VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 14.11.2008 - 1 A 4402/06 - asyl.net: M14892
https://www.asyl.net/rsdb/M14892
Leitsatz:
Schlagwörter: Russland, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, alleinstehende Frauen, alleinerziehende Frauen, gemischt-ethnische Abstammung, Armenier, Aserbaidschaner
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage hat zum Teil Erfolg. Die Kläger haben Anspruch auf Verfolgungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG. [...]

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das ist hier anzunehmen. Die Kläger wären nach einer Einreise in die Russische Föderation, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen, völlig auf sich gestellt. Der Ehemann der Klägerin zu 1), der bislang im Wesentlichen für das Familieneinkommen sorgte, gehört nach der Entscheidung der Klägerin zu 1) nicht mehr zum Familienverband. Sie hat sich - wie in der mündlichen Verhandlung nach einigem Zögern dargelegt hat - von ihrem Ehemann getrennt. Das Verhältnis ist so zerrüttet, dass ein gemeinsamer Haushalt für sie nicht mehr in Frage kommt. Eine Scheidung ist zwar nicht eingereicht, dennoch ist das Gericht aufgrund des Auftretens der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass eine Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann nicht mehr geführt werden wird. Es ist zwar für allein stehenden Frauen in der Russischen Föderation durchaus eine wirtschaftliche Existenz möglich, auch wenn sie angefeindeten Minderheiten angehörigen. Auch wenn eine Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht sofort oder überhaupt nicht angeboten wird, so können diese Frauen ebenso wie Männer auf eine Tätigkeit in der sehr weit verbreiteten "Schattenwirtschaft" verwiesen werden.

Für die Kläger stellt sich die Situation jedoch entscheidend anders dar. Die Klägerin zu 1) ist zwar gesund und arbeitsfähig, sie kann ihre Arbeitskraft jedoch nicht in dem erforderlichen Umfang für die Ernährung der Familie einsetzen, weil sie sich um zwei minderjährige Kinder kümmern muss. Verwandte oder Landsleute, auf deren Hilfe unter Umständen Rückkehrer verwiesen werden könnten, werden sich um die Kläger nicht kümmern können. Zum Einen ist die Mutter der Klägerin zu 1) inzwischen verstorben. Zum Anderen hat die Klägerin mehrfach und überzeugend dargelegt, dass sie sich auf Netzwerke und Unterstützungsgruppen von Landsleuten nicht berufen kann, weil sie weder von Armeniern von Aserbaidschanern als Mitglied in ihrer Exilgemeinschaft akzeptiert wird. Die Klägerin zu 1) ist Tochter eines aserbaidschanischen Vaters und hat deshalb den Nationalitäteneintrag "aserbaidschanisch" in ihren sowjetischen Papieren gehabt. Wesentlich geprägt ist sie jedoch von ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die Armenier waren. Im Falle ihrer Rückkehr werden die Klägerin somit völlig auf sich gestellt sein und keinerlei verlässliche Möglichkeit haben, sich eine wirtschaftliche Existenz aufbauen zu können. [...]