VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.2008 - 2 K 4317/07.A - asyl.net: M14776
https://www.asyl.net/rsdb/M14776
Leitsatz:

Asylanerkennung wegen Verdachts der Unterstützung der Volksmudjahedin im Iran.

 

Schlagwörter: Iran, Oppositionelle, Regimegegner, Verdacht der Unterstützung, Volksmudjahedin, Glaubwürdigkeit, Ausreise, Grenzkontrollen, Pass, Fälschung, Todesstrafe, Strafverfolgung, Amnestie, Drittstaatenregelung, Reiseweg, Beweislast, Luftweg, Schlepper
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 2; AsylVfG § 26a; AsylVfG § 15 Abs. 1; AsylVfG § 15 Abs. 2; AsylVfG § 25 Abs. 1; AsylVfG § 30 Abs. 3 Nr. 5
Auszüge:

Asylanerkennung wegen Verdachts der Unterstützung der Volksmudjahedin im Iran.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. [...]

Der Kläger hat im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG sowie auf die Feststellung, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vorliegt. [...]

Bereits im Jahre 2001 versuchte der iranische Geheimdienst (Informationsamt) den Kläger unter Anwendung von Gewalt dazu zu bewegen, für sie an seinem Arbeitsplatz Spitzeldienste zu leisten, weil das an der amerikanischen und europäischen Lebensart orientierte Fitnessstudio als Treffpunkt oppositioneller Kräfte in Verdacht stand. Zwar wurde der Kläger nach Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung und Hinterlegung einer Hausurkunde als Bürgschaft wieder aus der Haft entlassen und gelang es ihm in der Folgezeit weitgehend, dass er und seine Freunde aus dem Studio von konkreten Repressalien verschont blieben. Ungeachtet dessen wuchs aufgrund seiner Erfahrungen während des Militärdienstes und der Kontakte zu den Sportlern, die Mitglieder oder Anhänger oppositioneller Gruppierungen (Volksmodjahedin, Kommunistische Arbeiterpartei des Iran, Studentenbewegung) waren, seine Gegnerschaft zu dem politischen System im Iran. Am 12. Februar 2007 kam es in dem Studio schließlich doch zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Sicherheitskräften, aufgrund derer der Kläger zu einem Verwandten flüchtete. Bei der nachfolgenden Durchsuchung der elterlichen Wohnung des Klägers wurden Unterlagen gefunden, die seine Beziehungen zu den regimefeindlichen Gruppen, insbesondere den Volksmodjahedin, belegten. Nachdem er erfahren hatte, dass sein Vater Verhören unterzogen und ein enger Freund, der ihm bei der Flucht aus dem Studio geholfen hatte, inhaftiert worden war, fasste der Kläger den Entschluss, den Iran zu verlassen. Mit Hilfe von Schleppern und gefälschten Reisepässen gelangen ihm am 17. März 2007 die Ausreise über den Grenzübergang Bazargan in die Türkei und am 6. Juni 2007 von dort auf dem Luftweg die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland.

Das Gericht glaubt dem Kläger diese Fluchtgründe, da er sie bei dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung umfänglich, unter Schilderung zahlreicher, auf tatsächlich Erlebtes hinweisender Einzelheiten und weitgehend widerspruchsfrei dargelegt hat. Insgesamt bietet sein Vorbringen ein stimmiges, in sich schlüssiges Bild.

Demgegenüber vermögen die vom Bundesamt aufgezeigten Bedenken nicht zu überzeugen. [...]

