VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 17.11.2008 - A 11 K 4571/07 - asyl.net: M14720
https://www.asyl.net/rsdb/M14720
Leitsatz:

Liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor, ist das Wiederaufgreifensermessen des Bundesamt gem. § 51 Abs. 5 VwVfG auf Null reduziert; § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Kosovo wegen behandlungsbedürftiger posttraumatischer Belastungsstörung; keine angemessene Behandlungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen im Kosovo; Berichte des Verbindungsbüros des Auswärtigen Amtes im Kosovo zur Verfügbarkeit von Medikamenten sind nicht verallgemeinerbar, da jederzeit Versorgungslücken auftreten können; Angehörige der Roma, Ashkali oder "Ägypter" sind regelmäßig nicht in der Lage, eine medizinische Behandlung zu finanzieren; es gibt keine Belege dafür, dass Familienangehörige unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit zurückgekehrte Angehörige unterstützen; die "essential drugs list" hat kaum noch praktische Bedeutung; mittellose Kranke oder Personen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, stellen keine Bevölkerungsgruppe gem. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG dar.

 

Schlagwörter: Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Staatsangehörigkeit, Rückübernahmeabkommen, medizinische Versorgung, Auswärtiges Amt, Auskünfte, Arbeitslosigkeit, Roma, Ashkali, Ägypter, Familienangehörige, Finanzierbarkeit, essential drugs list, Sozialhilfe, allgemeine Gefahr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; VwVfG § 51 Abs. 5
Auszüge:

Liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor, ist das Wiederaufgreifensermessen des Bundesamt gem. § 51 Abs. 5 VwVfG auf Null reduziert; § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Kosovo wegen behandlungsbedürftiger posttraumatischer Belastungsstörung; keine angemessene Behandlungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen im Kosovo; Berichte des Verbindungsbüros des Auswärtigen Amtes im Kosovo zur Verfügbarkeit von Medikamenten sind nicht verallgemeinerbar, da jederzeit Versorgungslücken auftreten können; Angehörige der Roma, Ashkali oder "Ägypter" sind regelmäßig nicht in der Lage, eine medizinische Behandlung zu finanzieren; es gibt keine Belege dafür, dass Familienangehörige unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit zurückgekehrte Angehörige unterstützen; die "essential drugs list" hat kaum noch praktische Bedeutung; mittellose Kranke oder Personen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, stellen keine Bevölkerungsgruppe gem. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG dar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG.

Bei den Anträgen der Kläger auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG handelt es sich der Sache nach um einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG, weil das Bundesamt bereits im Erstasylverfahren mit rechtskräftig gewordenem Bescheid vom 18.01.1995 festgestellt hatte, dass bei den Klägern Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. [...]

Bei den Klägern liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 20.10.2004 (BVerwGE 122, 103) entschieden, dass das behördliche Ermessen nicht schon dann zu Gunsten des Ausländers auf Null reduziert ist, wenn festgestellt wird, dass in seiner Person die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen. Diese Auffassung ist jedoch im Hinblick auf die vom Bundesverwaltungsgericht zur Begründung hierzu herangezogene gesetzliche Konzeption des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, der die Abschiebung auch bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in das Ermessen der Behörde gestellt hat, überholt. Denn nach der jetzt geltenden Regelung des § 60 Abs 7 Satz 1 AufenthG ist der Behörde ein Ermessen nicht mehr eröffnet. Vielmehr soll nunmehr unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von einer Abschiebung abgesehen werden. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17.10.2006 (BVerwGE 127, 33) unter Bezugnahme auf das Urteil vom 20.10.2004 (a.a.O.) die Auffassung vertritt, dass bei Bejahung einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG das Bundesamt nur zu einer Ermessensentscheidung über den Antrag des Ausländers zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet werden könne, wird offensichtlich übersehen, dass sich die Gesetzeslage (Sollvorschrift!) geändert hat. [...]

