Passiver Widerstand bei der Abschiebung (hier: Weigerung, das Flugzeug zu betreten) begründet nicht die Annahme, der Ausländer wolle sich seiner Abschiebung entziehen; es ist Aufgabe der Ausländerbehörde, beim Antrag auf Abschiebungshaft Umstände vorzutragen, die gegen einen Haftgrund oder die Verhältnismäßigkeit der Haft sprechen, und Aufgabe des Gerichts, diese Umstände ggf. selbst zu erforschen.
Passiver Widerstand bei der Abschiebung (hier: Weigerung, das Flugzeug zu betreten) begründet nicht die Annahme, der Ausländer wolle sich seiner Abschiebung entziehen; es ist Aufgabe der Ausländerbehörde, beim Antrag auf Abschiebungshaft Umstände vorzutragen, die gegen einen Haftgrund oder die Verhältnismäßigkeit der Haft sprechen, und Aufgabe des Gerichts, diese Umstände ggf. selbst zu erforschen.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Nachdem sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt und der Betroffene sein Rechtsmittel auf den Kostenpunkt beschränkt hat, ist nur noch über die Frage des Auslagenersatzes (§ 16 FEVG) und über die Tragung der Gerichtskosten zu entscheiden. Das Rechtsmittel hat Erfolg. [...]
1. Ob dem Betroffenen die ihm entstandenen Auslagen zu erstatten sind, beurteilt sich nach § 16 Satz 1 FEVG (in entsprechender Anwendung), der als Sonderregelung der allgemeinen Bestimmung des § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG vorgeht (BGHZ 131, 185, 188). Danach sind die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehört, dann aufzuerlegen, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Haftantrages nicht vorlag. Dies ist der Fall, wenn das Gericht aufgrund des Verfahrensstandes bei Eintritt der Erledigung zu der Überzeugung gelangt, dass die Ausländerbehörde keinen objektiv begründeten Anlass zur Antragstellung hatte (st. Rspr., vgl. nur Beschluss des Senats vom 27.03.2002 - 11 Wx 89/01).
2. Nach diesem Maßstab hat das Rechtsmittel des Betroffenen Erfolg, weil ein objektiv begründeter Anlass zur Beantragung von Abschiebungshaft nicht bestanden hat. Entgegen der Auffassung von Amtsgericht und Landgericht fehlt es nämlich schon an einem Haftgrund nach §§ 62 Abs. 2 Nr. 4 oder Nr. 5 AufenthG. § 62 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG gebietet die Anordnung der Sicherungshaft, wenn der Betroffene sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat. Dies könnte aufgrund der Weigerung des Betroffenen, das Flugzeug zu betreten - wohl nicht wegen der lautstarken Diskussion - angenommen werden. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat es allerdings bereits für fraglich erachtet, ob die bloße Flugunwilligkeit zur Verwirklichung des Haftgrundes nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AuslG - frühere gleichlautende Fassung des Haftgrundes - führt (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 12.02.2004 - 20 W 148/03, Juris). Das BayObLG hat demgegenüber in einer Entscheidung vom 09.08.1995 (3 ZBR 179/95; Juris) festgestellt, dass sich ein Ausländer, der im Flugzeug randaliert und den die Fluggesellschaft deshalb nicht befördert, sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzieht. Dabei wird von den Vorinstanzen aber übersehen, dass allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale des Haftgrundes des § 62 Abs. 2 AufenthG nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend erscheint, um zwingend die Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft auszulösen (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.03.2004 - 20 W 426/03). Die Regelung der Haftgründe in § 62 Abs. 2 AufenthG stieße auf verfassungsrechtliche Bedenken, sofern nach ihr Abschiebungshaft auch dann zwingend angeordnet werden müsste, wenn dies - ausnahmsweise - zur Sicherung der Abschiebung nicht beitragen kann. § 62 Abs. 2 AufenthG sieht in allen tatbestandlichen Alternativen die Abschiebungshaftanordnung als Mittel "zur Sicherung der Abschiebung" vor (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 13.07.1994, DVBl 1994, 1404 f.). Abschiebungshaft darf deshalb nur angeordnet werden, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Abschiebung des Ausländers ohne seine Inhaftierung wesentlich erschwert oder vereitelt würde (vgl. BGHZ 98, 109 ff.). Ein begründeter Verdacht, der Betroffene wolle sich seiner Abschiebung entziehen, erfordert die Feststellung konkreter Umstände, die darauf hindeuten, ohne Haft werde der Betroffene seine Abschiebung in einer Weise behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BayObLGZ 1993, 150 ff.). Darauf ist auch für den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG abzustellen, da dieser sich darauf stützt, dass das erfolgte "Entziehen" zu der Vermutung führt, der Betroffene werde sich erneut entziehen.
3. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen konnten die Vorinstanzen jedoch nicht ausgehen. Gegen seine solche Vermutung der Abschiebungserschwerung oder Vereitelung sprechen mehrere Umstände, die von den Vorinstanzen nicht berücksichtigt worden sind. Der Betroffene lebt seit 10 Jahren in Deutschland, er hat einen festen Wohnsitz und geht seit mehreren Jahren regelmäßig einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Auch verfügt er über Deutschkenntnisse. Er konnte - offensichtlich problemlos - am 28.10.2008 in Wertheim - der Stadt seines Wohnsitzes - von der Polizei festgenommen werden, obwohl er nach der Rechtslage - wie die Beteiligte Ziffer 2 selbst ausführt - mit einer Abschiebung rechnen musste, lediglich ohne rechtlichen Anhalt darauf vertraute, diese werde nicht vor einer Entscheidung über den Widerspruch seiner Ehefrau gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis erfolgen [...]
Da der Betroffene lediglich passiven Widerstand durch Nichtbetreten des Flugzeuges leistete, führt eine Gesamtschau dieser Umstände zu dem Schluss, dass der Betroffene sich zwar mit allen Rechtsmitteln gegen die Verbringung nach Angola wehren, jedoch sich einer Abschiebung, insbesondere nicht durch Untertauchen, entziehen wird. Ein neuerlicher passiver Widerstand bei Betreten des Flugzeuges kann zwar nicht ausgeschlossen werden, doch kann dies nicht mit Abschiebungshaft verhindert werden, die in diesem Fall zur Beugehaft würde.
Die für die sozialen Bindungen und die Integration sprechenden Umstände waren der Beteiligten Ziffer 2 bekannt, sind von ihr jedoch nicht explizit vorgetragen worden. Da im Freiheitsentziehungsverfahren jedoch das Prinzip der Amtsermittlung gilt, ist einerseits die antragstellende Behörde gehalten, alle Umstände, auch die die möglicherweise gegen einen Haftgrund oder die Verhältnismäßigkeit von Haft sprechen, vorzutragen, und sind andererseits die Gerichte verpflichtet, auch solche Umstände zu erforschen. Es kann nicht allein Sache des Betroffenen sein, diese darzulegen und zu beweisen. Sollte bei den Gerichten danach der Eindruck unvollständiger Information durch die Ausländerbehörde entstehen, wird es notwendig sein, trotz der Eilbedürftigkeit der Verfahren erst nach Vorlage der gesamten Ausländerakte - in der auch regelmäßig die sozialen Bindungen dokumentiert sind - und nicht nur auf der Grundlage rudimentärer Auszüge zu entscheiden. Bei dieser Sachlage war die Anordnung von Sicherungshaft demnach unzulässig [...]