Keine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Hindus in Kabul; keine geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen in Kabul; kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistan.
Keine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Hindus in Kabul; keine geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen in Kabul; kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistan.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
1. Die Kläger können nicht nach § 60 Abs. 1 S. 1 und 6 AufenthG, § 3 Abs. 1, 4 AsylVfG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. [...]
1.1 Vorliegend ist bei der nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorzunehmenden Verfolgungsprognose der allgemeine Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen. [...]
Zum einen geht das Gericht davon aus, dass die Kläger ihr Land nicht wegen einer an ihre hinduistische Religionszugehörigkeit anknüpfende Verfolgung verlassen haben. Insoweit haben die Kläger zu 1) und 2) in ihrer Anhörung am 23. Juli 2003 und 1. April 2003 (vgl. Bl. 25 ff. d.A. 5014841 und 5035340-423) vor dem Bundesamt angegeben, dass sie Afghanistan wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, der allgemeinen Unsicherheit sowie aus Angst vor der Vergeltung der Amerikaner verlassen hätten, und weil sie für ihre Kinder eine bessere Zukunft wünschten. Soweit der Kläger zu 1) nunmehr in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hamburg geltend gemacht hat, Afghanistan auch wegen einer Verfolgung aufgrund seiner hinduistischen Glaubenszugehörigkeit verlassen zu haben, steht dies im Widerspruch zu seinen vorherigen Angaben vor dem Bundesamt, er habe als Hindu keine Probleme gehabt. Die nunmehr gemachten Angaben sind für das Gericht unglaubhaft, da sie in einem großen zeitlichen Abstand zur Ausreise gemacht wurden und auch in der mündlichen Verhandlung nur schemenhaft blieben.
1.2 Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass den Klägern wegen ihrer hinduistischen Religionszugehörigkeit bei einer Rückkehr nach Kabul von einem der in § 60 Abs. 1 Satz 4 lit.a-c AufenthG genannten Akteure Verfolgung droht. Das Gericht hat bei der nachfolgenden Prüfung an die Lage der Kläger bei deren Rückkehr nach Kabul angeknüpft, als dem Ort, an dem sie vor ihrer Ausreise langjährig gelebt haben und in den eine Rückkehr ohne Einschränkungen möglich ist. Da den Klägern entsprechend den nachstehenden Ausführungen bei einer Rückkehr nach Kabul als ihrem "Herkunftsort" keine Verfolgung droht, kommt Art. 8 QRL (interner Schutz) nicht zur Anwendung (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008 - 10 C 43.07; Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, Stand November 2006, Teil 1 § 14 Rn. 31 ff., 34; Teil 2 § 40 Rn. 59).
Der Begriff der Religion umfasst gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Maßgeblich ist insoweit, ob den Klägern in dem genannten Rahmen die nach ihrem persönlichen Religionsverständnis gewollte bzw. "geforderte" und für sie unverzichtbare Religionsausübung in ihrem Heimatland möglich ist (vgl. Marx, Handbuch der Flüchtlingsanerkennung, a.a.O., Teil 1 § 17 Rn. 3, 15).
Allerdings ist nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich gleichzeitig Verfolgung wegen der Religion, sondern sie muss sich als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen. [...]
Die Annahme einer Gruppenverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG setzt entsprechend intensive und häufige Rechtsgutverletzungen der jeweiligen Gruppe (sog. Verfolgungsdichte) voraus, aus denen jedes einzelne Mitglied die - bei objektiver Betrachtung - begründete Furcht herleiten kann, auch selbst alsbald Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Dabei ist von Belang, ob sich vergleichbares Verfolgungsgeschehen in der Vergangenheit schon häufiger ereignet hat und die Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben muss (BVerfG NVwZ 1991,768). [...]
