OLG Zweibrücken

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Zitieren als:
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 06.11.2008 - 3 W 200/08 - asyl.net: M14874
https://www.asyl.net/rsdb/M14874
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Anhörung, Schutz von Ehe und Familie, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Passlosigkeit, Passbeschaffung
Normen: FEVG § 5 Abs. 1; AufenthG § 62 Abs. 2; GG Art. 6
Auszüge:

[...]

In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem vorläufigen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

Die Kammer hat den Betroffenen entgegen § 5 Abs. 1 FEVG verfahrensfehlerhaft nicht persönlich angehört. Eine solche Anhörung war jedenfalls nach der Zurückverweisung durch den Senat mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 (3 W 186/08) erforderlich gewesen. Die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht am 11. September 2008 war zum Zeitpunkt der zweiten Entscheidung durch die Kammer am 17. Oktober 2008 nicht mehr so zeitnah, dass ausnahmsweise auf eine erneute Anhörung hätte verzichtet werden können. Infolge des Zeitraumes von mehr als fünf Wochen seit der Anhörung durch das Amtsgericht konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Anhörung durch die Kammer zu neuen entscheidungserheblichen Erkenntnissen hätte führen können. Dies belegen zusätzlich die Angaben des Betroffenen in dem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 3. November 2008. Der Vortrag des Betroffenen, er beabsichtige, bei seiner Lebensgefährtin zu wohnen, die ein Kind von ihm erwarte, kann für die Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft von Bedeutung sein. Zwar haben alleine die hierfür zuständige Behörde und die Verwaltungsgerichte zu klären, ob sich aus Art. 6 GG ein der Abschiebung entgegenstehendes Bleiberecht des Betroffenen ergibt (BayObLG, FGPrax 1998, 35 und BayObLGZ 2001, 55; Saarländisches OLG, Beschluss vom 23.08.2004, 5 W 218/04-71, zitiert nach juris; OLG München, OLGR 2006, 111). Art. 6 GG begründet deshalb für sich kein Abschiebungshindernis und steht daher auch einer Haftanordnung nicht ohne weiteres entgegen.

Allerdings ist das allen Haftgründen des § 62 Abs. 2 AufenthG gemeinsame Tatbestandsmerkmal der „Sicherung der Abschiebung" Ausdruck des auch vom Haftgericht zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 1994, 2 BvL 6/93 und 2 BvL 15/94 zu § 57 AuslG). Unter diesem Gesichtspunkt sind deshalb Umstände, zudem solche, die unter verfassungsrechtlichem Schutz stehen, auch durch das Haftgericht aufzuklären und bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Dies gilt im Verfahren der Abschiebungshaft namentlich für Umstände, die dem Schutz von Art. 6 GG unterfallen (Thüringer OLG, Beschluss vom 20.9.2001, 6 W 572/01, veröffentlicht bei Melchior, Internetkommentar zur Abschiebungshaft; OLG Köln, OLGR 2001, 279; OLG Rostock, FGPrax 2006, 283; OLG München, OLGR 2007, 628; offen gelassen von OLG Naumburg, NVwZ 2002, Beilage I 4, 56). Aus der Feststellung solcher Umstände kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben, dass die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht erforderlich ist. Art. 6 GG entfaltet dabei Schutzwirkungen allerdings nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen, wohl aber bei Bestehen einer tatsächlichen Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist (BVerfG, FamRZ 2006,187). Kommt es somit für die Feststellung der Erforderlichkeit der Abschiebungshaft auf die Art und die Intensität der familiären Bindungen an, so bedarf es zu einer fehlerfreien Sachverhaltsermittlung in aller Regel der persönlichen Anhörung des Betroffenen und der Vernehmung seiner Partnerin (OLG München, OLGR 2007, 628). Weil es an diesen Feststellungen fehlt und nicht auszuschließen ist, dass dies auf der unterlassenen Anhörung des Betroffenen beruht, war die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

3. Ergänzend im Hinblick auf die Ausführungen in der Beschwerdebegründung und auch zur Klarstellung des Senatsbeschlusses vom 7. Oktober 2008 (3 W 186/08) weist der Senat außerdem auf folgendes hin:

a) Der Betroffene hat eine etwaige Verzögerung seiner Abschiebung, die auf seiner Passlosigkeit beruht, zu vertreten (§ 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. NVwZ 2002, Beilage I, 46; ebenso OLG Saarbrücken, FGPrax 1999, 243; OLG München, OLGR 2007, 144), an der er festhält. [...]