VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 05.11.2008 - 11 K 4416/07 - asyl.net: M14869
https://www.asyl.net/rsdb/M14869
Leitsatz:

Die Ermessenseinbürgerung gem. § 8 StAG setzt nicht eine bestimmte Aufenthaltsdauer voraus; jedenfalls sind Zeiten des Besitzes einer Duldung anzurechnen, wenn der Ausländer eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt.

 

Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Ermessenseinbürgerung, Aufenthaltsdauer, gewöhnlicher Aufenthalt, Duldung, Niederlassungserlaubnis, Erlasslage, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: StAG § 8
Auszüge:

Die Ermessenseinbürgerung gem. § 8 StAG setzt nicht eine bestimmte Aufenthaltsdauer voraus; jedenfalls sind Zeiten des Besitzes einer Duldung anzurechnen, wenn der Ausländer eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist im Hauptantrag begründet. Der Kläger kann die begehrte Einbürgerungszusicherung beanspruchen (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO). [...]

Die Beteiligten streiten, wie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich von ihnen klargestellt worden ist, nur noch darum, ob einer Einbürgerung des Klägers nach § 8 StAG die Aufenthaltsdauer entgegen steht. [...]

Demgemäß steht vorliegend nur die Rechtsfrage im Streit, ob der Kläger das (ermessenseröffnende) Tatbestandsmerkmal in § 8 Abs. 1 StAG "der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inhalt hat" erfüllt bzw. welche Auslegung diesem unbestimmten Rechtsbegriff zugrunde zu legen ist. Dieser Streit ist zugunsten des Klägers zu entscheiden.

Zunächst steht im Hinblick auf die dem Kläger am 25.08.2005 nach § 26 Abs. 4 AufenthG unter Anrechnung von vorausgegangenen Duldungszeiten gemäß § 102 Abs. 2 AufenthG erteilte Niederlassungserlaubnis nicht die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in Frage.

Er erfüllt auch die Anforderung an einen gewöhnlichen Aufenthalt. Dabei schließt sich das Gericht erneut der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg nach dem auch den Beteiligten bekannten Urteil vom 11.05.2005 - 13 S 236/04 - an, die nach wie vor Gültigkeit hat. Darüber hinaus hat die erkennende Kammer bereits in dem Urteil vom 13.12.2005 - 11 K 3725/04 (<Juris>) - ausgeführt:

"Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in § 8 StAG n.F. hat exakt den selben Bedeutungsgehalt wie in § 10 Abs. 1 StAG (und § 4 Abs. 3 StAG) ... Erforderlich ist danach nicht ein ganz bestimmter Aufenthaltstitel. Es genügt vielmehr, "wenn eine Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist; nicht erforderlich ist, dass der Aufenthalt mit Willen der Ausländerbehörde auf grundsätzlich unbeschränkte Zeit angelegt ist und sich zu einer voraussichtlich dauernden Niederlassung verfestigt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 - 1 B 31.03 BVerwGE 122, 199 = InfAuslR 2005, 215 = NVwZ 2005, 707) ...

Entgegen der Rechtsansicht der Beklagtenseite verlangt § 8 StAG auf der Tatbestandsseite auch nicht, dass dieser gewöhnliche Aufenthalt schon für längere Zeit vorliegen muss. Hierzu hat der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 11.05.2005 (a.a.O.) ausgeführt: "Im Unterschied zu § 10 StAG ist in § 8 StAG insoweit kein zeitlicher Mindestumfang gefordert. Der systematisch-teleologische Vergleich mit § 10 StAG/§ 85 AuslG spricht nicht dafür, dass der achtjährige rechtmäßige Aufenthalt auch "gewöhnlich" gewesen sein muss. Würde auch letzteres für notwendig angesehen, würde nicht nur der Wortlaut von § 8 StAG überdehnt, es würde zudem der Unterschied der Vorschrift zu § 10 StAG verwischt, denn bei einem achtjährigen rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalt lägen zugleich schon die Grundvoraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung vor. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber zwei Einbürgerungsvorschriften mit identischen tatbestandlichen Grundvoraussetzungen schaffen wollte. Damit die Ermessenseinbürgerung über einen wesentlichen eigenständigen Anwendungsbereich verfügt, muss der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in § 8 StAG so ausgelegt werden, dass er gerade nicht erfordert, dieser gewöhnliche Aufenthalt müsse über acht Jahre bestanden haben. Hiervon gehen auch die Verwaltungsvorschriften aus. Während zu § 8 StAG n.F. noch keine Verwaltungsvorschrift veröffentlicht ist, liegt zum alten Recht die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV) vom 13.12.2000 (BAnz. 2001, S. 1418) vor, auf die zurückgegriffen werden kann, soweit die Vorschriften des StAG nicht bzw. nur redaktionell geändert wurden (Hailbronner/Renner, aaO., § 8 Rn. 8). Das Zuwanderungsgesetz hat in § 8 Abs. 1 StAG lediglich redaktionelle Änderungen vorgenommen (BT-Drs. 15/420, S. 116; vgl. auch Hailbronner/Renner, aaO., § 8 Rn. 7), so dass für die behördliche Auslegung des Tatbestandsmerkmals des gewöhnlichen Aufenthalts weiterhin die entsprechenden Bestimmungen der StAR-VwV als Anhaltspunkt von Bedeutung sind. Die StAR-VwV unterscheidet zwischen der Niederlassung (Ziffer 8.1.1), die eine Wohnsitznahme in der Absicht des dauernden Aufenthaltes erfordert einerseits, und der Dauer des Inlandsaufenthaltes (Ziffer 8.1.2.2). Dieser muss grundsätzlich mindestens acht Jahre betragen; außerdem muss er (nur) rechtmäßig sein (Ziffer 8.1.2.3)." Auch dem schließt sich der Einzelrichter an..."

