Der europarechtliche Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG bildet einen eigenen Streitgegenstand, der dem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorgeht; widerruft das Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG, ist im Anfechtungsprozess vorrangig zu prüfen, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG vorliegt; in der afghanischen Provinz Paktia herrscht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG; für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist es nicht erforderlich, dass der Konflikt landesweit besteht (Änderung der Rspr. des Senats); der Annahme von internem Schutz gem. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie steht es entgegen, wenn dem Ausländer aufgrund einer Erkrankung der Aufenthalt im sicheren Landesteil unzumutbar ist, auch wenn sie nicht lebensbedrohlich ist (hier: Epilepsie).
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Anmerkung der Redaktion: Dieses Urteil wurde vom BVerwG teilweise hinsichtlich der Verpflichtung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010 (10 C 4.09 - asyl.net, M 17350).
[...]
Die vom Senat zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig insbesondere gemäß § 124 a Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO form- und fristgerecht begründet worden.
Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit dem angefochtenen Urteil vom 20. September 2001 die auf Aufhebung des Widerufsbescheides des Bundesamtes vom 29. Mai 2006 und (hilfsweise) auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von 15 Buchst. a, b und c der Richtlinie 2004/83/EG gerichtete Klage zu Unrecht abgewiesen hat. [...]
Entgegen dem vom Kläger im Widerrufsverfahren unter dem 21. Mai 2006 erhobenen Einwand, der Widerruf sei verspätet, leidet der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 29. Mai 2006 allerdings nicht schon an derartigen formellen Mängeln. Unabhängig von der Frage, ob es auf einen Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 73 Abs. 3 AsylVfG überhaupt anwendbar ist, dient das vom Kläger geltend gemachte Gebot des unverzüglichen Widerrufs gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG jedenfalls ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt (st. Rspr. des BVerwG, vgl. Urteil vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 - BVerwGE 128 S. 199 ff. = NVwZ 2007 S. 1089 ff. = juris Rdnr. 18; vgl. auch Hess. VGH; Urteil vom 1 Februar 2005 - 8 UE 280/02.A - AuAS 2005 S. 143 f. = juris Rdnr. 75).
Die vom Kläger weiter herangezogene Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG ist nach wohl überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - und damit ebenso auf Abs. 3 dieser Vorschrift - nicht anwendbar (vgl. u.a. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12. August 2003 - A 6 S 820/03 - InfAuslR 2003 S. 455 f. = juris Rdnr. 3; Hess. VGH, Urteil vom 10. Februar 2005 a.a.O. juris Rdnr. 76) und wird inzwischen auch vom Bundesverwaltungsgericht jedenfalls in den Fällen für nicht anwendbar gehalten, in denen der Widerruf - wie hier - innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG erfolgt (vgl. Urteil vom 12. Juni 2007 - 1 C 24/07 - NVwZ 2067 S. 1330 ff. = InfAuslR 2007 S. 401 f. = juris Rdnr. 14). Jedenfalls beginnt diese Jahresfrist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch frühestens nach einer Anhörung mit angemessener Frist zur Stellungnahme (vgl. Urteil vom 20. März 2007 a.a.O. juris Rdnr. 18), also hier frühestens ab 11. April 2006, so dass sie mit dem hier am 1. Juni 2006 per Einschreiben zugestellten Bescheid vom 29. Mai 2006 ohnehin eingehalten wäre. [...]
Der Widerruf war des weiteren nicht bereits in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausgeschlossen, wonach der Beendigungstatbestand des Satzes 2 dieser Vorschrift keine Anwendung findet, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Zwar beruft sich der Kläger auf eine posttraumatische Belastungsstörung wegen einer vor seiner Ausreise erlittenen einmonatigen Haft mit Folter durch die Talibanmilizen und auf die Gefahr einer Retraumatisierung bei einer Rückkehr in sein Heimatland. Der Berücksichtigung dieses Vorbringens steht aber entgegen, dass das Bundesamt eine politische Verfolgung wegen dieser vom Kläger in seiner Anhörung vom 26. Februar 2001 noch auf einen Tag begrenzten Festnahme durch die Taliban mit Bescheid vom 16. Juli 2001 mangels Erheblichkeit bestandskräftig abgelehnt hat. Zudem ist der Feststellung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main in seinem hier angefochtenen Urteil vom 20. September 2007 zuzustimmen, dass die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung diese Steigerung seines Vorbringens nicht plausibel erklären können. Auch im Übrigen erfüllt das unter dem 21. Mai 2006 von ihm eingereichte ärztliche Attest des Dr. med. ... vom 7. März 2001 auch unter Berücksichtigung seiner ärztlichen Eintragungen in den anwaltlichen Fragebogen die in der Rechtsprechung für die Geltendmachung einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgestellten Mindestanforderungen nicht. Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa auch Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129 S. 251 ff. = NVwZ 2008 S. 330 ff. = juris Rdnr. 15; vgl. auch zu den weiteren Anforderungen hinsichtlich Exploration sowie Darstellung und Überprüfung der geltend gemachten Anknüpfungstatsachen: Hess. VGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - 7 TG 2410/07 - juris Rdnr. 20).
