[...]
Die als Verpflichtungsklage nach § 42 Absatz 1 Fall 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - statthafte Klage ist zulässig, aber nicht begründet. [...]
I. Die Klägerin hat mit Blick auf die geltend gemachten Abschiebungsverbote bereits keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. [...]
1. [...] Die Klägerin hat die im Zusammenhang mit der Frist nicht weiter zu hinterfragenden Aspekte der Kopfverletzung und der psychischen Erkrankung nicht rechtzeitig geltend gemacht. Nach § 51 Absatz 3 VwVfG muss der Antrag auf Durchführung eines Folgeverfahrens binnen drei Monaten ab dem Tag gestellt werden, an dem der Betreffende Kenntnis von dem Grund für das Wiederaufgreifen erlangt hat. Dabei obliegt es dem Asylbewerber darzulegen, inwiefern er diese Frist eingehalten hat (vgl. Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 3 (Stand: Dezember 2007), § 71, Rn. 223 ff.).
Wird der Vortrag der Klägerin als wahr unterstellt, wurde ihre Kopfverletzung sicher bis Dezember 2003 diagnostiziert. Damals wurde kernspintomographisch festgestellt, dass Metallsplitter in ihrem Hinterkopf verwachsen sind. Diesen Umstand hätte selbst bei Berücksichtigung einer weiteren Zeitspanne zur Bewertung dieser Erkenntnis nicht erst 34 Monate später mit dem Antrag vom 10. Oktober 2007 gegenüber dem Bundesamt geltend gemacht werden dürfen. Ebenso verhält es sich mit der psychischen Erkrankung. Bis zum 17. Juni 2003 wurde bei ihr eine schwere depressive Episode mit Somatierungsstörung diagnostiziert. Ab dem 14. Dezember 2004 war sie in kontinuierlicher ambulanter Behandlung wegen der vorgebrachten psychischen Probleme, die vom behandelnden Facharzt schon im April 2005 nach ICD klassifiziert wurden. Sie trägt in diesem Zusammenhang weder an sich, noch substantiiert vor, dass sie durch ihre psychischen Probleme daran gehindert gewesen sei, diese und ihre körperlichen Probleme gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen. Dagegen spricht im Übrigen, dass sie sich ihre körperlichen wie psychischen Probleme zunächst attestieren ließ, um sie gegenüber der Ausländerbehörde und dem Sozialamt vorzubringen. Erst später griff sie auf diese Atteste gegenüber dem Bundesamt zurück.
Soweit sich die Klägerin auf eine neue Sachlage im Sinne von § 51 Absatz 1 Nr. 1 VwVfG beruft, ist sie mit dem Vortrag zu ihren körperlichen und psychischen Problemen präkludiert. Nach § 51 Absatz 2 VwVfG wird der Betreffende mit seinem Wiederaufnahmegrund nur gehört, wenn er ohne grobes Verschulden außerstande war, diesen Grund in einem früheren Verfahren geltend zu machen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage jedoch vorgetragen, seit ihrer Kindheit an Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen zu leiden, welche in Beziehung zu ihrer Kopfverletzung gesetzt werden können. Ferner habe sie, nachdem sie zuvor einen Bombenangriff durchlitten und einen Schock davongetragen habe, im Libanon Beruhigungsmittel erhalten, welche auf eine Folgenprävention von auf sie einwirkenden sogenannten Triggerfaktoren hindeuten. Diese Behandlung kann in Beziehung zu ihren psychischen Problemen gesetzt werden (vgl. Internetenzyklopädie Wikipedia, Artikel "Trauma", abrufbar unter: de.wikipedia.org/wiki/Trauma_(Psychologie)
Wenn sie vorträgt, bis zur sicheren Diagnose nicht gewusst zu haben, dass ein Metallsplitter nach ihrer Operation im Libanon im Kopf zurückgeblieben ist, ist das nicht glaubhaft, da sie gleichzeitig in mündlicher Verhandlung vorgetragen hat, ihre Mutter habe ihr nach der Operation von einer teilweisen Entfernung der Splitter berichtet. Wenn sie bei gleicher Gelegenheit vorträgt, auch heute noch eine Operation abzulehnen, bevor sie den Rat weiterer Ärzte eingeholt hat, spricht dieser Umstand vor allem dafür, dass die Klägerin lediglich sicher gehen und mit der kernspintomographischen Untersuchung ein neues Beweismittel abwarten wollte. [...] Nicht anders verhält es sich mit den Symptomen ihrer psychischen Erkrankung. Diese Umstände hätte sie bereits in ihrem ersten Asylverfahren geltend machen können und müssen. [...]