Nach diesen Grundsätzen erfüllt der Kläger die streitige Voraussetzung nach § 8 Abs. 1 StAG ohne Weiteres.

Soweit die "Vorläufigen Anwendungshinweise" vom 10.12.2004 (VAH) anstelle der bis zum 31.12.2004 geltenden StAR-VwV (insoweit, aber auch im Hinblick auf die Ziff. 8.1.2.3 Abs. 2 BW-StAR-VwV vom 05.01.2001 inhaltlich identisch) dennoch eine Mindestaufenthaltsdauer eines rechtmäßigen Aufenthalts von 8 Jahren verlangen, erfüllt der Kläger jedenfalls unter Anrechnung von Duldungszeiten die Voraussetzungen nach Ziff. 8,1.2.3 Abs. 2. Diese Bestimmung lautete:

"Abweichend von Nummer 4.3.1.2 werden Zeiten einer Duldung auf die geforderte Aufenthaltsdauer angerechnet, soweit dem Einbürgerungsbewerber in den Fällen des § 35 Abs. 1 S. 3 des bis zum 31.12.2004 gültigen Ausländergesetzes eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung dieser Zeiten erteilt worden ist".

Das Bundesministerium des Inneren hat die Anpassung der VAH an die Anrechnungsregelung des § 102 Abs. 2 AufenthG für notwendig befunden und die nachgeordneten Ausländerbehörden der Länder mit Erlass vom 15.02.2005 (Az. M II 5 - 124 005/17) mit folgender Ergänzung angewiesen, der Gesetzesänderung Rechnung zu tragen:

"Zeiten einer Duldung werden ebenfalls angerechnet, soweit dem Einbürgerungsbewerber eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG unter Berücksichtigung dieser Zeiten erteilt worden ist (vgl. § 102 Abs. 2 AufenthG)."

Das war beim Kläger, wie bereits dargelegt, der Fall gewesen. Da es sich insoweit um eine den Kläger begünstigende ermessensbindende Weisung des Bundesministeriums handelt, kann sich der Kläger zumindest im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes hierauf auch berufen und ist diese Weisung von der Beklagten zu beachten.

Dem stehen schon deshalb nicht die Erlasse des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 01.08. (Az. 5-1012.4/3) und 12.09.2007 (Az. 4-1310/80) entgegen. Sie gehen aber auch inhaltlich fehl.

Das Urteil des BVerwG vom 29.03.2007 - 5 C 8.06 - (<Juris>), auf welches sie verweisen, ist nämlich für § 8 StAG überhaupt nicht einschlägig. Das Bundesverwaltungsgericht hat - ausdrücklich - nur entschieden, dass die Anwendung der Ausnahme nach § 26 Abs. 4 S. 3 AufenthG von der Regel des § 55 Abs. 3 AsylVfG auf den Ausnahmefall beschränkt ist und daher nicht für § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. StAG gilt; ausdrücklich bezogen hat das BVerwG diesen Grundsatz auch auf den insoweit inhaltsgleichen § 10 Abs. 1 StAG. Es hat diese Entscheidung aber nicht auf § 8 Abs, 1 StAG bezogen oder ausgedehnt.

