VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Beschluss vom 10.11.2008 - W 4 E 08.30145 - asyl.net: M14884
https://www.asyl.net/rsdb/M14884
Leitsatz:

Kein Stopp der Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Griechenland, Abschiebungsanordnung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Verordnung Dublin II, Drittstaatenregelung, normative Vergewisserung, Verfassungsmäßigkeit, EG-Mitgliedstaaten, Selbsteintrittsrecht
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; AsylVfG § 34a Abs. 2; AsylVfG § 27; EG VO Nr. 343/2003 Art. 10 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 2; EG VO Nr. 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

Kein Stopp der Dublin-Überstellung nach Griechenland.

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg, denn er ist bereits unzulässig. [...]

1. Zwar besteht für den Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO das Rechtsschutzbedürfnis, obwohl dem Antragsteller noch keine Abschiebungsanordnung zugestellt worden ist. Das Bundesamt hat am 14. April 2008 ein Übernahmeersuchen an Griechenland gerichtet. Dieses wurde - soweit ersichtlich - von Griechenland noch nicht beantwortet. Damit ist die Zwei-Monatsfrist des Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Abl. L 50/1 vom 25. Februar 2003, Dublin II) abgelaufen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat unter dem 29. Juli 2008 bereits einen Bescheid gefertigt, der die Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland anordnet. Vor diesem Hintergrund kann es dem Antragsteller nicht zugemutet werden, mit einer Antragstellung abzuwarten, bis ihm die Abschiebungsanordnung förmlich bekannt gegeben wird. Ansonsten wäre bei der dann unmittelbar stattfindenden Abschiebung die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG möglicherweise unzumutbar erschwert.

2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist jedoch wegen § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) als unzulässig anzusehen. Nach dieser Vorschrift darf die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 AsylVfG) nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Diese Vorschrift mutet es dem Betroffenen zu, die Rechtsverfolgung vom zuständigen Staat im Sinne der Dublin II-VO zu betreiben.

Für die Behandlung des Asylantrages des Antragstellers ist Griechenland gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO zuständig. [...]

Nach § 34a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung nach Abs. 1 nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Dieses Verbot hat sogar Verfassungsrang. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG können in den Fällen des Satzes 1, also bei Anwendung der "Drittstaatenregelung", aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG gehören die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften, wie z.B. Griechenland zu den sicheren Drittstaaten.

§ 34a Abs. 2 AsylVfG ist auch in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Fassung unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (2 BvR 1938, 2315/93, BVerfGE 94,49 = NVwZ 1996, 700) nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung die Verfassungsgemäßheit des § 34a Abs. 2 AsylVfG bejaht. Die Vorschrift ist nur dann nicht anwendbar, wenn in den im Urteil beschriebenen Ausnahmefällen Einwendungen des Ausländers zu einer individuellen Gefährdung im Drittstaat geltend gemacht werden können (vgl. BVerfG, U.v. 14.05.1996, a.a.O.).

Nach dieser Entscheidung hat die Bundesrepublik Deutschland Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. [...]

Es kommt hier nur der Fall in Betracht, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht. Nach dieser Vorschrift bestimmt die Bundesregierung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen oder politischen Verhältnissen die Annahme begründen, dass die in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Anlage I betrifft aber nur

noch Norwegen und die Schweiz, nicht dagegen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Dies bedeutet aber auch, dass im Blick auf EG-Staaten die Anwendung des § 26a AsylVfG nicht durch Rechtsverordnung nach § 26a Abs. 3 Satz 1 AsylVfG vorübergehend ausgeschlossen werden kann. Vielmehr kann nur der verfassungsändernde Gesetzgeber im Falle gravierender Veränderungen in den rechtlichen und politischen Verhältnissen in einem EG-Staat die gebotenen Konsequenzen ziehen (so Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2005, RdNr. 199 zu § 26a). Ob der erwähnte Ausnahmetatbestand überhaupt auf ein unvermitteltes Absinken des Standards der Schutzgewährung in EU-Staaten angewendet werden kann, kann offen bleiben.

Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer freilich nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der oben genannten, im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen (so ausdrücklich BVerfG, U.v. 14.05.1996, a.a.O.).

Das heißt, dass nur individuelle Gründe ausreichend sind, um ein Abschiebungshindernis zu begründen. Eine generelle Qualifizierung Griechenlands als "unsicher" würde die Intentionen des Gesetzgebers, konterkarieren und wäre mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar (so VG Regensburg, B.v. 15.09.2008, RO 3 E 08.30124).

