Keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak.
Keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die Klage, über die nach Einverständnis der Parteien ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. [...]
Nach Überzeugung des Gerichts besteht weder zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch in absehbarer Zukunft ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]
Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, sie sei als Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Sunniten gruppenverfolgt. Entgegen der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. November 2007 (Az. 23 B 07.30496) geht das erkennende Gericht davon aus, dass die Klägerin als Sunnitin nicht aus religiösen Gründen der Gruppenverfolgung ausgesetzt sein wird, in Abgrenzung des Anwendungsbereichs des § 60 Abs. 1 AufenthG vom Anwendungsbereich des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist davon auszugehen, dass die Konflikte zwischen den Mehrheits-Glaubensgemeinschaften im Irak, die durch oben zitierte Erkenntnisquellen ausreichend belegt sind, nicht im Bereich des § 60 Abs. 1 AufenthG erörtert werden können. Die unbestritten lebensgefährliche Lage der Bevölkerung in bestimmten Gebieten den Zentralirak ist bestimmt durch die Zufälligkeiten des machtbedingt herrschenden Chaos mit kriegsähnlichem Charakter, nicht jedoch durch die zielgerichtete Ausgrenzung "aller Sunniten" durch "die Schiiten". Daran fehlt es nach Überzeugung des Gerichts in der Konstellation der aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten, mithin den beiden größten Glaubensgruppen im Irak, jedenfalls in dieser Pauschalität. Das Gericht teilt ausdrücklich die Auffassung des Verwaltungsgerichts Regensburg in dessen Entscheidung vom 30. November 2007 (Az.: RN 3 K 07.30194), wonach der Machtkampf innerhalb der muslimischen Mehrheitsgesellschaft nicht gleichgesetzt werden könne mit der ausgrenzenden Verfolgung religiöser Minderheiten. Selbst wenn man dies (VG Ansbach vom 19.4.2007, Az.: AN 3 K 06.30312; BayVGH, a.a.O.; so auch VG München, 11. Kammer, exemplarisch vom 25.1.2008, Az.: M 11 K 07.50435 und 1. Kammer, exemplarisch vom 11.1.2008, Az.: M 1 K 07.50961) annähme, so fehlt es jedenfalls angesichts der Größe der beiden Religionsgemeinschaften ohne Hinzukommen individueller gruppenbestimmender Momente an der für die Annahme für die Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte. Zutreffend verweist das Verwaltungsgericht Regensburg (a.a.O.) darauf, dass diese nur dann gegeben wäre, wenn für jeden Angehörigen der jeweiligen Gruppe landesweit nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit bestünde. Auch insofern unterscheide sich die Situation der Muslime im Irak, die regelmäßig auf den Rückhalt ihres Stammes zählen können und jeweils über Stammesgebiete verfügen, in denen dieser Rückhalt gegeben ist, in qualitativ erheblicher Weise von der Lage der religiösen Minderheiten.
Da das Gericht somit weder von einer individuellen politischen Verfolgung der Klägerin noch von einer regionalen oder landesweiten Gruppenverfolgung im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Sunniten ausgeht, kommt es auf ihre geografische Herkunft nicht an. [...]
Die Klägerin kann auch nicht verlangen, dass in ihrem Fall Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festgestellt werden. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Nach der geltenden Erlasslage ist die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger derzeit ausgesetzt wobei nicht ersichtlich ist, dass dieser alsbald aufgehoben würde. Demzufolge ist davon auszugehen, dass die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin grundsätzlich ausgesetzt bleibt. Der Kläger gehört auch nicht zu dem Personenkreis, für den dieser Erlass durch Schreiben des Bayer. Staatsministerium des Innern vom 17. April 2007 ausgesetzt wurde. Damit liegt eine Erlasslage im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 3, § 60a AufenthG vor, welche dem betroffenen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Die Klägerin bedarf somit nicht zusätzlich des Schutzes vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. z.B. BayVGH vom 9.11.2007, Az. 15 ZB 04.30650). Sie ist deswegen nicht schutzlos gestellt. Denn sollte der ihr infolge der Erlasslage zustehende Abschiebungsschutz nach Rechtskraft entfallen, könnte sie unter Berufung auf eine - dann noch bestehende - extreme Gefahrenlage jederzeit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor dem Bundesamt verlangen. [...]
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 (BVerwG 10 C 42.07 u.a.). Die (vgl. Rn. 12 der Entscheidungsausfertigung) vorzunehmende richtlinienkonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bedinge, dass die Vorschrift nicht die Fälle erfasse, in denen die Voraussetzungen von Art. 15 Buchstabe c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien. Dies sei individuell zu prüfen (Rn. 15).
Das erkennende Gericht hatte den Parteien aufgegeben, Anhaltspunkte individueller konkreter Bedrohungen vor dem Hintergrund der Konflikte im Irak darzulegen. Aus dem schriftsätzlichen Vortrag insbesondere der Klagepartei vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach o.b. Richtlinie bei der Klagepartei gegeben wäre. Weder religiöse Herkunft, noch individuelle Funktionen, noch individuelle Handlungsweisen lassen auf erhebliche individuelle Gefährdungspotentiale aus innerstaatlichen Konflikten schließen, der nicht die gesamte Zivilbevölkerung ausgesetzt wäre. [...]