LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY - asyl.net: M14877
https://www.asyl.net/rsdb/M14877
Leitsatz:

Allein die Feststellung, dass wirtschaftliche Gründe prägendes Einreisemotiv waren, rechtfertigt nicht die Annahme, die Einreise sei erfolgt, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu beziehen.

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen, Einreisemotiv, Leistungskürzung, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Asylantrag, Glaubwürdigkeit
Normen: SGG § 73a Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1; AsylbLG § 1a Nr. 1
Auszüge:

Allein die Feststellung, dass wirtschaftliche Gründe prägendes Einreisemotiv waren, rechtfertigt nicht die Annahme, die Einreise sei erfolgt, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu beziehen.

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Das Sozialgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch der Kläger im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt. Der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) der Kläger kann zur Überzeugung des Senats nach der gebotenen summarischen Prüfung hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht abgesprochen werden. [...]

Nach § 1a Nr. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte, die, wie die Kläger, leistungsberechtigt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 bzw Nr. 5 AsylbLG sind, und deren Familienangehörige nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, wenn sie sich in den Geltungsbereich des Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen.

Da die Regelung des § 1a Nr. 1 AsylbLG im Wesentlichen der Vorschrift des § 23 Abs. 3 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) entspricht, kann zur Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen die hierzu ergangene Rechtsprechung und einschlägige Literatur herangezogen werden (vgl. etwa Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 1a AsylbLG Rn. 5; Fasselt in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage 2005, § 1a AsylbLG Rn. 6).

Von einer Einreise zum Zweck des Leistungsbezuges kann danach ausgegangen werden, wenn ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialleistungen besteht (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 23.02.2007- L 20 B 61/06 AY). Sind mehrere Motive denkbar oder gegeben, muss das prägende Motiv des Hilfesuchenden im Zeitpunkt der Einreise die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG gewesen sein (vgl. auch Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Auflage 2006, § 1a Rn. 9 AsylbLG). Prägende Bedeutung kommt dem Umstand, Leistungen zu beziehen, dann zu, wenn er für den Ausländer neben anderen Gründen so wesentlich war, dass er ansonsten nicht eingereist wäre (vgl. Birk in LPK-SGB XII, 8. Auflage 2008, § 1a Rn. 3). Es genügt demgegenüber nicht, dass der Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG beiläufig erfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen wird (vgl. zu alledem bereits BVerwG, Urteil vom 04.06.1992 - 5 C 22.87 = BVerwGE 90, 212 = BVerwG FEVS 43, 113 zur Vorschrift des § 120 BSHG).

Die nur in das Wissen des Ausländers gestellten Gründe für seine Ausreise muss dieser substantiiert und widerspruchsfrei darlegen, um der Behörde und auch dem Gericht die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob der genannte Tatbestand erfüllt ist (zum Sphärengedanken etwa Wahrendorf, a.a.O., Rn. 5). Erst sodann kann unter Berücksichtigung der die Behörde treffenden (objektiven) Beweislast die Beweislosigkeit ggf. die Anwendung des § 1a Nr. 1 AsylbLG verwehrten.

Unter Berücksichtigung sämtlicher (bekannter) Umstände der Einreise erscheint die Annahme einer Einreise zur Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG zwar naheliegend. Das Vorbringen der Klägerin zu 1) und ihres Ehemannes im Asylverfahren und gegenüber der Beklagten ist nicht frei von Widersprüchen. [...] Auch die (behauptete) völlige Mittellosigkeit bei der Einreise kann als Indiz für einen beabsichtigten Leistungsmissbrauch herangezogen werden (vgl. Wahrendorf, a.a.O.). Es spricht daher auch in Ansehung der rechtskräftigen Ablehnung durchaus Einiges dafür, dass wirtschaftliche Gründe prägend für die Ausreise der Kläger aus C und nachfolgend Moskau (nachdem dort wohl die fehlende Aufenthaltsberechtigung beanstandet worden war) waren.

Die Feststellung, dass wirtschaftliche Gründe prägendes Einreisemotiv waren, reicht zur Annahme einer Einreise zur Erlangung von Leistungen allerdings nicht aus. Die Vorstellung von einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse muss sich nicht auf die Erlangung staatlicher Unterstützungsleistungen beziehen.

Wegen der weitgehenden Konsequenzen der Leistungskürzung gemäß § 1a AsylbLG - bereits die Leistungen nach § 3 AsylbLG liegen mehr als 35 % unter denjenigen, die einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII zur Verfügung stehen - ist § 1a AsylbLG restriktiv anzuwenden. Die erforderliche Einzelfallprüfung setzt eine vollständige Ermittlung des Sachverhalts voraus. Regelhaft ist es daher erforderlich, die Asyl- und Ausländerakten beizuziehen. Insbesondere wenn es um die Glaubhaftigkeit einzelner Angaben und die Glaubwürdigkeit der betroffenen Ausländer geht, hält der Senat auch eine durch einen Dolmetscher vermittelte Befragung durch das Gericht für erforderlich (vgl. hierzu auch Wahrendorf, a.a.O.). Dabei ist zu beachten, dass die Befragung durch Asyl- und Ausländerbehörden primär asyl- und aufenthaltsrechtliche Fragen im Blick hat. Die bisherigen Angaben der Kläger lassen es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG nicht prägendes Einreisemotiv war.

Eine persönliche Befragung insbesondere der Klägerin zu 1) und ihres Ehemannes erscheint daher hier geboten. [...]