwegen und die Schweiz, nicht dagegen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften. Man wird den erwähnten Ausnahmetatbestand aber auch ein unvermitteltes Absinken des Standards der Schutzgewährung in EU-Staaten anwenden können. Das Gericht hat aber Bedenken, ob die strengen Anforderungen an eine derartige Feststellung hier erfüllt sind.
Die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits bekannt gewordenen stattgebenden Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte beziehen sich zumeist (VG Karlsruhe, B.v. 23.06.2008, AuAS 2008, 165; VG Weimar, B.v. 24.07.2008, 5 E 20094/08 We; VG Oldenburg, B.v. 23.07.2008, 7 B 2119/08, Asylmagazin 9/2008, S. 17), wie auch der Beschluss der Kammer vom 12. August 2008 (W 4 E 08.30114) auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 25. April 2008 (2 L 201/08. GI.A <juris>), in welchem die Abschiebung nach Griechenland auf die Dauer von 6 Monaten untersagt worden ist. Die Antragsgegnerin hat dagegen eine Reihe von abweisenden Entscheidungen vorgelegt. Wie sich aus dem von der Antragsgegnerin übersandten Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 19. August 2008 an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags ergibt, wurden Gespräche mit dem griechischen Innenminister geführt. Außerdem hat die Deutsche Botschaft in Athen mitgeteilt, dass mittlerweile die Qualifikationsrichtlinie und die Verfahrensrichtlinie in griechisches Recht umgesetzt worden seien und im Jahre 2008 zwei neue Aufnahmezentren für Asylbewerber in Betrieb genommen worden seien. Es stellt sich also die Frage, ob den in den stattgebenden Entscheidungen geäußerten Bedenken mittlerweile ausreichend Rechnung getragen worden ist. Einer abschließenden Beurteilung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bedarf es aber nicht. Es handelt sich nämlich um einen Sonderfall.
Der Antragsteller hat vorgetragen und durch ärztliche Atteste belegt, dass er Opfer eines Bombenanschlags geworden sei. Zwar konnten bei einer Internet-Recherche des Gerichts keine Hinweise für einen Bombenanschlag im Mai 2007 in der Stadt Kirkuk festgestellt werden. Für den Nordirak wurden nur Meldungen über einen Anschlag am 9. Mai 2007 in Erbil (19 Tote) und am 13. Mai 2007 in Makhmur (35 Tote) gefunden. Hieraus kann aber nicht zwingend geschlossen werden, dass im betreffenden Monat in Kirkuk nichts Vergleichbares passiert sei. Das im gerichtlichen Verfahren vorgelegte ärztliche Attest vom 6. Oktober 2008 stützt jedenfalls die Version des Antragstellers.
Wie sich insbesondere den Behördenakten (Blatt 108) entnehmen lässt, soll es eine "Regelung" des Bundesamts geben, dass kranke Personen nicht nach Griechenland überstellt werden sollen. Die Antragsgegnerin vertritt gleichwohl die Auffassung, dass der Antragsteller nicht unter diese Regelung falle. In einem Hauptsacheverfahren wäre auf jeden Fall der Frage nachzugehen, ob eine Selbstbindung durch die erwähnte "Regelung" eingetreten ist und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vorliegt, in einem Hauptsacheverfahren wäre weiter zu prüfen, ob der Antragsteller sich auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II - VO) berufen kann. Nach Art. 15 Abs. 2 dieser Verordnung sehen die Mitgliedsstaaten in bestimmten Fällen wie z.B. bei einer schweren Krankheit im Regelfall davon ab, Asylbewerber von anderen Familienangehörigen zu trennen. Diese Vorschrift ist allerdings nicht anwendbar, weil es sich bei den (entfernten) Verwandten in München um keine Familienangehörigen i.S. des Art. 2 Buchstabe i der Verordnung handelt. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedsstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 kann jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Trotz der Bejahung eines weiten Ermessens, ob von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht werden soll, wird vertreten, dass der Betroffene ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung hat (s. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 27a Rd.Nr. 223). Was die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes anbetrifft ist zunächst auf Art. 19 Abs. 2 Satz 3 der Dublin II - VO hinzuweisen. Hiernach hat ein gegen die Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. Die deutsche Rechtslage ergibt sich aus Art. 16 Abs. 2 Satz 3 GG und § 34a Abs. 2 AsylVfG und der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Interpretation dieser Normen. Hierbei muss zumindest in Erwägung gezogen werden, ob ein aus der Dublin II - VO abgeleiteter Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ein weiterer Ausnahmefall i.S. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist (siehe hierzu Funke - Kaiser, § 34a Rd Nr. 90).
Nach allem ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor, denn es besteht die Sorge, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers bei einer Abschiebung nach Griechenland verschlechtert. Nach den im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ist nämlich der Antragsteller auch psychisch schwer geschädigt. [...]