Der Vortrag, sie habe nicht gewusst, ob die Geltendmachung ihrer gesundheitlichen Probleme für das Asylverfahren damals etwas bringe, greift gegen den Vorwurf groben Verschuldens im Sinne von § 51 Absatz 2 VwVfG nicht durch. Dieser qualifizierte Schuldvorwurf ist in der Regel immer schon dann zu erheben, wenn bereits eingetretene und bekannt gewordene Umstände, die das persönliche Umfeld und erst recht höchstpersönliche Umstände wie das psychische und körperliche Wohlbefinden betreffen, nicht gegenüber dem Bundesamt oder spätestens gegenüber dem Gericht vorgebracht werden. Es kann unterstellt werden, dass es sich als einfache Überlegung aufdrängt, gegenüber der Behörde und erst recht nach einem ersten Misserfolg gegenüber dem Gericht alle möglichen Gründe für den begehrten Schutz in Gestalt eines Verbleibs im Bundesgebiet vorzubringen, da anderenfalls ernstlich befürchtet werden muss, den erhofften Schutz nicht zu erhalten. Es widerspricht der sich aufdrängenden Sorgfalt, erst abzuwarten, ob der vermeintlich beste Grund zum Erfolg führt. Unabhängig von der Kenntnis der genauen Verfahrensabläufe besteht im Asylverfahren darüber hinaus die besondere Pflicht nach § 25 Absatz 2 AsylVfG, alle Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung entgegenstehen. Über diese Pflicht wird routinemäßig vom Bundesamt belehrt. Grobes Verschulden ist aber spätestens anzunehmen, wenn eine Klage zurückgenommen und damit der vermeintlich erste Zug zum begehrten Schutz aufgegeben wird (vgl. Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 3 (Stand: Dezember 2007), § 71, Rn. 204 und 219; und speziell zum Fall der Klagerücknahme: Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 19. Juni 1986 - 2 BvR 569/86 -, NVwZ 1987, 487).
Nach der Rücknahme der Klage 18a K 3394/94.A beim VG Gelsenkirchen kann die Klägerin grobes Verschulden nicht mehr widerlegen.
Ist die Klägerin mit dem zu beweisenden Tatsachenvortrag präkludiert, kann sie sich in diesem Zusammenhang auch nicht mehr auf neue Beweismittel im Sinne von § 51 Absatz 1 Nr. 2 VwVfG berufen, die sie infolge der medizinischen Untersuchungen ab 2003 erlangt habe. In den Anwendungsbereich des § 51 Absatz 1 Nr. 2 VwVfG fallen nur Beweismittel, die sich auf einen im ersten Verfahren entschiedenen oder geltend gemachten Tatsachenvortrag beziehen. Andernfalls liegt ein Unterfall des § 51 Absatz 1 Nr. 1 VwVfG vor. Dieses Verständnis entspricht dem Wortlaut, denn ohne Tatsachenvortrag hätte auch das neue Beweismittel damals keine günstigere Entscheidung herbeigeführt, sondern könnte ihn erst jetzt als qualifizierter Tatsachenvortrag herbeiführen (vgl. Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 3 (Stand: Dezember 2007), §71,Rn. 187, m.w.V.).
Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 51 Absatz 1 Nr. 3 VwVfG sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
2. Die Beklagte war und ist auch nicht nach § 51 Absatz 5 in Verbindung mit §§ 48 f. VwVfG zur Aufnahme eines Abänderungsverfahrens verpflichtet. [...]