Nach Würdigung und Bewertung der Erkenntnismittel (vgl. insbesondere: Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 7.3.2008; Auskünfte des Auswärtigen Amtes v. 17.1.2008, 20.2.2008; Auskunft von UNHCR v. 19.2.2008; Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 13.9.2007; Dr. ..., Auskünfte v. 25.1.2006 und 9.5.2007; IOM vom 17.7.2007, ... vom 3.1.2008; Pratibha Chauhan v. 27.9.2007; Bericht des afghanischen Fernsehens v. 20.12.2007; Jon Hemming v. 17.9.2007; BBC - Meldung vom 17.9.2007 Kabul Sikh cremation goes ahead) im Wege einer Gesamtschau der maßgeblichen Kriterien ist das Gericht bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe der Überzeugung, dass Hindus in Kabul keiner an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen unmittelbaren oder mittelbar staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind (vgl.: OVG Münster, Urt. v. 19.6.2008 - 20 A 4676/06.A, juris; VG Ansbach, Urt. v. 26.11.2007, AN 11 K 07.30632, VG Sigmaringen, Urt. v. 16.3.2006, A 2 K 10962/05, für Großbritannien vgl. Immigration Appeal Tribunal, Entscheidung vom 7. 10.2005, Afghanistan CG 2005 UK IAT 00137; a.A. VG Leipzig, Urt. v. 21.3.2007, 1 A 30746/03.A). Das Gericht sieht dabei weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit einer substantiellen Erweiterung oder Absicherung der Entscheidungsgrundlage durch weitere Aufklärungsmaßnahmen. Soweit Widersprüche, Unklarheiten und Vorbehalte festzustellen sind, resultiert das ersichtlich im wesentlichen Umfang aus unterschiedlichen Sichtweisen, Beschränkungen der Untersuchungs- oder Erkundungswege, Informationen Dritter sowie punktuellen Eindrücken. Für die Verfügbarkeit anderer Mittel der Erlangung von Kenntnissen als sie den hier genutzten Quellen zugrunde liegen, spricht nichts, da sich die Hindus aus nachvollziehbaren Gründen nicht als Gruppe offen und in einer längerfristig und vielschichtig zu beobachtenden Weise zeigen, die eine Grundlage für eine weitere Einschätzung oder repräsentative Beispiele ihrer Lebensbedingungen bieten könnten. Auf der Basis der genannten Erkenntnisquellen ergibt sich daher folgendes Bild:
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass Hindus in Kabul in ihrem täglichen Leben immer wieder mit teilweise nicht unerheblichen Benachteiligungen konfrontiert werden. So kommen Hindu-Rückkehrer häufig nur in den noch existierenden Hindu-Tempeln unter und leben unter äußerst schwierigen Bedingungen. Ursache dafür ist der Umstand, dass die meisten Hindus ihre Häuser und Geschäfte verloren haben. Hindus sind häufig Opfer illegaler Landnahme geworden. Dabei handelt es sich aber nicht um ein spezifisch gegen Hindus gerichtetes Phänomen, weil auch andere Bevölkerungsgruppen davon betroffen sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass inzwischen laut Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe einige Hindu-Mitglieder ihren Besitz zurückerhalten haben. Der Umstand, dass viele Hindus unter schweren Bedingungen leben müssen, ist vielmehr zuvorderst ein Ausdruck der äußerst angespannten Lage vor Ort. Die wirtschaftliche Lage der Hindus unterscheidet sich deshalb nicht grundsätzlich von der Lage der muslimischen Bevölkerung. Den genannten Erkenntnisquellen ist nicht zu entnehmen, dass Hindus in Kabul allein durch ihr Dasein und Auftreten als Hindus in der Öffentlichkeit mit körperlichen Angriffen oder Repressalien zu rechnen haben. Allerdings hat es in der Vergangenheit vereinzelt gezielte Angriffe auf Hindus gegeben (z.B. Oktober 2003: Beschuss eines Sikh Tempels; April 2005: Attentat auf einen Sikh Tempel; November 2005: Ermordung eines Hindus durch Taliban). Gerade in den letzten Jahren sind jedoch keine vergleichbaren Vorfälle bekannt geworden (AA vom 7.3.2008 S. 15; SFH vom 13.9.2007 S.14). [...]
