OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.01.2009 - 5 A 1162/07.A - asyl.net: M14878
https://www.asyl.net/rsdb/M14878
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Verfahrensrecht, Fristen, Fristversäumnis, Zwei-Wochen-Frist, Empfangsbekenntnis, öffentliche Urkunde, Gegenbeweis, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Prozessbevollmächtigte, Verschulden, Kanzleiorganisation, grundsätzliche Bedeutung, exilpolitische Betätigung, Iran, Auslandsvertretung, Verfahrensmangel, rechtliches Gehör, Beweisantrag, eigene Sachkunde, Gutachten, Herkunftsländerinformationen
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 4; ZPO § 418; VwGO § 60; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig, könnte aber auch in der Sache nicht zum Erfolg führen.

Der Antrag ist nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist von zwei Wochen nach Zustellung des angefochtenen Urteils gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung (AsylVfG a. F.) gestellt worden und damit verfristet. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Urteil am 13. März 2007 erhalten. Die Antragsfrist lief daher mit Ablauf des 27. März 2007 (Dienstag) ab. Bis zu diesem Zeitpunkt war kein Antrag bei Gericht eingegangen.

Das Empfangsbekenntnis erbringt als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO vollen Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt sowie für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, das Empfangsbekenntnis mit dem zutreffenden Datum zu versehen, an dem er das zuzustellende Schriftstück mit dem Willen entgegen genommen hat, es zu behalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. März 2001 - 2 BvR 2211/97 -, NJW 2001, 1563 f. m.w.N.).

Er darf das Empfangsbekenntnis erst dann unterzeichnen, wenn er das übersandte Schriftstück als zugestellt angenommen hat. Ob und zu welchem Zeitpunkt er dies tut, bestimmt er grundsätzlich selbst. Die hierfür notwendige Willensentscheidung ist nicht an bestimmte äußere Merkmale oder Vorgänge, etwa die Entgegennahme des Schriftstücks, seine erstmalige Lektüre, die Eintragung von Fristen oder den Beginn der Sachbearbeitung, geknüpft. Sie erfordert nicht einmal, dass der Betreffende sich mit dem Schriftstück überhaupt befasst, es angesehen oder sich Gedanken über seinen Inhalt gemacht hat (vgl. BSG, Beschluss vom 16. November 2005 - B 2 U 342/04 B -, juris, Rn. 5 f.)

Zwar ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben über den inneren Willensentschluss des Empfängers zulässig. Dieser setzt jedoch nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, dass die Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. November 2006 - 1 B 162.06 -, Buchholz 303 § 418 ZPO Nr. 14, und vom 15. Februar 2001 - 6 BN 1.01 -, Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 19; BGH, Beschluss vom 17. April 2007 - VIII ZB 100/05 -, JurBüro 2007, 504; BVerfG, Beschluss vom 27. März 2001 a.a.O.).

Gemessen hieran ist der erforderliche Gegenbeweis der beurkundeten Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Urteil als zugestellt angenommen hat, nicht geführt worden. Er trägt in der Antragsbegründung unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner Sekretärin vor: Das Urteil sei dem Empfangsbekenntnis nicht beigefügt gewesen. Dies sei zunächst nicht bemerkt worden, weil nicht abgeglichen worden sei, ob die auf dem Empfangsbekenntnis angegebenen Schriftstücke tatsächlich eingegangen seien. Er habe sich entsprechend seiner üblichen Handhabung die Empfangsbekenntnisse gesondert zur Unterschrift vorlegen lassen. Seine Sekretärin notiere Fristen und lege ihm anschließend eilige Sachen sowie Fristsachen vor. Die normalen Posteingänge lege sie sodann auf die betreffende Akte in ein Regal. Aus diesem nehme er sie nach Möglichkeit und Arbeitsanfall zur Bearbeitung heraus. Dorthin sei auch das übersandte Terminsprotokoll gelangt, ohne dass seine Sekretärin zuvor eine - hieraus nicht ersichtliche - Frist notiert habe.

