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EuGH, Urteil vom 16.12.2008 - C-524/06 - asyl.net: M14797
https://www.asyl.net/rsdb/M14797
Leitsatz:

Ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unionsbürgern, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates sind (hier: Ausländerzentralregister), entspricht nur dann dem Erforderlichkeitsgebot des Art. 7 Bst. 4 der Richtlinie 95/46/EG, wenn

- es nur die Daten enthält, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind, und

- sein zentralisierter Charakter eine effizientere Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlaubt.

Jedenfalls ist die Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten von namentlich genannten Personen nicht zu statistischen Zwecken erforderlich.

Das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG verwehrt es den Mitgliedstaaten, zur Bekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind.

 

Schlagwörter: D (A), Ausländerzentralregister, Unionsbürger, personenbezogene Daten, Datenschutzrichtlinie, Unionsbürgerrichtlinie, Erforderlichkeit, Diskriminierungsverbot
Normen: AZRG § 1 Abs. 2; RL 95/46/EG Art. 2 Bst. a; RL 95/46/EG Art. 2 Bst. b; RL 95/46/EG Art. 3 Abs. 2; RL 95/46/EG Art. 1; RL 95/46/EG Art. 6; RL 95/46/EG Art. 7 Bst. e; EG Art. 12; EG Art. 43
Auszüge:

Ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unionsbürgern, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates sind (hier: Ausländerzentralregister), entspricht nur dann dem Erforderlichkeitsgebot des Art. 7 Bst. 4 der Richtlinie 95/46/EG, wenn

- es nur die Daten enthält, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind, und

- sein zentralisierter Charakter eine effizientere Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlaubt.

Jedenfalls ist die Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten von namentlich genannten Personen nicht zu statistischen Zwecken erforderlich.

Das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG verwehrt es den Mitgliedstaaten, zur Bekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Vorbemerkungen

41 Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die Verarbeitung personenbezogener Daten in einem Register wie dem AZR mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

42 Dazu ist darauf hinzuweisen, dass § 1 Abs. 2 AZRG vorsieht, dass das für die Führung des AZR verantwortliche Bundesamt durch die Speicherung bestimmter personenbezogener Daten von Ausländern in diesem Register und die Übermittlung dieser Daten die mit der Durchführung ausländer- oder asylrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden und andere öffentliche Stellen unterstützt. In ihren schriftlichen Erklärungen hat die deutsche Regierung insbesondere erläutert, dass das AZR zu statistischen Zwecken und bei der Erfüllung der den Sicherheits-, Polizei- und Justizbehörden obliegenden Aufgaben im Bereich der Bekämpfung und Aufklärung strafbarer oder die öffentliche Sicherheit gefährdender Handlungen genutzt werde.

43 Eingangs ist festzustellen, dass Daten wie die, die das AZR nach den Angaben in der Vorlageentscheidung über Herrn Huber enthält, personenbezogene Daten im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46 darstellen, da es sich um "Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person" handelt. Ihre Erhebung, Aufbewahrung und Übermittlung durch die mit der Führung des Registers, in dem sie zusammengefasst sind, betraute Stelle sind daher eine "Verarbeitung personenbezogener Daten" im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie.

44 Allerdings nimmt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 95/46 von deren Anwendungsbereich ausdrücklich u. a. Verarbeitungen personenbezogener Daten aus, die die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates und die Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich betreffen.

45 Wenn somit die Verarbeitung personenbezogener Daten im Hinblick auf die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften und zu statistischen Zwecken in den Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46 fällt, so gilt dies nicht für die Verarbeitung solcher Daten mit dem Ziel der Bekämpfung der Kriminalität.