Da die Kläger aus dem Kosovo stammen, ist zu prüfen, ob dort die beschriebene konkrete Gefahr besteht. Dies galt schon bislang, da auf der Grundlage des deutsch-jugoslawischen Rückübernahmeübereinkommens vom 16.09.2002 keine Minderheitenangehörige aus dem Kosovo in das restliche Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien zurückgeführt werden durften. Seit der Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo vom 17.02.2008 und der Anerkennung der Republik Kosovo durch die Bundesrepublik Deutschland am 20.02.2008 gilt dies erst recht. Zwar sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die seit vielen Jahren im Ausland sich befindlichen Kläger die kosovarische Staatsangehörigkeit erlangt haben (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.09.2008 - 13 S 1812/07 - juris -; VG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2007 - 11 K 3108/06 - juris -). Unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit haben Ausländer jedoch Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich der Staaten, für die das Bundesamt verpflichtet ist, eine solche Feststellung zu treffen, für die es eine ihm nachteilige Feststellung bereits getroffen hat oder in die abgeschoben zu werden sie aus berechtigtem Anlass befürchten müssen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.12.2001, BVerwGE 115, 267; Urt. v. 10.07.2003, BVerwGE 118, 308 und Urt. v. 02.08.2007, BVerwGE 129, 155). Da es sich beim Kosovo um den Herkunftsstaat der Kläger handelt, ist das Bundesamt und damit auch das Gericht zur Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich dieses Staates verpflichtet (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.08.2007 a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Gericht bei der vorzunehmenden qualifizierenden und bewertenden Betrachtungsweise der Überzeugung, dass den Klägern bei einer Rückkehr in das Kosovo eine erhebliche krankheitsbedingte individuelle Gefahr droht. Nach den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ist davon auszugehen, dass die Kläger auf Grund ihres schwer beeinträchtigten Gesundheitszustandes einer ständigen medikamentösen Behandlung sowie einer dauernden intensiven ärztlichen Betreuung bedürfen.

Der Berichterstatter der 18. Kammer hat in seinen Urteilen vom 30.08.2005 und vom 07.11.2006 ausgeführt, beide Kläger seien an einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt, die derzeit in Deutschland sowohl medikamentös als auch therapeutisch behandelt werde. [...]

Im Kosovo sind die Kapazitäten des Sektors für psychische Erkrankungen in keiner Weise ausreichend, um die Behandlungsbedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen. Es gibt im Bereich der psychiatrischen Versorgung ein eklatantes Defizit an Psychiatern. Klinische Psychologen gibt es kaum. Die Versorgung bei psychischen Erkrankungen besteht aus einer biologisch orientierten medikamentösen Behandlung mit fehlenden oder sehr limitierten sozio- oder psychotherapeutischen Maßnahmen. "Behandlungsgespräche" beschränken sich in der Regel auf die Erläuterung der Medikamenteneinnahme. Nach Angaben der WHO erhalten 90 bis 95 % der Personen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, keine angemessene Behandlung. Die Diskrepanz zwischen notwendiger und vorhandener Versorgungskapazität ist erheblich und derzeit nicht überbrückbar (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo - Update zur medizinischen Versorgungslage - Juni 2007, S. 9). In einem am 30.10.2006 verfassten Memorandum des kosovarischen Gesundheitsministers Sadik Idriz hielt dieser fest, dass Psychotraumata weiterhin ein erhebliches Gesundheitsproblem im Kosovo darstellten, dass die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichten, um das Problem anzugehen und dass es auch nicht kurzfristig möglich sei, das gewünschte Niveau zu erreichen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe aaO.). Auch das Auswärtige Amt (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien - Kosovo - vom 29.09.2007) stellt fest, dass Traumapatienten überwiegend ambulant und in der Hauptsache medikamentös behandelt werden. Psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten im öffentlichen Gesundheitswesen seien für schwer traumatisierte Personen beschränkt. Zwar bieten einzelne, privat praktizierende Fachärzte für Psychiatrie nichtmedikamentöse Behandlungsformen wie z.B. Psychotherapie an. Die Behandlungsplätze sind im Kosovo jedoch sehr begrenzt und die Kosten einer solchen Behandlung (je Psychotherapie-Sitzung zwischen 40,- bis 50,- EUR) muss der Patient selbst tragen (vgl. Auswärtiges Amt aaO.). Bei einer Rückkehr der Kläger in den Kosovo wird damit schon die fehlende Möglichkeit (in tatsächlicher, aber auch in finanzieller Hinsicht) der Fortsetzung der therapeutischen Gespräche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Kläger führen.