Der Widerrufsbescheid ist aber aufzuheben, soweit in ihm die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen werden ist, weil für den Kläger in Bezug auf Aghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen. [...]
Der nationale Gesetzgeber hat mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG Vorgaben für den subsidiären Schutz in Art. 16 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 21) - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - aufgenommen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 60 AufenthG, BTDs. 16/5065 S. 185) und diese als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet, über deren Vorliegen bei Asylbewerbern allein das Bundesamt zu entscheiden hat. Dieser europarechtlich determinierte Abschiebungsschtutz bildet einen eigenständigen Streitgegenstand bzw. einen abtrennbaren Streitgegenstandsteil, der entsprechend der typischen Interessenlage eines in Bezug auf sein Heimatland ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz begehrenden Klägers vorrangig vor dem sonstigen herkunftslandbezogenen (nationalen) ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz zu prüfen ist. [...]
Da die in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG normierten Abschiebungsverbote an Umstände anknüpfen, die nach 15 QRL als ernsthafter Schaden gelten, und damit inhaltlich dem Regelungsbereich des subsidiären Schutzes nach dieser Richtlinie zuzuordnen sind, hat der deutsche Gesetzgeber auch nur für diese Abschiebungsverbote in § 60 Abs. 11 AufenthG die unmittelbare Geltung einzelner Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie angeordnet.
Seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist bei dem nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz das Bundesamt bei Asylbewerbern auch für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung zuständig, ob nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von der Abschiebung abgesehen werden soll, so dass es sich nunmehr bei den nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf dem jeweiligen Abschiebezielstaat um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Streitgegenstand handelt.
In Anpassung an diese neue Rechtslage ist deshalb ein Abschiebungsschutzbegehren grundsätzlich dahin auszulegen, dass in einem Stufenverhältnis in erster Linie im Hauptantrag die Verpflichtung zur Feststellung eines europarechtlich determinierten Abschiebungsschutzes und nur hilfsweise die Verpflichtung zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsschutzes begehrt wird (vgl. BVerwG. Urteil vom 24. Juni 2008 - 19 C 43.07 - AuAS 2008 S. 245 ff. = NVwZ S. 1241 ff. = juris Rdnr. 10 bis 15).
Der vom Kläger angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 20. Mai 2006 bezog sich auf ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) und damit lediglich auf ein nationales ausländerrechtliches Abschiebungsverbot, so dass der Kläger mit Aufhebung dieses Bescheides nur diesen nachrangigen Abschiebungsschutz erhielte. Im Interesse effektiven Rechtsschutzes und unter Berücksichtigung der typischen Interessenlage eines um Abschiebungsschutz nachsuchenden Ausländers hat der Senat unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage deshalb vorrangig die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes im Sinne des subsidiären Schutzstatus nach der Qualifikationsrichtlinie geprüft und das Bundesamt zu einer entsprechenden Feststellung verpflichtet.
Die Voraussetzungen für ein solches absolutes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, wonach - in Umsetzung des subsidiären Schutzes nach Art. 15 c QRL - von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist, sind im Falle des Klägers in Bezug auf Afghanistan gegeben.
In seiner Heimatregion Paktia herrscht derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem bereits zitierten Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. juris Rdnrn. 18 ff.) Merkmale dieses "europarechtlichen" Abschiebungsverbotes unter Heranziehung der Qualifikationsrichtlinie näher präzisiert; dem folgt der Senat. Danach ist der Begriff eines "internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts anhand der vier Genfer Konventionen von 1949 auszulegen, die durch Zusatzprotokolle ergänzt worden sind. Darunter fallen alle bewaffneten Konflikte, die im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des staatlichen Hoheitsgebiets ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen, während innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als ein derartiger bewaffneter Konflikt gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Von dem völkerrechtlichen Begriff des bewaffneten Konflikts sind nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an erfasst. Ob die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreichen müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist, hat das Bundesverwaltungsgericht offen gelassen und kann auch hier unentschieden bleiben. Die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts findet jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 c QRL widerspricht. Kriminelle Gewalt wird bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann nicht berücksichtigt, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird.
Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordert insbesondere auch keine landesweite Konfliktsituation, sondern liegt auch schon dann vor, wenn die oben genannten Voraussetzungen nur in einem Teil des Staates erfüllt sind, soweit der Senat in seinem Urteil vom 7. Februar 2008 (8 UE 1913/06A - juris Rdnrn. 42 und 44) noch eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest. Dass der subsidiäre Abschiebungsschutz keinen landesweiten Konflikt voraussetzt, ergibt sich daraus, dass gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Regeln über den internen Schutz nach Art. 8 QRL gelten und ein aus seinem Herkunftsstaat Geflohener nur auf eine landesinterne Schutzalternative verwiesen werden kann, wenn diese außerhalb des Gebietes eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts liegt. Damit wird anerkannt, dass sich ein innerstaatlicher Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken muss. Auch nach den völkerrechtlichen Bestimmungen genügt, dass die bewaffneten Gruppen Kampfhandlungen in einem Teil des Hoheitsgebietes durchführen.
Nach diesen Kriterien und den vorliegenden Erkenntnismitteln ist davon auszugehen, dass in der Heimatregion des Klägers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt stattfindet.
Die Provinz Paktia liegt im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel. Eine durchlässige Grenze trennt sie von Pakistan. Der Senat hat die Machtverhältnisse in diesem Bereich Anfang 2005 als undurchsichtig und instabil bezeichnet und dazu ausgeführt (vgl. Hess. VGH. Urteil vom 10. Februar 2005 a.a.O. juris Rdnr. 68):
"Neben den für diese paschtunisch geprägten Gebiete typischen Stammesfehden und den verstärkten Aktivitäten der mit den Taliban kooperierenden Hezb-e-Islami des radikalen paschtunischen Milizenführers Hekmatyar kommt es hier zu einer Destabilisierung durch die Reinfiltration von Taliban und Al-Qaida, die zwar von den etwa 18.000 Mann starken US- bzw. Anti-Terror-Streitkräften bekämpft werden (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 12), aber auf Grund des zur Stammesloyalität verpflichtenden Ehrenkodex Paschtunwali großen Rückhalt bei den paschtunischen Stammesführern finden. So ist schon davon die Rede, dass die Taliban im Osten und Süden Afghanistans wieder etwa 35 % des Landes kontrollieren, und zwar mit stillschweigender Billigung Karsais (vgl. Dr. Danesch an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004 S. 10; Baraki. "Aus Politik und Zeitgeschichte". Beilage zu "Das Parlament" vom 22. November 2004 S. 24 ff.). Angesichts des teilweise trotzdem bestehenden Einflusses regierungstreuer Kräfte und sonstiger Lokalherrscher und der Bekämpfung durch die Anti-Terror-Streitkräfte kann aber nicht von stabilen und gesicherten regionalen Herrschaftsstrukturen der Taliban/Al Quaida ausgegangen werden."
Viele Vertreter von Hilfsorganisationen oder ausländische Militärs beschreiben Paktia inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt; so ist der Gouverneur Hakim Taniwal am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübten. Sie gewinnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachten Paktia als Rückzugs- und Transitraum (vgl. Wegweiser zur Geschichte Afghanistan, herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 2. Auf. 2007, S. 140 f.). Auch in anderen Quellen wird von diesem Bombenattentat und darüber berichtet, dass die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze rapide zugenommen hat und in diesem paschtunisch geprägten Gebiet vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" stattfinden (vgl. Koelbl/Ihlau; Geliebtes, dunkles Land, 1. Auf. 2007, S. 45 ff. "Im Herzen von Paschtunistan").
Wie der gesamte Süden und Südosten Afghanistans wird auch diese Region von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst.