Den Hindus ist es in Kabul nach Erkenntnissen des Gerichts zudem möglich, ihre Religion ungestört zu Hause und in ihren Tempelanlagen auszuüben (IOM vom 17.7.2007; SFH vom 13.9.2007 - S. 16; UNHCR vom 19.2.2008; AA vom 20.2.2008). Nach Einschätzung des Gerichts ist es den Hindus in Kabul auch nicht verwehrt, ihre Feste in der Öffentlichkeit zu feiern. [...]
Dass die Hindus ihre traditionellen Verbrennungsstätten in Kabul bisher aufgrund von Protesten der in unmittelbarer Umgebung des Verbrennungsplatzes wohnenden offenbar muslimischen Bevölkerung, die sich durch den Ritus selbst, aber auch durch die damit verbundenen Belästigungen wie Qualm und Luftverschmutzung gestört fühlen, nicht wieder benutzen können, stellt nach Auffassung des Gerichts keine im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Einschränkung der Religionsausübung dar. Insoweit haben die Kläger zu 1) und 2) zwar glaubhaft in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass ihr Glauben ihnen zwingend die Verbrennung ihres Leichnams gebiete, ebenso wie die Überführung der Asche zu einem späteren Zeitpunkt in den Fluss Ganges. Die Einhaltung dieses religiösen Ritus ist den Klägern bei einer Rückkehr nach Kabul gewährleistet. Denn den Hindus ist in Kabul an der Jalalabad Road seitens der Regierung Karsai eine Verbrennungsstätte zugewiesen worden. Diese wurde von der Hindu-Gemeinde lediglich als zu weit entfernt abgelehnt (SFH vom 13.9.2007). Hindu-Gemeinde und Regierung suchen derzeit offenbar noch nach einer für alle Beteiligten befriedigenden Lösung; in der Zwischenzeit darf die Hindu-Gemeinde ihre Verstorbenen zudem in den Tempelanlagen verbrennen, ohne dass es dabei zu Störungen kommt (SFH vom 13.9.2007, AA vom 17.1.2008). Zwischenfälle bei den Verbrennungen sind zudem, wie der Bericht über die Störung einer Verbrennung in Kabul am 27. September 2007 zeigt, mit Hilfe der örtlichen Polizei gelöst worden. Entsprechend den dem Gericht bekannten Pressemeldungen (vgl. Jon Hemmings, BBC vom 17.9.2008; Bericht im afghanischen Fernsehen vom 20.10.2007) wurde im September 2007 die Verbrennungszeremonie der Sikh-Gemeide auf der traditionellen Verbrennungsstätte zunächst durch die Anwohner gestört. Nachdem die Sikh sich jedoch an die Führung der Kriminalpolizei gewendet hatten, wurde die Durchführung der Zeremonie durch Polizeikräfte begleitet und sichergestellt; 5 Muslime wurden festgenommen.
Soweit die Kläger zusätzlich im Hinblick auf Art. 54 der Afghanischen Verfassung befürchten, dass die afghanische Regierung alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen wird, um eine Ausübung hinduistischer Tradition in Kabul zu verhindern, entspricht dies nicht der oben dargestellten Praxis.
Es lässt sich auch nicht feststellen, dass hinduistische Kinder in Kabul vom Zugang zum Ausbildungsangebot ausgeschlossen sind. Grundsätzlich haben Hindus wie alle afghanischen Kinder freien Zugang zu den staatlichen Schulen. Allerdings melden viele Eltern ihre Kinder von diesen Schulen wieder ab, weil sie dort häufig unter verbalen Beschimpfungen ihrer muslimischen Mitschüler zu leiden hätten (UNHCR vom 19.2.2008). Solche rein verbalen Belästigungen sind aber für die Annahme einer relevanten Verfolgung nicht ausreichend; hier müssten vielmehr konkrete Hinweise bestehen, dass hinduistische Kinder in den staatlichen Schulen mit gewisser Regelmäßigkeit Opfer auch von körperlichen Übergriffen werden, ohne dass Lehrkräfte oder sonstige Aufsichtspersonen Hilfe leisten. [...]
Fälle von Zwangsislamisierung sowie Entführungen und Zwangsverheiratungen sind in letzter Zeit nicht bekannt geworden. [...]