Soweit der Klägerin ihr Vortrag aus der mündlichen Verhandlung zu glauben ist, dass sie seit einer Schwangerschaft Anfang des Jahrtausends mit der Zunahme der Probleme zu kämpfen habe, änderte dieser Umstand nichts. Sie trägt selbst vor, dass die Ärzte nur für den Fall die Notwendigkeit einer Operation sehen, dass die Schmerzen nicht besser würden. Demzufolge wäre ein operativer Eingriff nur schmerzindiziert. [...] Wenn die Klägerin jedoch in mündlicher Verhandlung gleichzeitig vorträgt, bei den zusätzlichen Problemen handele es sich auch um Ausfallerscheinungen auf ihrer rechten Körperhälfte sowie beim Sehen, braucht der Frage der Glaubhaftigkeit unabhängig von der mittlerweile verstrichenen Frist nach § 87 b Absatz 2 VwGO nicht weiter nachgegangen werden. Denn auf Nachfrage hat sie ferner vorgetragen, dass die Ärzte ihr seit der Ende 2003 abgeschlossenen Diagnose auch geraten hätten, die verbliebenen Metallsplitterreste entfernen zu lassen. Diesem ärztlichen Rat sei sie aber über Jahre nicht gefolgt, weil sie eine medizinisch nicht belegte Angst vor den Folgen einer Operation habe. Mit einem derartigen Verhalten hat sie selbst treuwidriges und sittenwidriges Verhalten an den Tag gelegt, nicht aber das Bundesamt, das die von den verbliebenen Metallsplittern ausgehende Gefahr vergleichbar gering gewichtet, wie sie es offensichtlich tut. Sie kann nicht eine ihr in Deutschland angebotene Operation über Jahre ablehnen und gleichzeitig treuwidrig den dadurch selbst perpetuierten Zustand gegenüber dem Bundesamt - und darüber hinaus m.E. sittenwidrig gegenüber dem Sozialamt im Rahmen der symptomkonzentrierten Krankenfürsorge - geltend machen. Es ist davon auszugehen, dass sie ohne ihre Verweigerungshaltung über die letzten Jahre hinweg heute ihre körperlichen Probleme für ein Abschiebungsverbot nicht mehr vorbringen könnte. Soweit sich aus dem Vortrag ferner ergibt, dass die Ärzte die Operation nur als sinnvoll anraten, aber nicht als notwendig beurteilen, muss auch das Bundesamt zu keiner anderen Bewertung der Gesundheitsrisiken als die Klägerin selbst kommen. Nicht zuletzt will ihr Verfahrensbevollmächtigter nach seinem Schlussvortrag in der mündlichen Verhandlung die Klage im Wesentlichen auf ihre psychischen und nicht die körperlichen Probleme stützen. Insoweit kann die sich aus dem Verfahrensgang ergebende Frage dahinstehen, ob die Klägerin nicht vielmehr die bloße Diagnose von Metallsplitterresten in ihrem Kopf und keine damit verbundene Gesundheitsverschlechterung zum Anlass genommen hat, ein Folgeverfahren anzustrengen.
Aus dem Vortrag zu den psychischen Problemen lässt sich auch nicht auf eine unmittelbar drohende extreme Gefahr im Falle der angedrohten Abschiebung schließen. Der durch mehrere Atteste gekennzeichnete, nicht einheitliche Vortrag zur Einordnung der Probleme lässt am meisten darauf schließen, dass ein posttraumatisches Belastungssyndrom mit ängstlichen und depressiven Phasen geltend gemacht wird (vgl. "International Classification of Diseases an related Health Problems; Version 10 (2006)" - kurz: ICD-10 - der Weltgesundheitsorganisation, insbesondere F 32.0 ff., F 33.0 ff., F. 41.0 ff. und F 43.0 ff., abrufbar in deutscher Übersetzung unter: www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlamtl2006/fr-icd.htm [...]
Nach den vorgelegten Attesten ist die Klägerin über den Schritt der allein medikamentösen Behandlung in den letzten Jahren nicht hinaus gekommen. Gleichwohl zeigt ihre Einstellung auf bestimmte Medikamente, dass zumindest ihre psychischen Probleme unabhängig vom konkreten Krankheitsbild medizinisch inzwischen im Griff sind. [...]