So schreibt der Gutachter Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 4. Dezember 2006 an den Senat (vgl. S. 20), seit mehreren Monaten tobe im Osten und Süden ein regelrechter Krieg zwischen amerikanischen und afghanischen Truppen auf der einen und den Taliban auf der anderen Seite. Die afghanische Armee solle von gegenwärtig 28.000 Mann (ursprünglich sollte sie bis 70.000 Soldaten umfassen) auf 200.000 Mann aufgestockt werden. In den letzten Wochen (seit September 2006) habe der Krieg zwischen NATO-Truppen und afghanischer Armee auf der einen Seite und den Taliban auf der anderen Seite an Heftigkeit zugenommen. Die 31.000 Soldaten der US-Truppen und anderer NATO-Länder, die insgesamt am Hindukusch stünden, sehen sich im Süden und Osten Afghanistans zusammen mit den Truppen der afghanischen Armee in einen heftigen Krieg verwickelt und seien nicht in der Lage, die Taliban zu besiegen. Die Angriffe der Taliban nähmen kriegsähnliche Dimensionen an. In dieser Situation habe sich die afghanische Regierung laut der Aussagen von Verteidigungsminister Rahim Wardak Mitte Juni 2006 zum Aufbau einer Wehrpflichtigenarmee entschlossen (bis heute eine Berufsarmee), weil sie mehr Soldaten für den sich abzeichnenden Krieg brauche. Bis auf den heutigen Tag fänden regelrechte Schlachten statt. Die Taliban genössen im Süden und Osten des Landes große Unterstützung durch die paschtunische Bevölkerung, die ihre islamistische Ideologie teile. Diese Einschätzung wird von amnesty international geteilt (vgl. Verena Harpe, Ab in den Hindukusch, vom 1. Januar 2007): Im Süden und Osten Afghanistans herrsche offener Krieg, häuften sich Selbstmordattentate und seien allein im vergangenen Jahr über 2.000 Menschen bei Anschlägen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Zivilisten.
Auch der Senat hat schon im Juni 2007 festgestellt, dass bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Taliban und anderen extremistischen Gruppen allenfalls im Süden und Südosten des Landes stattfinden (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 8 UZ 452/06.A - AuAS 2007 S. 202 ff. = NVwZ-RR, 2008 S. 58 f. = juris Rdnr. 43). Dies entspricht auch dem letzten Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 7. März 2008 (Stand: Februar 2008). Danach sei seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen. Die Zahl der Selbstmordanschläge und Angriffe mit Sprengfallen von regierungsfeindlichen Kräften habe 2007 erheblich zugenommen. Die Anti-Terror-Koalition bekämpfe die radikal-islamischen Kräfte vor allem im Süden, Südosten und Osten des Landes. Die Infiltration islamistischer Kräfte (u.a. Taliban) aus dem pakisanischen Paschtunengürtel nach Afghanistan sei ungebrochen. Vor allem im Süden, aber auch im Südosten sei 2007 ein deutlicher Anstieg von Anschlägen auf Einrichtungen der Provinzregierung und Hilfsorganisationen zu verzeichnen (vgl. S. 5 und S. 11 unter Nr. 4.2).
Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Provinz Paktia gehen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung "eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben" gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bzw. "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit" gemäß Art. 15 c QRL in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden.
Dabei bedarf es vorliegend nach Auffassung des Senats keiner abschließenden Entscheidung darüber, wie das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 15 c QRL zusätzlich aufgeführten und in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht übernommenen Merkmal der "willkürlichen Gewalt" einerseits und der in beider Vorschriften geforderten "individuellen Bedrohung" auch unter Einbeziehung des von Deutschland vorgeschlagenen und durch den Zusatz "normalerweise" abgemilderten 26. Erwägungsgrund der Qualifikationsrichtlinie aufzulösen ist, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Abgesehen von den unstreitigen Ausschluss bloß mittelbarer Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts, wie etwa einer schlechten Sicherheits- und Versorgungslage (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 a.a.O. juris Rdnr. 48; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. juris Rdnr. 35), wird insoweit erörtert, ob eine Individualisierung der allgemeinen Gefahren, die normalerweise nicht alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betreffen, durch eine besondere Gefahrendichte, wie sie etwa flüchtlingsrechtlich für die Annahme einer Gruppenverfolgung verlangt würde, oder schon durch einen hinreichend engen räumlichen und zeitlichen Bezug zu einem bewaffneten Konflikt mit erheblicher Opferzahl in der Zivilbevölkerung und/oder durch besondere individuelle gefahrerhöhende Umstände oder persönliche Merkmale, wie etwa eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit erforderlich ist. Umstritten ist außerdem, ob die nach der Gesetzesbegründung auch im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigende "willkürliche Gewalt" völkerrechtswidrige Gewaltakte voraussetzt, die nicht zwischen militärischen und zivilen Objekten unterscheiden und die Zivilbevölkerung unverhältnismäßig treffen, oder ob dadurch lediglich die Individualisierungsanforderungen als Teil der Prognoseentscheidung eingeschränkt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rdnrn. 34 ff.; VG Stuttgart Urteil vom 21. Mai 2007 - 4 K 2563/07 - juris Rdnr 18; Hruschka/Lindner NVwZ 2007 S. 646 [640 f.]; Funke-Kaiser InfAuslR 2008 S. 50 f.; Markard, NVwZ 2008 S. 1206 f.).
