VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 15.12.2008 - 2 L 1682/08 - asyl.net: M14739
https://www.asyl.net/rsdb/M14739
Leitsatz:

1. Bei der Entscheidung über die weitere Verlängerung einer wiederholt befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten.

2. Im Einzelfall können Vertrauensschutzgesichtspunkte ein Absehen von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG gebieten.

 

Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, atypischer Ausnahmefall, Lebensunterhalt, Ausweisungsgrund, Sozialhilfebezug, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Vertrauensschutz
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 7 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 6
Auszüge:

1. Bei der Entscheidung über die weitere Verlängerung einer wiederholt befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten.

2. Im Einzelfall können Vertrauensschutzgesichtspunkte ein Absehen von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG gebieten.

(Amtliche Leitsätze)

 

[...]

Der Antrag, mit dem der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 16.10.2008 ausgesprochene Versagung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis sowie die weiter verfügte Abschiebungsandrohung begehrt, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bzw. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 20 AGVwGO statthaft und hat auch in der Sache Erfolg. [...]

Vorliegend kommt dem Interesse des Antragstellers, zumindest bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf in der Hauptsache vorläufig weiter im Bundesgebiet verbleiben zu können, der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an seiner unverzüglichen Ausreise zu. Es bestehen nämlich an der Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Antragsteller ausgesprochenen Ablehnung der Verlängerung der ihm zuletzt auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis und damit auch der Abschiebungsandrohung jedenfalls insoweit gewichtige Zweifel, als der Antragsgegner seine ablehnende Entscheidung vorrangig auf das Fehlen der erforderlichen Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG gestützt hat.

Zwar bezieht der Antragsteller nach Aktenlage seit 01.01.2005, nachdem ihm zuvor in der Zeit ab 1995 bis 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe gewährt worden war, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von derzeit monatlich 313,58 EUR. Damit erfüllt der Antragsteller auch ersichtlich nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (Abs. 1 Nr. 1) und kein Ausweisungsgrund vorliegt (Abs. 1 Nr. 2), wobei ein Ausweisungsgrund unter anderem nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG gegeben ist, wenn der Ausländer für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG steht der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels allerdings nicht zwingend entgegen. Vielmehr kann es in besonders gelagerten Einzelfällen durchaus gerechtfertigt sein, von den gesetzlichen Regelerteilungsvoraussetzungen abzusehen. Dabei liegt ein solcher Ausnahmefall dann vor, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleichliegender Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen (vgl. dazu GK-AufenthG, Stand: August 2008, § 5 Rdnr. 27 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 27.02.1996, BVerwGE 102, 12 ff.).

Hiervon ausgehend musste der Antragsgegner bei seiner Entscheidung über die von dem Antragsteller unter dem 02.06.2008 beantragte Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gerade in Bezug auf die Regel-Ausnahmeentscheidung berücksichtigen, dass die ehemals zuständige Ausländerbehörde des Saarpfalz-Kreises die dem Antragsteller erstmals am 03.07.1992 erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis bislang mehrfach, zuletzt am 01.06.2006 verlängert hat, obwohl sie Kenntnis davon hatte, dass der Antragsteller arbeitslos und daher zumindest zusätzlich zu einer ihm zustehenden Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Inanspruchnahme von Arbeitslosenhilfe bzw. Sozialhilfe angewiesen ist.

Zwar begründet die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis trotz Nichtvorliegens der Regelerteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG im Allgemeinen noch kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine weitere Verlängerung des Aufenthaltstitels, wenn die Regelerteilungsvoraussetzungen auch weiterhin nicht vorliegen. Im Einzelfall kann sich aber aus der mehrfachen Verlängerung ein schutzwürdiges Vertrauen des Ausländers auf eine Fortdauer eines einmal gewährten Aufenthaltsrechts ergeben, sofern die Ausländerbehörde nicht darauf hingewiesen hat, dass eine weitere Verlängerung ausscheidet (vgl. dazu Hailbronner, Kommentar zum AufenthG, Stand: Oktober 2008, § 5 Rdnr. 13 unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 26.09.1978, BVerfGE 49, 168 ff.).

Ob der Antragsgegner danach mit Blick auf die offenbar routinemäßig und ohne Einschränkungen erfolgten Verlängerungen der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers in Bezug auf die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG noch von dem Vorliegen eines Regelfalles ausgehen durfte oder ob nach den tatsächlichen Gegebenheiten eher eine atypische Fallkonstellation anzunehmen ist, die ein Absehen von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG als geboten erscheinen lässt, ist zumindest zweifelhaft. [...]