VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 27.11.2008 - 2 A 114/08 - asyl.net: M14750
https://www.asyl.net/rsdb/M14750
Leitsatz:

Hinreichende Sicherheit vor erneuter Gruppenverfolgung syrisch-orthodoxer Christen in der Türkei.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Christen (syrisch-orthodoxe), herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Reformen, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Religionsfreiheit
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Hinreichende Sicherheit vor erneuter Gruppenverfolgung syrisch-orthodoxer Christen in der Türkei.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der hier streitgegenständliche Widerrufsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig. [...]

Wegen des Wegfalls der Gefahr einer politischen Verfolgung der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei sind die grundsätzlichen Voraussetzungen für den Widerruf gegeben (vgl. VG Minden, Urteil v. 31.3.2008 - 8 K 2074/07.A -; VG Würzburg, Urteil v. 16.5.2007 - W 5 K 06.30203 -; VG Ansbach , Urteil v. 17.7.2008 - AM 1 K 06.30175 -, jeweils in juris). Eine Wiederholung der für die Asylanerkennung des Klägers maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen ist mittlerweile mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen.

Wegen zwischenzeitlicher Verbesserung der Lage in der Türkei und anhaltender Reformbestrebungen unterliegen selbst (syrisch-orthodoxe) Christen aus den ländlichen Gebieten im Südosten der Türkei ab Dezember 2001 keiner örtlich begrenzten mittelbaren Gruppenverfolgung mehr (Nds. OVG, Urteil vom 21. Juni 2005 - 11 LB 256/02 -; VGH BW, Urteile vom 27. Oktober 2005 - A 12 S 919/05 - und - A 12 S 603/05 -; Hess. VGH, Urteil vom 22. Februar 2006 - 6 EU 2268/04.A -). Insoweit fehlt es sowohl an einer hinreichenden Verfolgungsdichte als auch an einer Zurechenbarkeit der nur noch vereinzelt stattfindenden Übergriffe gegenüber dem türkischen Staat.

Unter Auswertung der bis zu den Entscheidungszeitpunkten der Gerichte 2005/2006 bekannt gewordenen Erkenntnismittel geht die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. oben) mittlerweile einheitlich davon aus, dass Christen in der Türkei weder eine unmittelbar noch eine mittelbare oder mittelbare örtlich begrenzte Gruppenverfolgung droht. Nach übereinstimmender Beurteilung ist die individuelle Glaubensfreiheit in der Türkei faktisch weitestgehend gewährleistet. Obwohl bezüglich der Verwirklichung der Rechte der religiösen Minderheiten als Gruppe noch Defizite bestehen, hat der mit Blick auf die Europäische Union begonnene Reformprozess auch vor diesem Bereich nicht Halt gemacht und zu ersten kleinen Fortschritten geführt. Der türkische Staat ist bezüglich gewalttätiger Übergriffe privater Dritter schutzfähig und auch -willig. Das religiöse Existenzminimum von Christen ist in der Türkei nicht gefährdet (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 21. Juni 2005, a.a.O.; VGH BW, Urteile vom 27. Oktober 2005, a.a.O.; Hess. VGH, Urteil vom 22. Februar 2006, a.a.O.). Der auf einer sehr kritischen Bewertung der Auskünfte des Auswärtigen Amtes beruhenden abweichenden Entscheidung des VG Stuttgart (Urteil v. 23.6.2008 - A 11 K 807/08 - in juris) vermag der Einzelrichter nicht zu folgen. [...]