Nicht schlüssig erscheint auch, wenn das Bundesamt einerseits unterstellt, dass bei der Hausdurchsuchung Bücher und CDs sowie Beiträge auf dem PC des Klägers aufgefunden worden seien, diese aber nur unter dem Gesichtspunkt einer Strafverfolgung wegen "sittenwidrigen Verhaltens", die alle Iraner gleichermaßen treffe, abhandelt. In dem Vorbringen des Klägers findet sich kein Hinweis darauf, dass das zu Hause versteckte Material derartige Verdachtsmomente auslösen könnte, die Rede war vielmehr ausschließlich von gegen das islamische Regime gerichteten politischen Schriften und Materialien. Auch ist es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht "fern jeglicher Lebenserfahrung", dass der Kläger aufgrund der Vorfälle vom 12. Februar 2007 das Land verlassen habe, obwohl ihm lediglich eine Ohrfeige zugefügt worden sei, fünf Jahre vorher aber geblieben sei, obwohl er damals gefoltert worden sei. Der Kläger hat dieses Argument mit der einleuchtenden Erklärung entkräftet, dass er im Jahre 2001 trotz der erlittenen Misshandlungen die Hoffnung habe hegen können, von weiteren Verfolgungen weitgehend verschont zu bleiben, weil keine Beweise für eine - damals auch tatsächlich noch nicht gegebene - politische Betätigung seinerseits vorgelegen hätten, die Situation im Jahre 2007 sich aber anders dargestellt habe. So waren nunmehr aus Anlass des Vorfalls in dem Studio nicht nur politische und persönliche Freunde festgenommen, sondern durch die Hausdurchsuchung auch Material aufgefunden worden, das die Verbindungen des Klägers zu Organisationen belegten, die zu den ernsthaftesten und gewaltbereitesten Gegnern des Regimes zählten. [...]

Auch soweit die Beklagte als Beleg für ihre Einschätzung, der Kläger sei von den iranischen Sicherheitsbehörden tatsächlich nicht gesucht worden, dessen "problemlose" Ausreise aus dem Iran anführt, überzeugt dies nicht. Allerdings ist eine Ausreise aus dem Iran in besonderer Weise erschwert. Wer, wie der Kläger, von staatlichen Stellen gesucht wird, erscheint auf einer den Grenzstellen vorliegenden Ausreiseverbotsliste. Dies führt bei einem Ausreiseversuch regelmäßig nicht nur zur Zurückweisung bei der Grenzkontrolle sondern auch zur Festnahme. Wer den Iran verlassen will, muss grundsätzlich nicht nur über einen gültigen Pass und ein gültiges Ausreisevisum verfügen, sondern sich auch Überprüfungen durch Sicherheitskräfte, Passbehörde und Informationsministerium unterziehen. Um die Möglichkeit von Bestechungsabsprachen zu erschweren, werden die Kontrollbeamten häufig ausgetauscht (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 20. April 1999, 5. 27 ff., und vom 4. Juli 2007, 5. 34; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 22. Dezember 1997 (233), 5. 5 ff.). Wenn von den staatlichen Stellen gesuchte Personen über offizielle Grenzübergänge ausreisen, so benutzen diese deshalb zumeist gefälschte, auf den Namen anderer Personen ausgestellte Papiere, die ihnen von Fluchthelfern gegen entsprechende Bezahlung beschafft worden sind; dass dies trotz der scharfen Kontrollen möglich ist und auch tatsächlich praktiziert wird, räumt auch das Auswärtige Amt seit einiger Zeit ein (vgl. etwa Lageberichte vom 20. April 1999 und 4. Juli 2007, a.a.O.). Hiernach ist es durchaus möglich, die Ausreise mittels eines (gut) gefälschten Passes und/oder durch Bestechung der an den Kontrollstellen eingesetzten Beamten zu schaffen. Dass im Iran gegen entsprechende Geldzahlungen auch angesichts eventueller eigener Bestrafung für den Fall der Aufdeckung fast alles möglich ist, entspricht im Übrigen gesicherter Erkenntnis und wird auch gerade durch den Umstand bestätigt, dass der iranische Staat sich veranlasst sieht, derartigen Gewohnheiten im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer illegalen Ausreise entgegenzutreten. Auch die Schilderung der Ausreisemodalitäten und des Ablaufs der Grenzkontrollen durch den Kläger bestätigt das Gericht darin, dass es ihm gelungen ist, mit einem gefälschten Pass den Iran zu verlassen und in die Türkei einzureisen. [...]