Darüber hinaus werden die Kläger nicht in der Lage sein, die erforderliche ärztliche Behandlung und Arzneimittelversorgung im Falle einer Rückkehr in den Kosovo sicher zu stellen.

Nach dem angefochtenen Bescheid sollen die von den Klägern benötigten Medikamente/Wirkstoffe im Kosovo erhältlich sein. Auch nach den vom Gericht beigezogenen Erkenntnisquellen des Verbindungsbüros dürften die meisten von den Klägern benötigten Medikamente/Wirkstoffe im Kosovo verfügbar sein, zum Teil jedoch nur durch Bezug aus dem Ausland, wobei nach den eingeführten Auskünften des Verbindungsbüros der Patient die Kosten der Medikamente zu tragen hat. Die Botschaftsberichte des Auswärtigen Amtes (Verbindungsbüros) über die Verfügbarkeit bestimmter Medikamente können jedoch nicht verallgemeinert werden. Denn im Kosovo können hinsichtlich einzelner Medikamente jederzeit Versorgungslücken auftreten; inwieweit Medikamente tatsächlich immer verfügbar sind, lässt sich nicht genau bestimmen und kann variieren (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Serbien und Montenegro/Kosovo, 9. Gesundheitswesen, Dezember 2005, S. 43).

Ob angesichts dieser Erkenntnislage die Kläger die zur Behandlung ihrer Krankheiten benötigten Medikamente und die erforderliche psychotherapeutische Betreuung im Kosovo erhalten, ist sehr zweifelhaft, braucht vorliegend jedoch nicht weiter aufgeklärt zu werden. Denn die notwendige medizinische Versorgung der Kläger im Kosovo ist jedenfalls in finanzieller Hinsicht ausgeschlossen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger die Kosten für die notwendige ärztliche Behandlung und Medikation im Kosovo bezahlen könnten.

Angesichts einer Arbeitslosenquote von geschätzten 45 % (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien - Kosovo - vom 29.09.2007) ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Kläger im Kosovo durch Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt beitragen könnten, abgesehen davon, dass die meisten Lohnempfänger mit einem Gehalt auskommen müssen, das nicht existenzsichernd ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo, Zur Lage der medizinischen Versorgung - Update 07.06.2007, S. 2). Hinzukommt, dass Angehörige der Minderheitengruppen Roma/Ashkali/Ägypter, zu denen die Kläger zählen, vom Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen sind (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe aaO S. 3). Die Arbeitslosenquote liegt bei diesen Minderheiten deshalb bei 98 % (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo, Update: Aktuelle Entwicklungen, 12.08.2008, S. 20 und Stellungnahme vom 10.10.2008: Asylsuchende Roma aus Kosovo, S. 2). Verwandte der Kläger halten sich im Kosovo nicht mehr auf. [...]