Sämtliche medizinischen Einrichtungen in Kabul stehen Hindus grundsätzlich zur Verfügung, wobei anzumerken ist, dass die meisten Ärzte muslimisch sind und somit Diskriminierungen nicht ausgeschlossen werden können. Es gibt jedoch keinerlei Erkenntnisse darüber, dass Hindus aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit eine schlechtere medizinische Versorgung als Moslems erhalten.
Eine im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Diskriminierung der Hindus aufgrund der Sprache (Hindi) kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Zwar ist insoweit zutreffend, dass sich nach den dem Gericht vorliegenden Auskünften die Hindus im Stadtbild von Kabul quasi nicht zu erkennen geben und im öffentlichen Raum Dari sprechen. Andererseits ist der Gebrauch der Sprache Hindi aber in Afghanistan nicht verboten. Der Gebrauch von Hindi im privaten Bereich und in den Tempeln ist nicht eingeschränkt. Ebenso erscheint offenbar Hindi vielfältig auch im allgemeinen Straßenbild und zum Teil sogar in Kinos, da indische Schauspieler und Filme äußerst beliebt sind (vgl. SFH vom 13.9.2007 S. 11 ff.). Der Umstand, dass die Sprache Hindi nicht in Art. 16 der Afghanischen Verfassung genannt ist, begründet ebenfalls keine relevante Diskriminierung. Denn in der genannten Vorschrift wird festgelegt, dass von den in Afghanistan gebräuchlichen Sprachen, von denen einige genannt sind, nicht jedoch Hindi, Paschtu und Dari die offiziellen Sprachen des Staates sind. Die Bestimmung von Paschtu und Dari zur offiziellen Sprache des Staates entspricht dabei dem Sprachgebrauch des ganz überwiegenden Teiles der Bevölkerung in Afghanistan.
Die Kläger werden in Kabul als Hindus auch nicht durch gesetzliche Maßnahmen oder Maßnahmen der Judikative sowie durch die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes wegen ihres hinduistischen Glaubens derart benachteiligt, dass eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf Leben oder Freiheit, anzunehmen wäre (vgl. § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 lit. b und d QRL).
Soweit die Kläger im Hinblick auf Art. 2 Absatz 1, Art. 3 sowie Art. 130 der Afghanischen Verfassung, die den Vorbehalt des islamischen Gesetzes kodifizieren, befürchten, dass der Scharia-Rechtskodex auf sie als Nicht-Muslime angewendet wird und zwar entgegen Art. 131 Satz 2 der Afghanischen Verfassung selbst in persönlichen Angelegenheiten, und für sie hieraus schwerwiegende Benachteiligungen resultieren, kann das Gericht dem nicht folgen. Insoweit ist zwar festzustellen, dass der Projektleiter Afghanistan des Max-Planck-Instituts für ausländisches und öffentliches Völkerrecht, Herr Tilmann J. in einer Kurzstellungnahme vom 3. Januar 2008 nach seinen momentanen Kenntnissen davon ausgeht, dass die afghanische Judikative verpflichtet wäre, die Regeln der Scharia auf Nicht-Muslime anzuwenden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, mag dahingestellt bleiben. Insoweit sei nur darauf hingewiesen, dass die afghanische Verfassung auch Ansatzpunkte für eine Respektierung der anderen im Land vertretenen Religionen aufweist (vgl. Präambel, Art. 2 Abs. 2, Art. 6 und 7 der Afghanischen Verfassung, die u.a. auch den Schutz der Menschenrechte sowie die Achtung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gewährleisten). Jedenfalls kann in diesem Zusammenhang eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte oder eine Verletzung des Rechts auf Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Art. 9 Abs. 1 QRL nur angenommen werden, wenn es durch die zuständigen Gerichte in Afghanistan regelhaft zu schwerwiegenden Verletzungen grundlegender Menschenrechte oder des Rechts auf Leben oder Freiheit kommt. Davon kann auf der Basis der derzeitigen Erkenntnisse nicht ausgegangen werden. [...]
Auch die Kumulierung der genannten Maßnahmen führt zur Überzeugung des Gerichts nicht zu einer schwerwiegenden Verletzung von Menschenrechten (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b i.V.m. lit. a QRL).