46 Folglich ist die Gemeinschaftsrechtskonformität der Verarbeitung personenbezogener Daten in einem Register wie dem AZR zum einen im Hinblick auf ihre Funktion der Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden und ihre Nutzung zu statistischen Zwecken am Maßstab der Bestimmungen der Richtlinie 95/46 und – angesichts der dritten Vorlagefrage – insbesondere des in Art. 7 Buchst. e dieser Richtlinie niedergelegten Erforderlichkeitserfordernisses, so wie es im Licht der Gebote des Vertrags, darunter insbesondere des Verbots jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 12 Abs. 1 EG, auszulegen ist, und zum anderen im Hinblick auf ihre Funktion zur Bekämpfung der Kriminalität am Maßstab des Gemeinschaftsprimärrechts zu überprüfen.

Zur Verarbeitung personenbezogener Daten im Hinblick auf die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften und zu statistischen Zwecken

Begriff der Erforderlichkeit

47 Art. 1 der Richtlinie 95/46 verpflichtet die Mitgliedstaaten, den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu gewährleisten.

48 Gemäß den Bestimmungen des Kapitels II der Richtlinie 95/46 ("Allgemeine Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten") muss jede Verarbeitung personenbezogener Daten – vorbehaltlich der in Art. 13 zugelassenen Ausnahmen – den in Art. 6 der Richtlinie aufgestellten Grundsätzen in Bezug auf die Qualität der Daten und einem der in Art. 7 der Richtlinie angeführten Grundsätze in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung von Daten genügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2003, Österreichischer Rundfunk u. a., C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Slg. 2003, I-4989, Randnr. 65).

49 Insbesondere sieht Art. 7 Buchst. e der Richtlinie vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig ist, wenn sie "erforderlich für die Wahrnehmung einer Aufgabe [ist], die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt und dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder dem Dritten, dem die Daten übermittelt werden, übertragen wurde".

50 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 95/46, wie sich insbesondere aus ihrem achten Erwägungsgrund ergibt, bezweckt, in allen Mitgliedstaaten ein gleichwertiges Schutzniveau hinsichtlich der Rechte und Freiheiten von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten herzustellen. Der zehnte Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergänzt, dass die Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in dem entsprechenden Bereich nicht zu einer Verringerung des durch diese Rechtsvorschriften garantierten Schutzes führen darf, sondern im Gegenteil darauf abzielen muss, in der Gemeinschaft ein hohes Schutzniveau sicherzustellen.

51 Dementsprechend ist entschieden worden, dass die Harmonisierung dieser einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht auf eine Mindestharmonisierung beschränkt ist, sondern zu einer grundsätzlich umfassenden Harmonisierung führt (vgl. Urteil vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 96).

52 Angesichts des Zieles der Gewährleistung eines gleichwertigen Schutzniveaus in allen Mitgliedstaaten kann daher der Begriff der Erforderlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46, mit dem gerade einer der Fälle abgegrenzt werden soll, in denen die Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig ist, in den einzelnen Mitgliedstaaten keinen variablen Inhalt haben. Es handelt sich somit um einen autonomen Begriff des Gemeinschaftsrechts, der so auszulegen ist, dass er in vollem Umfang dem Ziel dieser Richtlinie, so wie es in ihrem Art. 1 Abs. 1 definiert wird, entspricht.

Beurteilung der Erforderlichkeit einer Verarbeitung personenbezogener Daten, wie sie im Rahmen des AZR vorgenommen wird, im Hinblick auf die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften und zu statistischen Zwecken

53 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das AZR ein zentrales Register ist, das bestimmte personenbezogene Daten von nichtdeutschen Unionsbürgern enthält und von verschiedenen öffentlichen und privaten Stellen eingesehen werden kann.

54 In Bezug auf die Nutzung eines Registers wie des AZR zum Zweck der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften ist darauf hinzuweisen, dass das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht uneingeschränkt besteht, sondern den im Vertrag und in den Bestimmungen zu seiner Durchführung vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen unterworfen werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2008, Jipa, C-33/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). [...]