Das Gericht sieht keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass Familienangehörige unabhängig von der konkreten Vermögens- und Einkommenssituation auch unter Zurückstellung eigener Bedürfnisse die unmittelbaren Angehörigen nach deren Rückkehr in das Kosovo in einem solchen Umfang finanziell unterstützen, der für die Deckung der Kosten der ärztlichen Betreuung und Medikamentenversorgung ausreichend sein wird. Die gegenteilige Auffassung des VG Karlsruhe (Urteil vom 17.05.2006 - A 4 K 10267/04 - juris = AuAS 2006, 226) kann weder einen diesbezüglichen Erfahrungssatz in Anspruch nehmen noch nachprüfbare Belege anführen. Angesichts des Umstandes, dass sich laut Weltbank schon im Jahre 2001 28 % der Einwohner des Kosovo trotz gesundheitlicher Probleme aus Kostengründen nicht haben behandeln lassen und seitdem die Gesundheitskosten durch Zuzahlungen, Aufmerksamkeiten u.a. weiter gestiegen sind (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Serbien und Montenegro/Kosovo, 9. Gesundheitswesen, Dezember 2005, S. 41 m.w.N.), gegenwärtig geschätzte 37 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und 15 % in extremer Armut leben (vgl. Lüthke in Asylmagazin 4/2007, 28), entbehrt die nur auf einer Behauptung basierende Annahme des VG Karlsruhe jeglicher Plausibilität und Wahrscheinlichkeit.

Ein Krankenversicherungssystem, das die notwendigen Kosten der medizinischen Behandlung der Kläger übernimmt, existiert im Kosovo nicht (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo, Zur Lage der medizinischen Versorgung - Update, 07.06.2007, S. 4). Von staatlichen Stellen, zwischenstaatlichen oder nichtstaatlichen Organisationen erhalten Personen, die aus Westeuropa abgeschoben werden, keine Unterstützung (vgl. Lüthke in Asylmagazin 04/2007, 28; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 10.10.2008, S. 4). Die Kläger wären somit im Kosovo völlig auf sich alleine gestellt. Die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im öffentlichen Gesundheitswesen ist seit 2003 für den Patienten nicht mehr kostenfrei. Behandlungen in der sekundären (Regionalspitäler) und tertiären (Universitätsspitäler Pristina) Gesundheitsversorgung sind grundsätzlich kostenpflichtig, in der Erstversorgung wird eine Kostenbeteiligung verlangt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe Zur Lage der medizinischen Versorgung - Update, 07.06.2007, S. 13). Für einen Behandlungstermin sind zwischen 1,00 und 4,00 EUR zu zahlen, für einen stationären Aufenthalt sind es täglich ca. 10,-- EUR. Auch für Medikamente, die auf der "essential drugs list" des Gesundheitsministeriums aufgeführt sind und bislang kostenfrei bezogen werden konnten, wird nun eine Eigenbeteiligung von bis 2,00 EUR erhoben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien - Kosovo - vom 29.11.2007). Außerdem sind für diese Medikamente vielfach informelle Zahlungen an das Klinik- oder Apothekenpersonal zu leisten (vgl. Auswärtiges Amt, aaO; Schweizerische Flüchtlingshilfe aaO, S. 13). Selbst stationäre Patienten mussten in der Vergangenheit im Universitätsklinikum in Pristina die benötigten Medikamente, Infusionen u.a. zum vollen Preis privat in Apotheken erwerben, obwohl sie auf der "essential drugs list" aufgeführt sind (vgl. Auswärtiges Amt, aaO). Im Übrigen hat die "essential drugs list" kaum noch eine praktische Bedeutung, da die privaten Apotheken den Markt beherrschen und Medikamente nie kostenfrei abgeben (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe aaO, S. 15). Ob die Kläger im Kosovo Sozialhilfe erhalten könnten, erscheint zweifelhaft, da Sozialhilfe nur bewilligt wird, wenn u.a. mindestens ein Kind im Haushalt jünger als fünf Jahre ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo, Update: Aktuelle Entwicklungen 12.08.2008, S. 17). Selbst wenn die Kläger im Kosovo aber Sozialhilfe erhielten, wären sie nicht in der Lage, ihre medizinische Versorgung zu gewährleisten. Die Sozialhilfeleistungen im Kosovo bewegen sich auf sehr niedrigem Niveau; sie betragen für Einzelpersonen 35,- EUR monatlich und für Familien (abhängig von der Zahl der Personen) bis zu 75,- EUR monatlich und reichen damit als alleinige Einkommensquelle unter Berücksichtigung der lokalen Lebenshaltungskosten zum Leben nicht aus (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien - Kosovo - vom 29.11.2007; Lüthke in Asylmagazin 4/2007, 28). Da bei den Klägern monatliche Medikamentenkosten in Höhe von ca. 43 EUR entstehen, könnten sie selbst bei zustehenden Sozialhilfeleistungen die notwendige ärztliche Behandlung und Medikation im Kosovo nicht bezahlen. Den Klägern droht somit bei einer Rückkehr in das Kosovo das Schicksal vieler Angehöriger der dort noch lebenden ethnischen Minderheiten, die mangels Geld sich einen Arztbesuch oder einen Krankenhausaufenthalt sowie den Kauf von Medikamenten nicht leisten können und somit ohne medizinische Versorgung bleiben (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Serbien und Montenegro/Kosovo, 9. Gesundheitswesen, Dezember 2005, S. 39). Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Kläger nicht in der Lage sein werden, die für sie zur Abwehr einer schweren Gesundheitsgefahr im Kosovo erforderliche ärztliche Behandlung und Arzneimittelversorgung sicher zu stellen.

Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Gesundheitszustand der Kläger im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland alsbald nach einer Abschiebung/freiwilligen Rückkehr wesentlich verschlechtern würde, so steht ihnen ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Kosovo zu.

Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Die Kläger sind nicht Teil einer Gruppe i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3, § 60 a Abs. 1 AufenthG. Mit der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 3, § 60 a Abs. 1 AufenthG soll erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung oder einer im Abschiebezielstaat lebenden Bevölkerungsgruppe gleichermaßen droht, für die ganze Gruppe der potentiell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums befunden wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.12.1998, BVerwGE 108, 77). Danach bilden Kranke, die aus finanziellen Gründen eine ausreichende medizinische Versorgung im Heimatland nicht erlangen können, keine Bevölkerungsgruppe i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Denn den betroffenen mittellosen Erkrankten droht nicht dieselbe Gefahr. Die Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen besteht in der konkreten Weiterentwicklung der jeweiligen individuellen Krankheit. Die verschiedenen Krankheiten der mittellosen Erkrankten unterscheiden sich aber erheblich. Sinn und Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist jedoch gerade, eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle wegen der Art der Gefahr einheitlich zu entscheiden. Die in einem Land vorkommenden Krankheiten können aber nicht deshalb rechtlich gleichgestellt werden, weil die Betroffenen das Schicksal der Mittellosigkeit teilen. Der Gruppe der mittellosen Erkrankten fehlt die erforderliche Homogenität in Bezug auf die Art der Gefahr. Nicht jedem mittellosen Erkrankten muss eine erhebliche Gefahr drohen, da dieser Gruppe auch Kranke angehören können, denen bei einer Nichtbehandlung eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben nicht droht. Deshalb kann auf eine Gruppe der mittellosen Erkrankten aus dem Kosovo nicht abgestellt werden (vgl. VG Berlin, Urt. v. 25.07.2003 - 34 X 671.94 - juris -; VG Sigmaringen, Urt. v. 13.08.2003 - A 5 K 11176/03 - juris - VG Oldenburg, Urt. v. 27.01.2004 - 12 A 550/03 - juris; VG Stade, Urt. v. 18.01.2006 - 2 A 1277/02; a. A. VGH München, Beschl. v. 10.10.2000 - 25 B 99.52077 - juris -). Auch im Hinblick auf die bei den Klägern diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung wird die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff AufenthG Nr. 18). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004 - 14 A 548/04.A - juris = Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - und Urt. v. 22.11.2007 - 1 A 11605/06 - juris -; VGH Kassel, Beschl. v. 28.11.2005 - 7 UZ 153/05.A - juris - und Beschl. v. 09.01.2006 - 7 UZ 1831/05.A -).

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