Die genannten Erlasse lassen die Frage der Übertragbarkeit der Entscheidung zu §§ 4 und 10 StAG auf die Fällen der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG offen. Das Gericht vermag die Übertragbarkeit jedoch nicht zu erkennen oder nachzuvollziehen. Denn es hält die unterbliebene Einbeziehung des § 8 StAG in diese Entscheidung im Hinblick auf die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen für zwingend. Während die Tatbestandsvoraussetzungen für die in § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 bzw. in § 10 StAG geregelten Rechtsansprüche einen Ausländer betreffen, der "seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland" hat, beschränkt die Ermessensermächtigung in § 8 StAG diese auf einen Ausländer, der "rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland" hat, schreibt also eine Mindestdauer des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts gerade nicht vor. Auf diese besonderen Unterschiede ist bereits der VGH in dem bereits angeführten Urteil näher eingegangen und darauf wird erneut Bezug genommen.

Aus diesen unterschiedlichen Regelungen folgt aber auch, dass der Spielraum, den § 8 StAG bei der Kriterienbildung für das zu steuernde Ermessen strengere Anforderungen zulässt als die gesetzlich vorausgesetzte bloße Anforderung eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthaltes im Zeitpunkt der Antragsbescheidung (bzw. im gerichtlichen Verfahren: der mündlichen Verhandlung). Eine solche (bereits) erhöhte Anforderung stellt die Ergänzung der VAH durch den Erlass vom 15.02.2005 dar, in dem es am Grundsatz eines 8-jährigen gewöhnlichen Aufenthalts in Ziff. 8.1.2.2 festhält, jedoch Duldungszeiten, die als Integrationsleistung im Rahmen der Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 S . 3 AufenthG ausnahmsweise anerkannt worden sind, dem gleich setzt.

Soweit sich die Erlasse mit der Anforderung eines "mindestens achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts" schließlich auf die genannte Entscheidung des VGH berufen, lassen sie außer acht, dass es sich dabei nicht um eine gesetzliche Anforderung handelt, sondern um das Aufgreifen der bereits erwähnten Erlassregelung (vgl. Ziff. 8.1.2.3 Abs, 1 in Verbindung mit Ziff. 4.3.1.2 der VAH), von welcher der Absatz 2 in der Fassung des Erlasses des Bundesinnenministeriums gerade eine Ausnahme zulässt, nämlich die Anrechnung von Zeiten einer Duldung im Rahmen von § 26 Abs. 4 S. 3 in Verbindung mit § 102 Abs, 2 AufenthG, also um die Anerkennung einer ermessensbindenden Regelung (vgl. Verwaltungsgericht Stuttgart, aaO., mit welcher sich die Kammer der Rechtsprechung des VGH " mit der Einschränkung, dass die vom VGH mehrfach erwähnte "achtjährige" Dauer noch nicht einmai Tatbestandsvoraussetzung der das behördliche Ermessen eröffnenden Norm des § 8 StAG ist, vielmehr diese Zeitspanne überhaupt erst auf der Ebene der Ermessensbetätigung angesiedelt ist (vgl. Ziff. 8.1.2.2 der StAR-VwV).", angeschlossen hatte.

Damit ist das Ermessen eröffnet. [...]

Es ist jedoch von einer sog. Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Wie das Gericht bereits mit Urteil vom 13.12.2005 (aaO.) entschieden hat, ergibt sich dies aus der Selbstbindung der Verwaltung bei der Ausführung des Staatsangehörigkeitsgesetzes aufgrund der StAR-VwV (vgl. die Vorbemerkung zur Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg zum Staatsangehörigkeitsrecht - BW-StAR-VwV - vom 05.01.2001) bzw. der insoweit identischen entsprechenden Abschnitte in den vorl. VAH des Bundesinnenministeriums (vgl. Marx, aaO., Anm. 128 am Ende; Heilbrunner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. A., Anm. 51 zu § 8 StAG mit weiteren Nachweisen). Wie auch die Beklagte ausdrücklich eingeräumt hat, erfüllt der Kläger - jedenfalls im Hinblick auf die erstrebte Einbürgerungszusicherung - sämtliche der hiernach von der Beklagten zu berücksichtigenden Voraussetzungen für eine positive Ermessensentscheidung (vgl. Ziffer 8.1.2 bis Ziffer 8.1.2.5 und Ziff. 8.1.2.6.1 der StAR-VwV/AHW). [...]