Insoweit sind die Hindus in Kabul zwar durch Anfeindungen der Gesellschaft über die allgemein angespannte Lage hinaus Problemen ausgesetzt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine gezielte Verfolgung als Hindus, sondern um die Verstärkung der bestehenden allgemeinen wirtschaftlichen Probleme aufgrund der im Vergleich zur moslemischen Bevölkerung geringen Größe der Hindu-Gemeinde in Kabul. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Regierung Karsai um religiöse und politische Verständigung bemüht zu sein scheint. So wirkte in der Verfassungskommission auch ein Hindu-Mitglied mit, um nicht-muslimische Minderheiten zu vertreten. Zudem gibt es einen Vertreter der Hindus im Oberhaus des afghanischen Parlaments, der von Präsident Karsai nominiert wurde. In Kabul ist es der hinduistischen Gemeinschaft möglich, religiösen Riten jedenfalls in ihren Tempeln, teilweise auch in der Öffentlichkeit ungestört nachzugehen. Zudem versucht die Regierung, hinsichtlich bestehender bestimmter Problemfelder positive Entwicklungen - wie oben dargestellt - anzustoßen. Daher ist nicht für jedes einzelne Hindu-Mitglied die Furcht i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG begründet, alsbald Verfolgungshandlungen erleiden zu müssen, die zu einer schwerwiegenden Verletzung der grundlegenden Menschenrechte oder zu einer vergleichbaren Verletzung führen. [...]
1.3 Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin zu 2) wegen ihres Geschlechts bei einer Rückkehr nach Kabul Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG drohen würde. In § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist - insoweit über Art. 10 Abs. 1 d) der Qualifikationsrichtlinie hinausgehend - klargestellt (BT-Drs. 15/420 Seite 91), dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit an das Geschlecht anknüpft. Die Verfolgungsmaßnahmen müssen dabei allein an das Geschlecht anknüpfen und dürfen nicht auch auf anderen Umständen beruhen (VG Ansbach, Urt. v. 13.8.2007, AN 11 K 07.30353 m.w.N; HessVGH, Urt. v. 1.3.2006, 8 UE 3766/04.A, jeweils zit. nach juris; Pelzer/Pennington, Asylmagazin 05/2006 S. 4). Dies kann bei entsprechender Sachlage im Fall drohender Genitalverstümmelungen, Übergriffen wegen unsittlichen Verhaltens oder Zwangsheirat vorliegen. Dagegen knüpfen drohende Einschränkungen und durchaus massive Einschnitte in die in Deutschland erlernte Lebensweise (bei "verwestlichten" Frauen) nicht allein an das Geschlecht an, sondern bestehen nur dann und insoweit sich die betroffene Frau bei einer Rückkehr nicht den dortigen Umgangsformen und Sittlichkeiten anpasst, wobei eine derartige Anpassung bzw. Unterordnung den betroffenen Frauen in der Regel zuzumuten ist (VG Ansbach, a.a.O.).
Afghanistan ist auch nach dem Ende der Talibanherrschaft ein streng islamisch ausgerichteter Staat. Die Menschenrechtslage von Frauen ist durch orthodoxe Scharia-Auslegungen und archaisch-patriarchalische Ehrenkodizes geprägt. Zwar konnten Frauenrechte in der Verfassung und teilweise im staatlichen Recht gestärkt werden, deren Umsetzung hat die Frauen aber weitgehend noch nicht erreicht. Frauen und Mädchen sind in Afghanistan sowohl in rechtlicher als auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nach wie vor stark benachteiligt. Gelegentlich kommt es zu sog. "Ehrenmorden" an Frauen. Mädchen sind zwar nicht mehr, wie unter den Taliban, von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Entwicklungsmöglichkeiten für sie sind aber weiterhin wesentlich eingeschränkt (AA vom 7.3.2008 S.19). Das Umgangsverbot nicht verwandter Männer und Frauen beeinträchtigt den Zugang von Frauen zu höherer Bildung, der Arbeitswelt und dem Justizwesen, weil alle diese Bereiche fast ausschließlich von Männern dominiert sind. Auch die Bewegungs- und Handlungsfreiheit von Frauen und Mädchen ist nach wie vor stark eingeschränkt. Wie oben bereits ausgeführt, sind die strengen Kleidungsvorschriften der Taliban zwar nicht mehr in Kraft. Tatsächlich aber tragen die meisten Frauen zum Schutz vor Übergriffen weiterhin sogar die Burka oder ähnliche Gewänder (AA vom 7.3.2008 S. 19).