Der Kläger hätte angesichts der Vorkommnisse von Februar 2007 im Falle seiner Festnahme auch politische Verfolgung von asylerheblicher Bedeutung befürchten müssen. Es ist aufgrund der Festnahme seiner politischen Freunde und des Auffindens des belastenden politischen Materials davon auszugehen, dass die Sicherheitsbehörden den Kläger als aktiven Unterstützer regimefeindlicher Organisationen identifiziert hätten. Die ihm deshalb zur Last gelegten Aktivitäten gingen über eine Äußerung von Unzufriedenheit und Kritik an der Regierung und der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage im Iran hinaus und hatten eine nach außen wirksame aktive politische Betätigung zum Inhalt, die erkennbar den Sturz des Regimes und des islamischen Systems verfolgte. Die dem Kläger deshalb im Iran drohenden staatlichen Verfolgungsmaßnahmen hätten auch an politische Merkmale angeknüpft. Die zu erwartende Bestrafung wäre nicht etwa (nur) wie ein allgemeines strafrechtliches Vergehen ("Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte") geahndet worden, sondern hätte sich gegen einen Gegner des herrschenden Regimes, gegen eine als konterrevolutionär verstandene Gesinnungshaltung gerichtet, wobei die durch die Bestrafung zu erwartenden Rechtsverletzungen ihrer Intensität nach den Kläger zugleich aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgegrenzt hätten. Denn eine nach außen wirksame aktive politische Betätigung, die erkennbar den Sturz des Regimes oder des islamischen Systems zum Ziel hat, wird strafrechtlich nach Art. 183 - 196 iran. StGB strikt verfolgt. Dabei sind Strafen bis hin zur Todesstrafe vorgesehen (vgl. AA, Lagebericht vom 18. März 2008, S. 12 f.). Nach Art. 186 wird jeder, der (auch nur) Mitglied oder Anhänger einer Gruppierung ist, die - wie die Volksmodjahedin - einen bewaffneten Aufstand gegen die islamische Regierung im Sinn hat, zum "Kämpfer gegen Gott" (mohareb) erklärt. Dafür sind nach Art. 190 als Höchststrafen vorgesehen: Todesstrafe, Verstümmelung, Kreuzigung oder Verbannung. Diese Strafdrohung gilt selbst dann, wenn die Mitglieder oder Unterstützer nicht im militärischen Zweig der Gruppe mitarbeiten (vgl. zu dieser Strafandrohung: AA, Auskunft vom B. Februar 2007 (44678) sowie Lagebericht vom 18. März 2008, 5. 12). Die nicht zwischen Haupttätern und bloßen Unterstützern differenzierende, tatbestandlich nicht nach dem Gewicht der mit der Straftat einhergehenden Rechtsgutsbeeinträchtigung unterscheidende gesetzliche Strafdrohung zeigt, dass es dem Strafgesetzgeber nicht (allein) um den Schutz des iranischen Staates, sondern (auch) um die Bekämpfung des politischen Gegners geht und dieser für seine Taten härter bestraft werden soll als ein nichtpolitischer Täter, der ähnliche - nicht politische - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Iran begeht. Diese Einschätzung wird bestätigt durch den Umstand, dass die Volksmodjahedin nach wie vor die "verhasstesten innenpolitischen Oppositionellen" des Iran sind, weil ihnen wegen ihrer Unterstützung des Irak in dessen Krieg gegen den Iran der "Geruch des Hoch- und Landesverrates" anhafte (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 5. Juli 2006 (671), insbesondere S. 12 und 22 f.).

Zwar hat die Organisation der Volksmodjahedin, die früher vom Irak aus auch einen bewaffneten Kampf gegen das Mullah-Regime im Iran führte und deshalb als Hauptfeind angesehen gesehen wurde (vgl. nur Lageberichte vom 20. April 1999, S. 9 und 10, und auch noch vom 22. Dezember 2004, S. 15), nach dem Einmarsch der Koalitionstruppen im Irak im März 2003 und der nachfolgenden Auflösung ihrer Lager stark an Macht eingebüßt (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 5. Juli 2006 (671), S. 15 ff.). Gleichwohl war auch danach und ist bis heute der Umgang der iranischen Behörden mit tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedern und Unterstützern der Volksmodjahedin von unerbittlicher Härte gekennzeichnet. Dagegen spricht auch nicht das erstmals im Mai 2003 von iranischen Politikern ausgesprochene Amnestieangebot für rückkehrwillige Volksmodjahedin (vgl. hierzu etwa AA, Lagebericht vom 4. Juli 2007, S. 13). Denn die im Hinblick hierauf zurückgekehrten Volksmodjahedin sind keineswegs unbehelligt geblieben. Vielmehr wurden sie von den iranischen Behörden gezwungen, über ihre Aktivitäten in der iranischen Opposition zu berichten und dabei auch Informationen über andere Mitglieder zu offenbaren, ohne dass sie mit Straffreiheit rechnen können. Ihre Situation hat sich zudem seit dem Amtsantritt Ahmadinedschads nochmals drastisch verschlechtert (vgl. UNHCR, "Hintergrundinformation zu den Aktivitäten von UNHCR bei der Suche nach einer dauerhaften Lösung für ehemalige Angehörige der Organisation Volksmudschaheddin Iran im Irak", Dezember 2006, S. 5). Weiter verweist der UNHCR auf einen Bericht von amnesty international von Februar 2006 über die bevorstehende Hinrichtung eines früheren Volksmodjahedin-Sympathisanten und die Verurteilung weiterer Personen aus dem Umfeld der Volksmodjahedin zu Todesstrafen sowie auf den Lagebericht des britischen Home Office von Oktober 2005, in dem der Umgang der iranischen Regierung mit Angehörigen und Sympathisanten der Volksmodjahedin als extrem schwerwiegend eingeschätzt und auf Berichte über zahlreiche Hinrichtungen und Folter verwiesen werde.