Die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits von der Antragstellerseite angeführten stattgebenden Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, B.v. 16.06.2008, 6 B 18/08 und B.v. 08.07. 2008, 6 B 30/08 und VG Karlsruhe, B.v. 23.06.2008, A 3 K 1412/08) beziehen sich, wie auch der Beschluss der Kammer vom 12. August 2008 (W 4 E 08.30114) auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 25. April 2008 (2 L 201/08. GI.A <juris>), in welchem die Abschiebung nach Griechenland auf die Dauer von 6 Monaten untersagt worden ist. Die Antragsgegnerin hat dagegen eine Reihe von abweisenden Entscheidungen (VG Regensburg, B.v. 01.10.2008, RO 8 E 08.30132; VG Regensburg, B.v. 15.09.2008, RO 3 E 08.30124; VG Ansbach, B.v. 16.09.2008, AN 19 E 08.30350; VG Augsburg, B.v. 13.06.2008, Au 5 E 08.30069; VG Koblenz, U.v. 09.07.2008, 1 K 353/08.KO; VG Gießen, B.v. 17.07.2008,10 L 1498/08 GI.A; VG Saarland, B.v. 23.07.2008, 2 L 446/08; VG Frankfurt am Main, B.v. 18.06.2008, 2 L 1532/08.F.A (V); VG Münster B.v. 22.08.2008, 2 L 455/08.A) vorgelegt.

Hinzu kommt noch, dass sich aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 19. August 2008 an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags ergibt, dass zwischenzeitlich Gespräche mit dem griechischen Innenminister geführt wurden. Außerdem hat die Deutsche Botschaft in Athen mitgeteilt, dass mittlerweile die Qualifikationsrichtlinie und die Verfahrensrichtlinie der EU in griechisches Recht umgesetzt worden seien und im Jahre 2008 zwei neue Aufnahmezentren für Asylbewerber in Betrieb genommen worden seien. Damit dürfte aber den in den stattgebenden Entscheidungen geäußerten Bedenken mittlerweile Rechnung getragen worden sein. Es ist zwar nach wie vor nicht zu verkennen, dass die Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Griechenland nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sind. Härten des Einzelfalls trägt die Antragsgegnerin - wie sich auch der Behördenakte (Blatt 78) entnehmen lässt - aber dadurch Rechnung, dass im Zweifel bei besonders schutzwürdigen Personen von einer Überstellung nach Griechenland abgesehen wird (s.a. VG Saarland, B.v. 23.07.2008, 2 L 446/08). Dies gilt für Flüchtlinge hohen Alters, für minderjährige Flüchtlinge sowie für Flüchtlinge, bei denen eine Schwangerschaft, ernsthafte Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder besondere Hilfsbedürftigkeit vorliegt. Der Antragsteller unterfällt - anders als die Antragsteller im Verfahren, das dem Beschluss des VG Gießen vom 25.04.2008 zu Grunde liegt - keiner dieser Gruppen. Das Gericht sieht sich jedoch auf Grund der oben dargestellten Gesetzeslage daran gehindert, Asylbewerbern im Falle von Griechenland eine generelle Ausnahme von der Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG zuzugestehen.

Eine individuelle Gefährdung hat der Antragsteller hier jedoch nicht mit der erforderlichen Gewissheit glaubhaft gemacht. Zunächst ist festzuhalten, dass der Hinweis auf die in der Antragsbegründung aufgeführten Entscheidungen für eine solche Darlegung nicht ausreicht. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm bei einer Abschiebung nach Griechenland der Zugang zum Asylverfahren verwehrt werden würde. Dem Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers zu den Geschehnissen vom August bis zum Dezember 2007 in Griechenland lassen sich keine durchgreifenden Hinweise dafür entnehmen, dass ihm in Griechenland eine sofortige Abschiebung in den Irak droht.

Dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Griechenland dort mit einer individuellen Gefährdung rechnen muss, die unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.05.1996 ein Absehen vom Verbot des § 34a Abs. 2 AsylVfG rechtfertigt, ist unter diesen Umständen zu verneinen.

3. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall nicht von dem in ihrem Ermessen stehenden Selbsteintrittsrecht, d.h. von ihrem Recht das Asylbegehren des Antragstellers selbst zu prüfen, obwohl sie nach den Bestimmungen der Dublin II-VO nicht für die Prüfung zuständig ist, gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht hat. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung, des Selbsteintrittsrechts durch die Antragsgegnerin notwendig machen könnten, sind nicht ersichtlich. So hat das Bundesamt im Bescheid vom 29. Juli 2008 ausgeführt, das von einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Antragstellers nicht ausgegangen werden könne. Der Antragsteller gehört auch nicht zu dem Personenkreis, bei dem das Bundesamt nach den hier vorliegenden Informationen (vgl. Asylmagazin 7-8/2008, Seite 1) eine besondere Schutzbedürftigkeit bejaht und von einem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. [...]