Bei Bewertung und Würdigung dieser Auskunftslage unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist darin aber eine allein geschlechtsspezifisch anknüpfende Verfolgung im vorgenannten Sinn weder substantiiert behauptet worden noch ersichtlich. Allein die im Hinblick auf den international üblichen Menschenrechtsstandard (vgl. etwa Art. 2 und 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN, das Übereinkommen der UN zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und die UN-Resolution über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen) auf Grund der dortigen Traditionen allgemein schlechte gesellschaftliche und rechtliche Stellung von Frauen in Afghanistan reicht hierzu ebenso wenig aus wie die mögliche Annahme, auf Grund längeren Aufenthalts im westlichen Ausland müsste einer Frau zwangsläufig ein moralischer Makel anhaften. Hier fehlt es schon an einer besonders geschlechtsspezifischen Anknüpfung von eventuell befürchteten Maßnahmen. Hinzu kommt, dass diese befürchteten Maßnahmen nach der Auskunftslage auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach Auffassung des Gerichts könnte in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung eine geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen in Afghanistan (allen- oder jedenfalls) dann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für unsittliches oder sonstiges Verhalten vorliegen, das wiederum Anlass für Übergriffe wäre, oder wenn insbesondere eine Zwangsheirat drohen würde. An solchen Anhaltspunkten mangelt es jedoch. Es kommt zwar vereinzelt zu derartigen Vorfällen, diese sind aber nicht so häufig, als dass sie zur Bejahung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung hinsichtlich der Klägerinnen zu 2) und 3) genügten.
2. Der von den Klägern gestellte Hilfsantrag auf Gewährung von europarechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist ebenfalls unbegründet. Die Kläger sind bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsort Kabul keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ausgesetzt. [...]
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen sind die Kläger im Falle der Rückkehr nach Kabul, als ihrem Herkunftsort keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines bewaffneten Konflikt i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ausgesetzt. Im Raum Kabul dürfte bereits kein "innerstaatlicher bewaffneter Konflikt" i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG vorliegen. Insoweit geht das Gericht aufgrund der ihm vorliegenden und in der mündlichen Verhandlung genannten Erkenntnisquellen davon aus, dass die Sicherheitslage im Raum Kabul zwar fragil, aber aufgrund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufriedenstellend ist. Sie wird vom United High Comissioner for Refugees (UNHCR) für freiwillige Rückkehrer im Wesentlichen als "ausreichend sicher" bezeichnet. Insoweit kommt es zwar in Kabul zu Attentaten, Überfällen und Übergriffen. Diese sind jedoch in der Regel auf Angehörige der ISAF-Truppen oder Repräsentanten staatlicher Organe, insbesondere der Polizei gerichtet. Hierbei sind auch Opfer in der Zivilbevölkerung zu beklagen. Dennoch erreichen die Auswirkungen von Attentaten, Übergriffen und Überfällen nicht eine Häufigkeit und Intensität, die im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts rechtfertigt.
