VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 24.09.2008 - 6 K 174/08.WI.A(2) - asyl.net: M14698
https://www.asyl.net/rsdb/M14698
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Widerruf, Flüchtlingseigenschaft, Änderung der Sachlage, exilpolitische Betätigung, Monarchisten, Überwachung im Aufnahmeland, Ehebruch, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Verpflichtungsklage, Rechtsschutzbedürfnis, Durchentscheiden
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Anfechtungsklage ist zulässig aber unbegründet. Der Widerruf der Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG erfolgte zu Recht, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG liegen nicht vor, damit ist der Bescheid des Bundesamtes rechtmäßig, verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten und ist nicht aufzuheben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). [...]

Eine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse kann eine Veränderung der Verhältnisse im Heimatland sein, ist hierauf aber nicht beschränkt. Eine Veränderung der Verhältnisse liegt auch vor, wenn der Ausländer durch exilpolitische Aktivitäten die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, erlangt hat, über einen längeren Zeitraum hinweg exilpolitische Aktivitäten dann aber nicht mehr entwickelt werden und die im Herkunftsland maßgeblichen Verhältnisse sich nur tendenziell verbessern.

Im gerichtlichen Verfahren hatte der Kläger ehemals vielfältige exilpolitische Tätigkeiten vorgetragen. Im vorliegenden Verfahren hat das Gericht mit Verfügung vom 05.05.2008 darauf hingewiesen, dass von exilpolitischen Aktivitäten des Klägers seit Abschluss des letzten gerichtlichen Asylverfahrens im Sommer 2002 nichts bekannt sei. Daraufhin hat der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen, dass er seit Sommer 2002 bis ins Jahr 2008 hinein, also über sechs Jahre hinweg, noch politische Aktivitäten entfaltet hätte. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom Sommer 2002 beruhte auf der Überlegung, dass exilpolitische Tätigkeiten von Iranern hier in Deutschland Beachtung von iranischen Stellen finden. Der iranische Nachrichtendienst habe V-Männer, die immer wieder versuchten oppositionelle Gruppen zu überwachen, woraus sich für die auffällig gewordenen Personen bei einer Rückkehr in den Iran die Gefahr politischer Verfolgung ergebe.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass monarchistische Gruppen in Deutschland nach wie vor von iranischen Stellen beobachtet würden, konnten diese aber über sechs Jahre hinweg keine politische Tätigkeit des Klägers mehr feststellen. Das bedeutet dann zwingend, dass auch insoweit nichts Negatives über den Kläger in den Iran berichtet werden kann. Insoweit wäre es bloße Spekulation, der Kläger habe wegen früherer Aktivitäten im Falle einer Rückkehr in den Iran noch etwas zu fürchten, so dass das Gericht der Auffassung ist, im Falle einer Rückkehr in den Iran wäre der Kläger sogar vor politischer Verfolgung hinreichend sicher. Hinzu kommt, dass sich Gefahren, welche aus der Tätigkeit für monarchistische Gruppierungen ergeben konnten, in den letzten Jahren doch zumindest tendenziell verringert haben. Insoweit wird auf die Ausführungen im Bundesamtsbescheid Bezug genommen. Nicht entschieden werden braucht, ob alleine eine Änderung der Situation im Iran insoweit ausreichen würde, einen Widerruf auszusprechen. Vorliegend ist bedeutsam, dass der Kläger bis zur Erlangung eines Bleiberechtes nur zwei Jahre "politisch aktiv" war, nach Erlangung des Bleiberechts über sechs Jahre hinweg keinerlei Aktivitäten festzustellen sind. [...]

Soweit der Kläger vorträgt, ihm drohe eine Bestrafung wegen Ehebruchs liegt kein Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 1 AufenthG vor. Dabei braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, ob wirklich ein strafbarer Ehebruch vorliegt. Allein der Umstand, dass der Kläger mit zwei Frauen Kinder hat, rechtfertigt diese Annahme noch nicht. Nach iranischem Recht besteht das Recht des Ehemannes zur Vielehe (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, 18.08.2008, S. 27). Außerehelicher, mit dem Koran nicht vereinbarer Geschlechtsverkehr, wird bislang lediglich behauptet.

Zwar kann im Iran der Ehebruch tatsächlich mit der Todesstrafe in der Form der Steinigung bestraft werden, jedoch dies stellt keine politische Verfolgung im Sinne des Gesetzes dar. Zwar widerspricht eine solche Bestrafung hiesigen Moralgrundsätzen und Anforderung an eine rechtsstaatliche und menschliche Judikatur. Es fehlen aber Anhaltspunkte dafür, dass der iranische Staat mit seinen insoweit geltenden Strafvorschriften, die nicht durch das gegenwärtige iranische Regime eingeführt wurden, sondern einer Jahrhunderte alten Tradition islamischen Rechts entsprechen, allgemein eine politische missliebige Gesinnung oder Betätigung ahnden will. Eine Anknüpfung an eine asylrelevante Eigenschaft liegt nicht vor (vgl. z.B. VG Düsseldorf, Urteil vom 02.05.2006, 2 K 37/06.A, Juris).

Die vom Kläger hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, wobei in der Tat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht kommen könnte, ist unzulässig. Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis.

Im von Amts wegen eingeleiteten Widerrufsverfahren darf das Bundesamt eine Entscheidung auch über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG treffen. Vorliegend hat es bewusst davon abgesehen, wie sich aus der Begründung des Bescheides ergibt und sich insoweit eine Entscheidung vorbehalten. Der Kläger mag zunächst beim Bundesamt die Feststellung beantragen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegt. [...]