Etwas anderes ist auch bei einer Rückkehr in den Libanon nicht zu erwarten. Bei Traumapatienten kann beispielsweise leicht nachvollziehbar mit dem Ort des traumatischen Erlebnisses ein Triggererlebnis verbunden sein, dessen Qualität die von in Deutschland zu erwartenden Triggern deutlich übersteigt. Eine solche Konfrontation kann aber auf eine Abschiebung nicht zurückgeführt werden, da es der freien Ortswahl der Klägerin entspricht, innerhalb des Libanon die Nähe oder die Ferne zum Ort ihrer Traumatisierung zu suchen. Zudem verbrachte sie ihre gesamte Kindheit und weitere Jahre zwischen 1997 und 2001 im Libanon, ohne bestimmte Orte mit ihren Erinnerungen in Verbindung zu bringen. Vielmehr trägt sie vor, seit ihrer Kindheit mit Beruhigungsmitteln behandelt worden zu sein, was im Gesamtrahmen auf einen entsprechenden Erfolg schließen lässt. Ihre medizinische Betreuung in Deutschland sei davon begleitet - und folglich auch darauf eingestellt -, dass weiterhin schockierende Nachrichten aus dem Libanon auf sie einwirkten. [...]
Das Gericht brauchte auch der Beweisanregung nicht folgen, den Grad einer Gesundheitsverschlechterung und der geltend gemachten Suizidalität im Falle einer Abschiebung durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens näher nachzugehen. Die Möglichkeit einer gesteigerten Suizidalität steht unsubstantiiert im Raum. Dabei ergeben sich die Anforderungen an die Substantiierung aus der Pflicht der Beteiligten nach § 86 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken. [...]
II. Unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absätze 2 bis 7 AufenthG in der Person der Klägerin nicht vor. Insbesondere kann sie die Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 AufenthG mit der von ihr vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung oder aufgrund weiterer zielstaatsbezogener Hindernisse nicht mit Erfolg im Hinblick auf den Libanon geltend machen. [...]
Der Libanon gehört im Nahen Osten zu den am höchsten entwickelten arabischen Ländern auf dem medizinischen Gebiet. Viele Ärzte sind in Europa oder den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildet. Mit dem American University Hospital oder dem Hotel Dieu stehen zum Beispiel zwei international renommierte Kliniken in Beirut für die Behandlung auch schwieriger Krankheiten zur Verfügung (vgl. Lagebericht des auswärtigen Amtes vom 18. März 2008 (Stand: Februar 2008), S. 22.).
Insbesondere sind posttraumatische Belastungsstörungen, die nach jahrelangem Bürgerkrieg im Libanon alltäglich sind, behandelbar und im Rahmen der staatlichen Heilfürsorge auch erreichbar (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. Februar 2004 an das VG Berlin; Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut vom 26. Februar 2004 an das VG Braunschweig).
Mittellose libanesische Staatsbürger werden auf Antrag durch das libanesische Gesundheitsministerium an dessen Vertragskrankenhäuser und Vertragsärzte überwiesen, die dem hohen Standard des Landes im Medizinwesen entsprechen. Lediglich für eine stationäre Behandlung muss eine Eigenleistung in Höhe von 10 Prozent der Kosten übernommen werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2008, S. 22; Auskunft der deutschen Botschaft in Beirut vom 7. Oktober 2008 - RK 516.80 E ... - an das VG Arnsberg im Verfahren 4 K 954/07.A).
Die Klägerin ist Libanesin und kann deshalb die staatliche Heilfürsorge erreichen. [...]
Aufgrund der allgemeinen Versorgungslage im Libanon ist von Amts wegen ebenfalls kein Abschiebungsverbot festzustellen. Die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen werden gedeckt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2008, S. 22). [...]
Ebenso wie mit der Versorgungslage verhält es sich mit der allgemeinen Sicherheitslage im Libanon. Nachdem es im Frühjahr zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen gekommen war, hat sich die Lage infolge des Abkommens von Doha deutlich beruhigt (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe Nr. 118 vom 23. Mai 2008, S. 3; und Ausgabe Nr. 267 vom 14. November 2008, S. 5).
Aus der besonderen gesundheitlichen Konstellation der Klägerin ergibt sich in Anbetracht der zur Verfügung stehenden und wirksamen Medikamente nichts anderes. [...]