Die Kläger sind zudem bei einer Rückkehr nach Kabul keiner erheblichen individuellen Gefahr bzw. keiner ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt. Insoweit müssten die von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgehenden (allgemeinen) Gefahren jedenfalls eine solche Gefahrendichte aufweisen, dass alle Bewohner des betroffenen Gebietes hiervon ernsthaft persönlich (individuell) betroffen sind, oder individuelle Gründe für eine besondere Gefährdung gerade der Kläger sprechen. Hierbei sind allgemeine Lebensgefahren, die lediglich Folge eines bewaffneten Konflikts sind - etwa eine Verschlechterung der Versorgungslage - nicht mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 S. 19; Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Drs. 16/5065 zu § 60 Abs. 7 AufenthG - S. 187). Gemessen an diesen Grundsätzen sind die Kläger bei einer Rückkehr nach Kabul keiner erheblichen individuellen Gefahr bzw. keiner ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt. Die Anschläge in Kabul treffen wie dargelegt ganz überwiegend Angehörige der Polizeikräfte sowie der internationalen Schutztruppen (AA vom 7.3.2008; vgl. ai Pressespiegel Afghanistan vom November 2007 und Februar 2008). Soweit Angehörige der Zivilbevölkerung unter den Opfern der Anschläge zu beklagen sind, ist deren Zahl gemessen an der Gesamtbevölkerung in Kabul gering. Eine Erhöhung der allgemeinen Gefahren für die Kläger als Hindus oder aus sonstigen individuellen Gründen ist nicht ersichtlich.
Soweit die Kläger geltend machen, dass sie aufgrund der schlechten Versorgungslage in Afghanistan bei einer Rückkehr keine hinreichende Lebensgrundlage vorfinden könnten, können diese Gefahren nicht im Rahmen des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG berücksichtigt werden. Denn diese sind nach Auffassung des Gerichts keine Folge der in Afghanistan bestehenden Kampfhandlungen. Als allgemeine mit einem bewaffneten Konflikt nicht im Zusammenhang stehende Gefahren sind sie daher für die Gewährung des Schutzstatus nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nicht zu berücksichtigen. [...]
3. Soweit die Kläger äußerst hilfsweise nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehren, ist auch dieser Klagantrag unbegründet. [...]
Den Klägern droht zunächst bei einer Abschiebung nach Afghanistan keine Verletzung der in Art. 9 EMRK garantierten Religionsfreiheit. Der Schutzbereich von Art. 9 EMRK geht dabei nicht über den des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9, 10 QRL hinaus (die Qualifikationsrichtlinie findet vorliegend keine Anwendung - vgl. § 60 Abs. 11 AufenthG), sondern wird im Gegenteil nach bestehender Rechtsprechung enger ausgelegt und auf die Ausübung des religiösen Existenzminimums im häuslich-privaten Bereich beschränkt (GK AuslR, Stand Dezember 2000, zu § 53 Rn. 220.2 m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes). Da selbst bei Anwendung des erweiterten Schutzbereiches des § 60 Abs. 1 AufenthG keine Verletzung der Religionsfreiheit gegeben ist, folgt hieraus zugleich, dass eine Verletzung von Art. 9 EMRK nicht vorliegt.
Die Verletzung weiterer Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention sind ebenfalls nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere für eine Verletzung von Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), dessen Anwendung jedenfalls ein konkret anstehendes Verfahren voraussetzen würde (vgl. GK-AuslR, Stand Dezember 2000, zu § 53 Rn. 220 m.w.N.), sowie Art. 3 EMRK, der eine zielgerichtete staatliche oder dem Staat zurechenbare unmenschliche oder erniedrigende Behandlung voraussetzt (vgl. BVerwG, B. v. 18.12.2006 - 1 B 53/06 - juris; Urt. v. 27.4.2000 - 9 B 153/00 - juris; Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96, InfAuslR 97 S. 341; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2006, zu § 60 Rn. 102 ff., m.w.N.). Beides ist hier im Hinblick auf die Kläger nicht ersichtlich. [...]
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Absatz 7 S. 1 AufenthG nicht vor. [...]
Soweit sich die Kläger zur Begründung ihres Anspruches auf die desolate wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Lage in Afghanistan beziehen und auch fehlende Bildungs- und Lebenschancen für ihre Kinder geltend machen, handelt es sich um Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der die Kläger angehören allgemein ausgesetzt sind. Sie unterfallen daher nach § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG grundsätzlich nicht § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Einbeziehung dieser allgemeinen Gefahren in den Geltungsbereich des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG liegen nicht vor, da den Klägern gemäß den oben genannten Maßstäben derzeit in Hamburg ein anderweitiger, gleichwertiger Schutz vor Abschiebung gewährt wird. [...]