Angesichts dessen kann auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nicht Angehöriger einer militärischen Einheit oder militanten Gruppierung der Volksmodjahedin, sondern lediglich zu deren Unterstützern gehört, nicht ausgeschlossen werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Iran heute und auf absehbare Zeit vor Verfolgung sicher wäre. Das umso weniger, als nach der glaubhaften Zeugenaussage des Onkels des Klägers die iranischen Stellen Kenntnis erlangt haben von der exilpolitischen Betätigung des Klägers für die Volksmodjahedin, insbesondere dem Interview, das der Kläger dem Sender dieser Organisation im Juni 2008 in Paris gegeben hat.

Der Kläger ist auch nicht gemäß Art 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG gehindert, sich auf das Asylrecht zu berufen. [...]

Das erkennende Gericht hat auf Grund des durchgängig einheitlichen Vorbringens des Klägers und der in der mündlichen Verhandlung zusätzlich gewonnenen Erkenntnisse die Überzeugungsgewissheit darüber gewonnen, dass dieser am 6. Juni 2007 mit einem Direktflug von Istanbul nach Düsseldorf in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Das Gericht hält den Kläger insgesamt für glaubwürdig. Es glaubt ihm, wie ausgeführt, insbesondere auch sein Vorbringen zu seinen Fluchtgründen. Es sieht daher keinen Grund dafür, warum es dem Kläger nicht auch die Schilderung des Reiseweges abnehmen sollte. [...]

Auch dass bei der Einreisekontrolle am Flughafen Düsseldorf nicht aufgefallen ist, dass der Pass des Klägers nicht auf ihn ausgestellt war, erscheint durchaus möglich. Nach den Angaben des Klägers handelte sich nicht um eine Fälschung - die selbst bei einer Überprüfung anhand elektronischer Geräte nicht stets aufgedeckt wird (vgl. Einzelentscheider-Brief 9/97, "Einreise über Flughäfen Düsseldorf und Frankfurt/Main") -, sondern um einen echten Reisepass, der auf einen ihm sehr ähnlich sehenden türkischen Staatsangehörigen ausgestellt war. Dass der Kläger den Pass nicht vorgelegt hat, ist letztlich unschädlich. Es entspricht der üblichen - dem Gericht auf Grund zahlreicher Verfahren bekannten - Vorgehensweise der Fluchthelfer, auf der Rückgabe bzw. Aushändigung von Pass und Reiseunterlagen zu bestehen und den Flüchtling anzuweisen, die im Pass eingetragenen Personalien nicht preiszugeben. Die Fluchthelfer nehmen die zumeist unter Verwendung eines echten Passformulars angefertigten Reisepässe nach geglückter Flucht wieder an sich, um Reisedokumente mit hoher Fälschungsqualität mehrfach für Schleusungen zu benutzen. Schon die Nennung des im Pass eingetragenen Namens würde diese Praxis gefährden. Alleine der Umstand, dass der Kläger mit seinem Verhalten die kriminellen Machenschaften der Schlepper mittelbar unterstützt, rechtfertigt es nicht, ihm die Berufung auf das Asylrecht zu verweigern. [...]

Die Klage hat auch Erfolg, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass bei ihm hinsichtlich des Iran die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. [...]