Auch wenn sich ein Kind in einer Pflegefamilie befindet, stellen Umgangskontakte zwischen einem leiblichen Elternteil und dem Kind in der Regel eine durch Art. 6 GG geschützte Eltern-Kind-Beziehung dar.
Auch wenn sich ein Kind in einer Pflegefamilie befindet, stellen Umgangskontakte zwischen einem leiblichen Elternteil und dem Kind in der Regel eine durch Art. 6 GG geschützte Eltern-Kind-Beziehung dar.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).[...]
Die Verfassungsbeschwerde legt die Möglichkeit einer Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG dar und ist insoweit zulässig. Sie ist auch offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführer in diesen Grundrechten.
1. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfGE 51, 386 <396 f.>; 76, 1 <47>; 80, 81 <93>). Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Fremden der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfGE 76, 1 <47 f., 51 f.>; 80, 81 <92>). Dem Ziel der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern darf von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht beigemessen werden (vgl. BVerfGE 76, 1 <68>). [...]
b) Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. [...]
Kann die bereits gelebte Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland zumutbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 f.), so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor der Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, S. 171 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, S. 67; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 -, InfAuslR 2008, S. 347 <348>).
c) Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 <42 f.>).
Bei der Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht (BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.; vgl. auch Urteil des Ersten Senats vom 1. April 2008 - 1 BvR 1620/04 -, NJW 2008, S. 1287 <1289>). Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfGE 80, 81 <95>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 1996 - 2 BvR 1119/96 -, FamRZ 1996, S. 1266; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 -, juris). Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 -, juris; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, S. 67 <68>).
Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.).
d) Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (vgl. BVerwGE 117, 380 <390 f.>).
Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient (vgl. BVerfGE 56, 363 <384>; 79, 51 <63 f.>).
Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).
e) Soweit für die Bejahung des Vorliegens einer familiären (Lebens-)Gemeinschaft regelmäßige Kontakte des getrennt lebenden Elternteils mit seinem Kind, die die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung zum Ausdruck bringen, sowie eine emotionale Verbundenheit gefordert werden, begegnet das für sich genommen keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Das Kindschaftsrechtsreformgesetz hat in §§ 1626, 1684 BGB die Rechtswirklichkeit für die Eltern-Kind-Beziehung zwar erheblich verändert; das lässt aber nicht unmittelbar und ohne Rücksicht auf die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehung der Familienmitglieder untereinander darauf schließen, dass sich die Eltern-Kind-Beziehung nach Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft tatsächlich entsprechend dem Leitbild des Gesetzgebers gestaltet. Die familiäre (Lebens-) Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein. Auch Unterhaltsleistungen sind in diesem Zusammenhang ein Zeichen für die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung (BVerfGK 7, 49 <58>).
2. Die angegriffene Entscheidung trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung. Bei der Entscheidung über die Frage, ob der Beschwerdeführer zu 1. zunächst im Bundesgebiet zu dulden ist, würdigt das Verwaltungsgericht die Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG nicht in dem gebotenen Umfang. Dieses Versäumnis verletzt zugleich die durch diese Vorschrift begründete Grundrechtsposition des Beschwerdeführers zu 2. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main verwiesen. In dem Urteil wurde keine Abwägung eines von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Interesses am weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers zu 1. im Bundesgebiet vorgenommen, sondern es wurde bereits das Bestehen einer schutzwürdigen familiären Lebensgemeinschaft verneint. Durch diese Qualifikation des Verhältnisses der beiden Beschwerdeführer wurde gegen Verfassungsrecht verstoßen.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Schutzes von Ehe und Familie bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen referiert. Das Gericht hat auch den Sachverhalt mit großer Sorgfalt aufgeklärt. Es hat jedoch bei der Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze auf den Sachverhalt deren Bedeutung verkannt, indem es sich von den zuvor dargestellten grundrechtlichen Maßstäben gelöst hat. Die Erwägung des Gerichts, eine Eltern-Kind-Beziehung des Beschwerdeführers zu 2. bestehe nur zu den Pflegeeltern, trifft bereits im Ansatz nicht zu und verfehlt das Erfordernis der Würdigung des Verhältnisses im Einzelfall.
Bei Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-Beziehung typischerweise deutlich von dem Verhältnis des Kindes zur täglichen Betreuungsperson. Dass der Umgangsberechtigte nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft indes nicht entgegen. Die Erwägung des Gerichts, die Elternfunktion sei rechtlich auf die Pflegeeltern übertragen und der Kontakt des Beschwerdeführers zu 1. sei auf ein Besuchsrecht reduziert, rechtfertigt daher nicht den Schluss, zwischen den Beschwerdeführern bestehe keine verfassungsrechtlich geschützte Lebensgemeinschaft. Je nach den Umständen des Einzelfalls bedeutet gerade die Ausübung des Besuchsrechts die Erfüllung der Elternfunktion im Sinne des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG unter den für die Beschwerdeführer nicht änderbaren Einschränkungen der Unterbringung in der Dauerpflegestelle. [...]
Indem das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführer zu 1. als jemanden behandelt, der nicht in einem "echten" Vater-Kind-Verhältnis zum Beschwerdeführer zu 2. stehe, hat es zunächst die Stellung des leiblichen Vaters in verfassungswidriger Weise entwertet. Diese Fehlgewichtung hat dazu geführt, dass die Beziehung zwischen den Beschwerdeführern mit denjenigen nicht schützenswerten Konstellationen gleichgesetzt worden ist, die in der überkommenen Rechtsprechung als Begegnungsgemeinschaft bezeichnet wurden, in der es an der Übernahme von Verantwortung für Betreuung und Erziehung des Kindes fehlt. Diese Wertung steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge die Übernahme solcher Verantwortung auch in Eltern-Kind-Gemeinschaften in den spezifischen Formen, die das Umgangsrecht ermöglicht, vorliegen und aufenthaltsrechtlichen Schutz gebieten kann. Demgemäß wäre zu prüfen gewesen, ob die hier vorhandenen Umgangskontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis der Beschwerdeführer zueinander den auch sonst üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. [...]