VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 07.11.2008 - 1 A 69/07 - asyl.net: M14916
https://www.asyl.net/rsdb/M14916
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, EMRK, Leben, Freiheit und Sicherheit, rechtliches Gehör, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Oppositionelle, SPI, Socialist Party of Iran, Überwachung im Aufnahmeland, exilpolitische Betätigung, Strafrecht, Strafverfahren, Mitglieder, Herausgeber, Chefredakteur, Zeitschrift, Vorstandsmitglieder
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 2; EMRK Art. 6; EMRK Art. 9; EMRK Art. 10; EMRK Art. 11
Auszüge:

[...]

Die Beklagte war zu verpflichten, in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Demgemäß war der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 2007 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten legt den gesetzlichen Schutz des Rechtes aller auf Leben, Freiheit und Sicherheit sowie auf gerichtliches Gehör fest (Artikel 2 bis 6 EMRK). Darüber hinaus sind in Abschnitt 1 I der Konvention weitere Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie etwa die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht der freien Meinungsäußerung sowie die Versammlungs- und Vereinsfreiheit normiert. Das Gericht ist der Überzeugung, dass im Falle des Klägers mit dem erforderlichen Maß an Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass er bei einer Rückführung in den Iran in der Ausübung dieser Menschenrechte und Grundfreiheiten in asylrechtlich relevantem Ausmaße gefährdet wäre. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Auch die Beklagte geht in dem angefochtenen Bescheid davon aus, dass die iranischen Behörden die politischen Aktivitäten ihrer Staatsangehörigen im Ausland intensiv und umfassend überwachen. Allerdings ist dabei festzustellen, dass die iranischen Behörden nur Interesse an der namentlichen Identifizierung einer Person haben, deren Aktivitäten über den Rahmen massentypischer und niedrig profilierter Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinausgehen. Das Gericht nimmt hierzu ausdrücklich Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid vom 12. Januar 2007. Das Gericht teilt jedoch nicht die Auffassung der Beklagten, die Aktivitäten des Klägers für die SPI gingen über eine einfache Mitgliedschaft nicht hinaus und der SPI komme innerhalb des iranischen exiloppositionellen Spektrums keinerlei Bedeutung zu. Zu dieser Frage hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht in einem Urteil vom 19. Juni 2008 (6 A 3/08) Folgendes ausgeführt:

"Hinzufügen ist allerdings, dass insbesondere die Organisation "Socialist Party of Iran" (SPI) von dem iranischen Regime als besonders gefährlich eingestuft wird. Dies ergibt sich aus der gutachterlichen Stellungnahme des Kompetenzzentrums Orient-Okzident Mainz der Johannis-Gutenberg-Universität Mainz vom 03. November 2006. Danach hängt die besondere Gefährdung von SPI- Mitgliedern damit zusammen, dass die SPI eine ausdrücklich marxistische Gruppe ist, die für einen versöhnungslosen bewaffneten Kampf gegen die islamische Republik Iran eintritt. Marxismus bedeute im Iran per Definition Gottlosigkeit. Entsprechend seien die Aktivitäten für die SPI nach dem iranischen Strafgesetzbuch strafbar (Art. 183 - Kampf gegen Gott und Verderben stiften auf Erden -, sowie Artikel 190 - die Hadd-Strafe für den Kampf gegen Gott und das Verderben stiften auf Erden -). Dabei sieht Art. 190 als Strafen vor: 1. Tötung, 2. Kreuzigung, 3. Amputation der rechten Hand und des linken Fußes sowie 4. Verbannung.

Die vorgenannten Strafbarkeiten gehen über das legitime Schutzbedürfnis eines Staates hinaus und treffen ganz wesentlich die politische und religiöse Gesinnung des einzelnen Bürgers. Eine entsprechende strafrechtliche Verfolgung ist somit gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG einschlägig."

Das Gericht ist hiervon ausgehend der Überzeugung, dass bereits die Mitgliedschaft des Klägers in der SPI wesentliche Anhaltspunkte dafür liefert, dass in einem solchen Falle bei einer Rückkehr in den Iran mit einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Betroffenen zu rechnen ist. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund des gegenwärtig im iranischen Parlament behandelten Gesetzgebungsverfahrens, das der Kodifizierung verschiedener Straftaten gegen die Religion bzw. gegen Gott dient. Wenn feststeht, dass der Kläger Mitglied der SPI ist - und dieser Umstand wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt -, dann ist es nicht auszuschließen, dass allein aus dieser Mitgliedschaft heraus dem Kläger Gottlosigkeit zu unterstellen ist, die nach iranischem Strafrecht bereits gegenwärtig mit schweren menschenrechtswidrigen Strafen bedroht ist. Allein dieser Umstand rechtfertigt damit die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Darüber hinaus ist das Gericht der Überzeugung, dass die Aktivitäten des Klägers für die SPI, die dieser im gerichtlichen Verfahren dargelegt und glaubhaft gemacht hat, über das hinausgehen, was zahlreiche im Ausland exilpolitisch aktive Iraner betreiben. Denn allein der Umstand, dass der Kläger als Herausgeber bzw. Chefredakteur einer regimefeindlichen Zeitschrift, die zudem im Ausland erscheint, in Erscheinung tritt, hebt ihn aus der Masse anderer Oppositioneller heraus. Es kommt hinzu, dass der Kläger nach seinen Angaben Vorsitzender der Sektion ... der SPI ist und damit eine Funktion ausübt, die über eine reine Mitgliedschaft in dieser Partei hinausgeht. [...]