Diese möglicherweise europarechtlich zu klärenden Fragen können hier unentschieden bleiben, weil sich die aus der völkerrechtswidrigen "willkürlichen Gewalt" der Taliban und anderer extremistischer Gruppen für die Zivilbevölkerung seiner Heimatprovinz Paktia ergebenden Gefahren in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so zuspitzen würden, dass die Individualisierungsanforderungen ohne weiteres erfüllt wären, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgesetzte Prognosemaßstab gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 QRL heranzuziehen ist, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthafter Schaden erlitten hat bzw. vor solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger Anfang Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist. [...]
Der Kläger kann schließlich nicht gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL auf einen internen Schutz in einem anderen Teil seines Herkunftslandes Afghanistan verwiesen werden.
Das würde voraussetzen, dass für ihn dort keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, bestünde und von ihm nach den dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seinen persönlichen Umständen vernünftigerweise erwartet werden könnte, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Dabei sind nicht nur verfolgungsbedingte Gefahren, sondern ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob für ihn am Zufluchtsort - unabhängig von den Lebensverhältnissen in seiner Herkunftsgebiet - eine ausreichende Lebensgrundlage besteht und jedenfalls sein Existenzminimum gewährleistet ist, wobei einiges dafür spricht, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rdnrn. 27 f. und vom 29. Mai 2008 - 1 C 11.07 - NVwZ 2008 S. 1248 f. = DVBl 2008 S. 1251 ff. = juris Rdnrn. 32 ff.).
Diese Voraussetzungen sind in anderen Landesteilen Afghanistans, insbesondere in dem wohl allein für einen internen Schutz in Frage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation, der schlechten Sicherheits- und unzureichenden Versorgungslage für den aus der ländlichen Provinz Paktia stammenden ungelernten und kranken und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebenden Kläger, der in anderen Gebieten und insbesondere in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse verfügt, nicht gegeben. [...]
Demgegenüber ist der Senat zwar in seinem Urteil vom 7. Februar 2008 (a.a.O. juris Rdnr. 35) davon ausgegangen, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne schwer wiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland dort zwar keine Eingliederungshilfe durch den afghanischen Staat, ausländische Hilfsorganisationen oder die eigene Familie zu erwarten hätte, aber auf Grund seines Lebensalters und des Fehlens familiärer Bindungen mit daraus resultierenden Unterhaltslasten wahrscheinlich in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in Kabul wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren, obwohl manche von den Gutachtern mitgeteilte Details auch für die gegenteilige Schlussfolgerung sprächen; daraus lasse sich jedoch nicht die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit ableiten, dass ein solcher Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan dort verhungern würde oder ähnlich existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre. Der Senat sei vielmehr davon überzeugt, dass in Kabul trotz zahlreicher Todesfälle durch Mangelernährung und anderweitige Unterversorgung gerade für junge, arbeitsfähige Männer Überlebenschancen bestünden, auch wenn sie nicht durch eine bedarfsgerechte Ausbildung und familiäre oder sonstige Beziehungen begünstigt würden.
Abgesehen von der - wohl eher zu verneinenden - Frage, ob erst bei einer derartigen Extremgefahr interner Schutz gemäß Art. 8 QRL abgelehnt und damit subsidiärer Schutz nach Art. 15 c QRL gewährt werden kann, kommt vorliegend hinzu, dass der Kläger wegen seiner durch mehrere ärztliche Bescheinigungen nachgewiesenen und von der Beklagten nicht substantiiert bestrittenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen ist, so dass in seinem Fall auch nach den strengen Maßstäben im Senatsurteil vom 7. Februar 2008 sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen sind. Dazu bedarf es entgegen der Auffassung im angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteil keiner lebensbedrohlichen Erkrankungsform, es reicht vielmehr unter den allgemeinen Gegebenheiten der Lebenssituation in Kabul aus, dass der Kläger seine medikamentöse Versorgung kaum dauerhaft sicherstellen könnte und nach einem der zwei- bis dreimal monatlich auftretenden Anfälle eine möglicherweise gefundene Erwerbstätigkeit verlieren würde. [...]