Selbst wenn man dieses anwaltliche Vorbringen zugrunde legt, hält der Senat es nicht für ausgeschlossen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Urteil als zugestellt entgegen genommen hat. Da der Eingang der zuzustellenden Schriftstücke nicht überprüft worden ist, kann das Urteil der in Rede stehenden Postsendung beigefügt gewesen sein, die Kanzlei erreicht haben und erst anschließend abhanden gekommen sein. In diesem Fall wäre das Empfangsbekenntnis richtig. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers wollte nach seinem eigenen Vorbringen die eingegangenen Schriftstücke als zugestellt entgegen nehmen, ohne sie zuvor gesehen zu haben. Ihm genügte für seinen Empfangswillen die (vermeintliche) Gewissheit über den Eingang in seinen Geschäftsräumen und erhielt nicht einmal eine Überprüfung durch seine Sekretärin für erforderlich. Denn er vertraute darauf, dass dem Empfangsbekenntnis die in ihm aufgeführten Schriftstücke beigefügt waren.

Dem Kläger kann auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO wegen der versäumten Antragsfrist gewährt werden. Er hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Versäumung der Frist als unverschuldet erscheinen lassen. Sein Prozessbevollmächtigter hat nicht dargetan, dass er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht bei der Überwachung der Rechtsmittelfrist eingehalten hat. Zu einer ordnungsgemäßen Organisation der Fristenkontrolle gehört es, dass das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Urteils vom Rechtsanwalt erst unterzeichnet und zurückgesandt wird, wenn die Rechtsmittelfrist entweder bereits in den Handakten und im Fristenkalender notiert ist oder zumindest durch besonderen Sorgfaltspflichten unterliegende Vorkehrungen sichergestellt ist, dass die Frist entsprechend notiert wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2006 - 10 B 83.05 -, juris, Rn. 8).

Diesen Anforderungen genügt die in der Antragsbegründung geschilderte Handhabung schon deshalb nicht, weil das Empfangsbekenntnis dem Prozessbevollmächtigten gesondert zur Unterschrift vorgelegt worden sein soll, ohne dass zuvor oder zumindest unmittelbar danach abgeglichen worden ist, ob ihm das angegebene Urteil, dessen Zustellung die Frist auslöste, beigefügt war. Ohne einen derartigen Abgleich ist die gebotene Fristennotierung nicht sichergestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung könnte auch in der Sache keinen Erfolg haben. Die mit der Grundsatzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) aufgeworfenen Fragen, ob durch iranische Staatsangehörige gegenüber einer iranischen Auslandsvertretung begangene Straftaten, wie Hausfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Versammlungsgebot etc.

- grundsätzlich eine Bestrafung nach sich ziehen,

- grundsätzlich nicht eine Bestrafung nach sich ziehen,

- nur dann eine Bestrafung nach sich ziehen, wenn der jeweilige Teilnehmer auch anderweitig als bekannter Oppositioneller aufgetreten ist,

- nur dann verfolgt werden, wenn auch die deutsche Strafjustiz ein Verfolgungsinteresse bejaht,

- nicht verfolgt werden, wenn die deutsche Strafjustiz eine Verfolgung vornimmt und die Teilnehmer bestraft,

wären in einem Rechtsmittelverfahren in dieser Allgemeinheit nicht entscheidungserheblich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats lässt sich bereits nicht allgemein beantworten, welche Anforderungen tatsächlicher Art an eine exilpolitische Tätigkeit gestellt werden müssen, damit sie die Gefahr politischer Verfolgung begründet. Maßgeblich sind insoweit die konkret-individuellen Umstände des Einzelfalls. Entscheidend für die Gefahr politischer Verfolgung ist, ob die Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben und als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner erscheinen lassen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2008 - 5 A 637/08.A - m.w.N.). [...]

Die Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) greift gleichfalls nicht durch. Dem Kläger ist rechtliches Gehör nicht dadurch versagt worden, dass das Verwaltungsgericht dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag nicht entsprochen hat. Die in der Urteilsbegründung enthaltene Ablehnung des Antrags findet im Prozessrecht eine hinreichende Stütze.

Den Antrag, gutachtliche Stellungnahmen von Amnesty International und dem Deutschen Orient-Institut einzuholen zum Beweis dessen, dass an die Mitwirkung an einer Ankettungsaktion, wie sie vom Kläger durchgeführt wurde, strafrechtliche Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran anknüpft, die auch politisch motiviert ist, hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, die in das Verfahren eingeführten und in den Entscheidungsgründen zitierten Auskünfte seien geeignet, dem Gericht die zur (verneinenden) Beantwortung dieser Frage erforderliche Sachkunde zu vermitteln. [...]