58 Somit ist davon auszugehen, dass es erforderlich ist, dass ein Mitgliedstaat über einschlägige Informationen und Dokumente verfügt, um in dem durch das anwendbare Gemeinschaftsrecht festgelegten Rahmen zu überprüfen, dass ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet hat und dass keine Gründe vorliegen, die eine Beschränkung dieses Rechts rechtfertigen. Folglich ist der Gebrauch eines Registers wie des AZR zur Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden grundsätzlich legitim und angesichts seiner Natur mit dem in Art. 12 Abs. 1 EG niedergelegten Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vereinbar.

59 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass ein solches Register keine anderen Informationen enthalten darf als die, die zu dem genannten Zweck erforderlich sind. Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts ist insoweit die Verarbeitung personenbezogener Daten, die aus den in Art. 8 Abs. 3 und Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 genannten Dokumenten hervorgehen, als zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 anzusehen.

60 Des Weiteren ist zu betonen, dass die Erhebung der für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlichen Daten zwar ineffektiv wäre, wenn sie nicht aufbewahrt würden, dass die für ein Register wie das AZR verantwortliche Behörde jedoch, da eine Änderung der persönlichen Situation eines Aufenthaltsberechtigten sich auf seinen Status im Hinblick auf dieses Recht auswirken kann, dafür Sorge zu tragen hat, dass die aufbewahrten Daten gegebenenfalls aktualisiert werden, damit sie zum einen der tatsächlichen Situation der Betroffenen entsprechen und damit zum anderen nicht benötigte Daten in diesem Register gelöscht werden.

61 Was die Modalitäten der Nutzung eines solchen Registers im Hinblick auf die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrifft, kann nur ein Zugang der Behörden mit Befugnissen in diesem Bereich als erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 angesehen werden.

62 Was schließlich die Notwendigkeit anbelangt, über ein zentrales Register wie das AZR für den Bedarf der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden zu verfügen, ist davon auszugehen, dass auch dann, wenn man annimmt, dass dezentrale Register wie die kommunalen Einwohnermelderegister alle einschlägigen Daten enthalten, die den genannten Behörden die Durchführung ihrer Aufgaben erlauben, eine Zentralisierung dieser Daten erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 sein kann, wenn sie zu einer effizienteren Anwendung der genannten Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern führt, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, aufhalten möchten.

63 In Bezug auf die statistische Funktion eines Registers wie des AZR ist darauf zu verweisen, dass das Gemeinschaftsrecht mit der Einführung der Freizügigkeit und dadurch, dass es jedem, der in seinen Geltungsbereich fällt, das Recht verleiht, zu den vom Vertrag genannten Zwecken in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen, diesen nicht die Befugnis zum Erlass von Maßnahmen genommen hat, die den nationalen Behörden die genaue Kenntnis der Bevölkerungsbewegungen in ihrem Hoheitsgebiet ermöglichen sollen (vgl. Urteil vom 7. Juli 1976, Watson und Belmann, 118/75, Slg. 1976, 1185, Randnr. 17).

64 Ebenso setzt die Verordnung Nr. 862/2007, die die Übermittlung von Statistiken über Wanderungsbewegungen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorsieht, voraus, dass diese Staaten Informationen erheben, die die Erstellung dieser Statistiken ermöglichen.

65 Die Ausübung dieser Befugnis macht allerdings die Erhebung und Aufbewahrung von namentlich genannte Personen betreffenden Daten, wie sie in einem Register wie dem AZR vorgenommen wird, nicht erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46. Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 23 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erfordert dieses Ziel nur die Verarbeitung anonymer Informationen.

66 Nach alledem entspricht ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unionsbürgern, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, wie das System, das mit dem AZRG eingerichtet wurde und das die Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden bezweckt, nur dann dem im Licht des Verbots jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausgelegten Erforderlichkeitsgebot gemäß Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46, wenn

– es nur die Daten enthält, die für die Anwendung der entsprechenden Vorschriften durch die genannten Behörden erforderlich sind, und

– sein zentralisierter Charakter eine effizientere Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlaubt, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind.

67 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Umstände im Ausgangsverfahren zu prüfen.

68 Jedenfalls lassen sich die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte Personen betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des AZR zu statistischen Zwecken nicht als erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 ansehen.

Zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unionsbürgern aus anderen Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Kriminalität

69 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsbürgerstatus nach ständiger Rechtsprechung dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung gibt (vgl. in diesem Sinne Urteile Grzelczyk, Randnrn. 30 und 31, vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello, C-148/02, Slg. 2003, I-11613, Randnrn. 22 und 23, sowie Bidar, Randnr. 31).

70 Ein Unionsbürger, der sich rechtmäßig im Gebiet eines Aufnahmemitgliedstaats aufhält, kann sich insoweit in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, auf Art. 12 EG berufen (vgl. Urteile Martínez Sala, Randnr. 63, Grzelczyk, Randnr. 32, und Bidar, Randnr. 32). [...]

74 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Vorlageentscheidung keine genauen Angaben enthält, anhand deren bestimmt werden könnte, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation den Bestimmungen des Art. 43 EG unterliegt. Auch wenn das vorlegende Gericht dies bejahen sollte, würde die Anwendung des Diskriminierungsverbots indessen nicht anders ausfallen, ob sie nun auf diese Vorschrift oder auf Art. 12 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 EG gestützt wird.

75 Nach ständiger Rechtsprechung verlangt nämlich das Diskriminierungsverbot unabhängig davon, ob es auf Art. 12 EG oder Art. 43 EG gestützt wird, dass vergleichbare Sachverhalte nicht ungleich und ungleiche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden. Eine solche Behandlung wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimerweise verfolgten Zweck stünde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2008, Wood, C-164/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76 Somit ist in einem Kontext, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, die Situation von Unionsbürgern, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind und in seinem Hoheitsgebiet wohnen, mit der Situation der Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats im Hinblick auf das Ziel der Bekämpfung der Kriminalität zu vergleichen. Die deutsche Regierung hat sich nämlich darauf beschränkt, diesen Aspekt der Wahrung der öffentlichen Ordnung geltend zu machen.

77 Ein solches Ziel ist zwar legitim, kann jedoch nicht angeführt werden, um eine systematische Verarbeitung personenbezogener Daten allein derjenigen Unionsbürger, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, zu rechtfertigen.

78 Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 21 seiner Schlussanträge betont hat, bezieht sich die Kriminalitätsbekämpfung in ihrer allgemeinen, von der deutschen Regierung in ihren Erklärungen angeführten Bedeutung zwingend auf die Verfolgung von Verbrechen und Vergehen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Täter.

79 Folglich kann für einen Mitgliedstaat die Situation seiner Staatsangehörigen im Hinblick auf das Ziel der Bekämpfung der Kriminalität nicht anders sein als die der Unionsbürger, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind und sich in seinem Hoheitsgebiet aufhalten.

80 Somit ist die unterschiedliche Behandlung dieser Staatsangehörigen und dieser Unionsbürger durch die zur Bekämpfung der Kriminalität vorgenommene systematische Verarbeitung der personenbezogenen Daten allein der Unionsbürger, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, eine durch Art. 12 Abs. 1 EG untersagte Diskriminierung.

81 Folglich ist Art. 12 Abs. 1 EG dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Bekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind. [...]

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1. Ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unionsbürgern, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, wie das System, das mit dem Gesetz über das Ausländerzentralregister vom 2. September 1994 in der Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 2005 eingerichtet wurde und das die Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden bezweckt, entspricht nur dann dem im Licht des Verbots jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausgelegten Erforderlichkeitsgebot gemäß Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, wenn

– es nur die Daten enthält, die für die Anwendung der entsprechenden Vorschriften durch die genannten Behörden erforderlich sind, und

– sein zentralisierter Charakter eine effizientere Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlaubt, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Umstände im Ausgangsverfahren zu prüfen. Jedenfalls lassen sich die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte Personen betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des Ausländerzentralregisters zu statistischen Zwecken nicht als erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 ansehen.

2. Art. 12 Abs. 1 EG ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Bekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind. [...]