VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Beschluss vom 23.12.2008 - unbekannt - asyl.net: M14905
https://www.asyl.net/rsdb/M14905
Leitsatz:

Der vorläufige Stopp einer Dublin-Überstellung ist unter anderem zulässig, wenn im zuständigen Mitgliedstaat der EU ein Asylverfahren droht, dass die Regelungen der Verfahrensrichtlinie verletzt (hier: abgelehnt für Überstellung eines irakischen Staatsangehörigen nach Schweden).

Schlagwörter: Schweden, Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilantrag), einstweilige Anordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Drittstaatenregelung, normative Vergewisserung, Verfahrensrichtlinie, EU, Mitgliedstaaten, Irak, Jesiden, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 27a; AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist als Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Sicherungsanordnung zulässig aber unbegründet.

Das Bundesamt hatte bereits zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht das Verfahren zur Abschiebung des Antragstellers in den nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 - VO Nr. 343/2003/EG - (im Folgenden Dublin II VO) für die Durchfuhrung des Asylverfahrens zuständigen Staat eingeleitet. Zudem hat Schweden das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland bereits mit Zustimmungserklärung vom 9.12.2008 bestätigt. Diese Erklärung erfolgte (zu Recht) aufgrund der gemäß Art. 17 Abs. 1 DÜ II VO begründeten Zuständigkeit Schwedens, trotz des eigentlich zuerst in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags und der damit gemäß Art. 13 DÜ II VO begründeten Zuständigkeit. Da laut, sowohl nach Mitteilung des Antragstellers, als auch nach Bekunden des Bundesamtes nunmehr der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 27a AsylVfG unmittelbar bevorsteht, ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers gegeben. Der Antrag ist auch insoweit zulässig, als das § 34a Abs. 2 AsylVfG bestimmt, dass die Abschiebung in den für die Durchführung des Asyl Verfahrens zuständigen Staat, der auf dem Wege des § 27a AsylVfG -wie hier - ermittelt worden ist, grundsätzlich nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf.

Entscheidend für den verfassungskonformen Ausschluss des Eilrechtsschutzes mit Wirkung für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist, ob das angerufene Gericht davon ausgehen kann, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG vorliegen. Dies ist nach der vorliegend zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zur Drittstaatenregelung) dann aber nicht der Fall, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus verfassungs- oder konventionsrechtlichen Gründen Schutz zu gewähren hat, weil dessen Gewährung durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und somit nicht zu den Regelfällen des § 34a AsylVfG gehören, für die Eilrechtsschutz nicht in Frage kommt (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 - BVerfGE 94, 49, 99).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt zur Überzeugung des Gerichts, ein Regelfall dann nicht vor, wenn eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage im Drittstaat gegeben ist. Ausgeschlossen ist der Ausländer lediglich mit der Behauptung, in seinem Fall werde der Drittstaat - entgegen seiner sonstigen Praxis - Schutz verweigern.

Insoweit hat sich die verfassungskonforme Auslegung des § 34a AsylVfG auch nach in Kraft treten der Änderung des Asyl Verfahrensgesetzes durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien des Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl I, S.1970) nicht geändert. Der Gesetzgeber hat zwar die Prüfungskompetenz des Bundesamtes durch die Neufassung des § 27a AsylVfG erweitert und dem Eilrechtsschutz, der zuvor gegen auf §§ 29 Abs. 3 Satz 1, 35 Satz 2 AsylVfG(1992) gestützte Anordnungen zulässig war, seine Grundlage entzogen (vgl dazu: HessVGH, Beschluss vom 31.08.2006 9 UE 1464/06.A, dokumentiert in juris, VG Frankfurt a.M, Beschluss vom 01.08.2002 - 5 G 2082/02.A(3) -, AuAS 2002, S. 201). Dies enthebt das Gericht jedoch nicht von seiner Verpflichtung zur Prüfung, ob ein Ausnahmefall i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht beispielhaft Sonderfalle gebildet, deren gemeinsames Kennzeichen ist, dass bei ihrem Vorliegen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat unzulässig wäre (vgl, BVerfG, a.a.O., S. 99). Hierzu gehören etwa die drohende Todesstrafe im Drittstaat, sonstige Ausnahme Situationen, aber auch, dass der Drittstaat - etwa aus politischer Rücksichtsnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - sich des Flüchtlings ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen könnte.

Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zu Grunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) grundsätzlich sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II VO wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV).

Das erkennende Gericht hält die oben aufgeführten Sonderfälle - erstens - für nicht abschließend und -zweitens- grundsätzlich auch unter der Bedingung eines verfahrensrechtlich abgesicherten europäischen Asylrechts auf die vorliegende Sachlage übertragbar.

Nach dieser Maßgabe lässt sich vorliegend die der einstweiligen Anordnung zugrundeliegende Abwägung dahingehend fassen, dass deren Erlass dann notwendig ist, wenn dem Antragsteller nach der Abschiebung nach Schweden dort insbesondere ein die europäische Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326 S.13) verletzendes Verfahren droht. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass dies einen schweren Nachteil für den Antragsteller bedeuten würde, der zudem irreversibel sein dürfte. Die in diesem Fall feststellbare Verletzung europäischen Rechts dürfte als weiterer, von dem Bundesverfassungsgericht zur Zeit des Ergehens seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigungsfähiger Sonderfall hinzukommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind an die Darlegung eines Sonderfalles allerdings strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG, a.a.O., S. 100).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes stellt sich der Antrag als unbegründet dar.

Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller im Falle einer Rückführung nach Schweden dort tatsächlich eine Kettenabschiebung droht, ist nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden. Zwar hat der Antragsteller zu Recht auf die Vereinbarung Schwedens mit dem Irak über die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber hingewiesen, jedoch geht daraus allein nicht hervor, dass alle Iraker dorthin abgeschoben werden, erstrecht nicht asylverfahrensrechtlich ungeprüft. Schon gar nicht wird ersichtlich, dass alle Prüfungen gleichförmig zu Lasten der Antragsteller dort ausgehen. Das schwedische Asylsystem ist auch so ausgestaltet, dass es dem Antragsteller grundsätzlich möglich ist einen Folgeantrag zu stellen. Es wird auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland per se eine günstigere Entscheidung zu erwarten hätte. Auch die (Asyl-)Prüfung in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Einzelfallprüfung die vom individuellen Vorbringen des jeweiligen Antragstellers abhängt. Hieran ändert auch nichts, dass einige Gerichte hinsichtlich Yeziden im Irak eine Gruppenverfolgungssituaüon als gegeben erachten, wie auch nicht der BMI-Erlass hinsichtlich Yeziden vom 15. Mai 2007. Auch wenn vom jeweiligen Antragsteller die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vorgetragen wird, erfolgt eine individuelle Prüfung hinsichtlich Identität und Zugehörigkeit zu dieser Gruppe. Dass dies in Schweden anders, insbesondere schlechter, im Sinne einer menschenrechtswidrigen bzw. europäischen Rechts verletzenden Weise, erfolgt oder erfolgen könnte, wird in keiner Weise ersichtlich, noch durch Einzelfalle gestützt. [...]