Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung für Regimegegner aus der Türkei, insbesondere beim Vorwurf des Separatismus oder der Unterstützung des Terrorismus.
Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung für Regimegegner aus der Türkei, insbesondere beim Vorwurf des Separatismus oder der Unterstützung des Terrorismus.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 8. September 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). [...]
Der angegriffene Widerruf liegt weder sachlich noch zeitlich außerhalb der Reichweite der materiellen Bestandskraft des genannten Bescheides. Die Streitgegenstände der Zuerkennung und des Widerrufs des Status eines politischen Flüchtlings sind identisch. Eine nach den o. g. Maßstäben wesentliche Änderung der Sachlage gegenüber der des im April 2001 erlassenen Bescheides lässt sich nicht feststellen. Die Verhältnisse haben sich zwischenzeitlich trotz der von der Beklagten dargestellten Reformen in der Türkei nicht so gravierend verändert, dass an dieser Wertung nicht länger festgehalten werden müsste. Zwar ist dem Bundesamt zuzugeben, dass sich die innenpolitische Situation und die Sicherheitslage in der Türkei zwischenzeitlich schon deutlich gebessert haben. Insoweit erweist sich auch die Darstellung in dem angefochtenen Bescheid und im gerichtlichen Verfahren im Wesentlichen als zutreffend. Nach den o.g. Maßstäben setzt die Rechtmäßigkeit eines Widerrufs aber voraus, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat tatsächlich in einer Weise verändert hätten (d.h. verbessert haben), dass sich eine für die Flucht maßgebliche Verfolgungsmaßnahme in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt. Eine derartige Prognoseentscheidung lässt sich hier nicht treffen. Denn die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte geht nach Auswertung aktueller Erkenntnismittel nach wie vor davon aus, dass es in der Türkei trotz der eingeleiteten Reformen immer noch zu menschenrechtswidriger Behandlung von inhaftierten Regimegegnern kommt, insbesondere wenn sie der Begehung von Staatsschutzdelikten verdächtigt werden. Neben wegen entsprechenden Verdachts vorverfolgten Asylbewerbern gelten als besonders gefährdet Personen, die durch ihre Nachfluchtaktivitäten als exponierte und ernst zu nehmende Gegner des türkischen Staats in Erscheinung getreten sind und die sich dabei nach türkischem Strafrecht strafbar gemacht haben (vgl. OVG NW, Urt. vom 17. April 2007 - 8 A 2771/06.A -; Nds. OVG Urteile vom 25. Januar 2007 - 11 LB 4/86 - und vom 18. Juli 2006 - 11 LB.75/06 -; OVG Rh.- Pf., Urt. vom 1. Dezember 2006 - 10 A 10887/06. OVG - m.w.N.). Dies gilt insbesondere für Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten oder als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Gerade zu diesem Personenkreis zählte der Kläger wegen des Vorwurfs des Separatismus und der Unterstützung der PKK nach Einschätzung des Bundesamtes in dem Bescheid vom 5. April 2001. Hinsichtlich der für diese Einschätzung maßgeblichen objektiven Verhältnisse in der Türkei lässt sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln nicht eine wesentliche nachträgliche Veränderung feststellen. Diesbezüglich macht sich das Gericht die Würdigung der Erkenntnismittel in den o.g. obergerichtlichen Entscheidungen zu Eigen und verweist auf sie (vgl. auch Urteil der Kammer vom 4. Oktober 2007 - 5 A 4386/06 -). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften seit Juni 2004 wieder aufgeflammt sind und ein Anstieg von Übergriffen der Sicherheitskräfte erneut zu verzeichnen ist und der Verschärfung des Antiterrorgesetzes am 29. Juni 2006 als Reaktion auf die Zunahme der Spannungen im Südosten der Türkei kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass der vor seiner Ausreise als Separatist und PKK-Unterstützer angesehene und in ein Hisbollah-Camp verbrachte Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr ausgesetzt sein wird (so auch: VG Arnsberg, Urteil vom 19. Mai 2008 - 14 K 1184/07.A -; VG Lüneburg, Urteil vom 7. Mai 2008 - 2 A 54/08 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2008 - 26 K 2846/08.A -; VG Minden, Urteil vom 18. April 2008 - 8 K 1408/07.A -; VG Hannover, Urteil vom 26. März 2008 -1 A 2801/05 -; VG Berlin, Urteil vom 25. Januar 2008 - VG 36 X 5.06 - Asylmagazin 3/2008, 17).
Das Bundesamt vermochte auch nicht eine derartige Veränderung der speziell den Kläger betreffenden Verhältnisse darzulegen und nachzuweisen. Eine wesentliche Veränderung der individuellen Verhältnisse lässt sich nicht mit der Behauptung begründen, die politischen Verhältnisse und die Menschenrechtssituation in der Türkei hätten sich maßgeblich geändert. Dies ist anhand der verfügbaren Erkenntnismittel gerade nicht der Fall, so dass dem Kläger schon allein wegen des damaligen Verdachts eines regimefeindlichen Einsatzes in der Vergangenheit und zum anderen wegen seiner Flucht aus dem Hisbollah-Camp bei einer Rückkehr in die Türkei landesweit Ermittlungen, Festnahmen und Verhöre drohen, bei denen sich auch die Gefahr von Misshandlungen und Folter nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt.
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