Flüchtlingsanerkennung einer äthiopischen Staatsangehörigen wegen exilpolitischer Betätigung für die CUD.
Flüchtlingsanerkennung einer äthiopischen Staatsangehörigen wegen exilpolitischer Betätigung für die CUD.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die zulässige Klage ist begründet, da die Klägerin einen Anspruch auf die Feststellung hat, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf Äthiopien vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]
Denn der Klägerin droht wegen ihrer Nachfluchtaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung bei einer Rückkehr in ihr Heimatland. [...]
a) Mitgliedern der CUD droht bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung, wenn sie sich in der Bundesrepublik in exponierter Weise exilpolitisch betätigt haben.
Nach den Erkenntnissen des Gerichts stellt sich die Situation in Äthiopien wie folgt dar: Im Mai 2005 fanden in Äthiopien erstmals nach der Machtübernahme der EPRDF im Jahr 1991 demokratische Wahlen statt, die zumindest Mindestansprüchen demokratischer Wahlverfahren genügten, wobei es aber auch zu Einschüchterungen von Mitgliedern der Oppositionsparteien gekommen ist (Institut für Afrika-Kunde vom 29.6.2006). Im Juni und November 2005 ist es zu Massendemonstrationen gekommen, an denen hauptsächlich Mitglieder und Sympathisanten der CUDE, welche auch unter dem Kürzel CUD bekannt ist, beteiligt waren, die der Regierung Wahlfälschungen vorgeworfen haben. Nachdem Polizei und Militär gewaltsam in die Proteste eingegriffen hatten, wurden mindestens 80 Demonstranten erschossen, Tausende wurden verhaftet. Es waren wiederum hauptsächlich CUD-Mitglieder und Sympathisanten betroffen. Obwohl es sich bei der CUD um eine legale Partei handelt, die auch bei den Parlamentswahlen kandidiert hatte, sind ihre Mitglieder seit dem für die Regierungskoalition ungünstigen Wahlausgang in Äthiopien Verfolgungen und Verhaftungen unterworfen. Dies betrifft nicht nur die prominente Führungsspitze, sondern auch einfache Mitglieder der Partei. Das gleiche gilt für Journalisten der freien Presse, die seit dem Zeitraum nach den Wahlen wieder zunehmenden Restriktionen unterliegen (Institut für Afrika-Kunde vom 29.6.2006; vgl. auch BayVGH vom 25.2.2008 Az. 21 B 07.30363).
Das politische Verhalten äthiopischer Parteien folgt oft nicht nach westlichem Verständnis rationalen Verhaltensweisen. Vielmehr ist es von der spezifischen politischen Kultur der Regierung und den gewaltsamen Auseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahre geprägt, wobei ein marxistisch-stalinistisches Politikverständnis und das Prinzip der Geheimhaltung und des klandestinen Agierens nach wie vor von großer Bedeutung ist, auch was die Regierungspartei TPLF/EPRDF betrifft (vgl. auch BayVGH vom 25.2.2008 a.a.O.).
Es ist weiter davon auszugehen, dass die Regierung die Aktivitäten äthiopischer Staatsangehöriger auch im Ausland überwacht. Die Beobachtung exilpolitischen Verhaltens äthiopischer Staatsangehöriger ist ein erklärtes Anliegen des äthiopischen Staates (vgl. die äthiopische "Richtlinie zum Aufbau einer Wählerschaft" für das Haushaltsjahr 1998, gerichtet an die Botschaften, Konsulatgenerale und ständigen Vertretungen der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien im Ausland; dazu Institut für Afrikakunde vom 29.6.2006; vgl. auch BayVGH vom 25.2.2008 a.a.O.). Daher ist damit zu rechnen, dass besonders Personen, die an exponierter Stelle für die Opposition eintreten, bekannt sein dürften.
Aufgrund dieser Erkenntnisse geht auch die Kammer davon aus, dass Personen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland exponiert exilpolitisch betätigt haben, bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßen zu rechnen haben (ebenso BayVGH vom 25.2.2008 a.a.O.).
b) Die Klägerin ist für die CUD in exponierter Weise exilpolitisch in Erscheinung getreten.
In seinem Beschluss vom 25. Februar 2008 (21 B 07.30363) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für das Vorliegen einer exponierten exilpolitischen Tätigkeit genügen lassen, dass die Klägerin im dortigen Verfahren als Sekretärin einer exilpoiitischen Ortsgruppe an Veranstaltungen und Demonstrationen der Organisation teilgenommen und regierungskritische Gedichte unter Angabe ihres Namens in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht hatte. Solange solcherlei Aktivitäten die betreffende Person aus dem Kreis der exilpolitisch tätigen Äthiopier erkennbar hervorheben, schließt sich die Kammer dieser Maßstabsbildung an.
Die so umrissenen Kriterien erfüllt auch die Klägerin. Sie ist Mitglied bei der CUD, nimmt regelmäßig an Veranstaltungen und Demonstrationen exilpolitischer Gruppierungen in der Bundesrepublik teil und veröffentlicht regimekritische Artikel in einer Zeitschrift und im Internet. Dies hat sie in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und unter Vorlage von Zeitungsberichten und Fotos dargelegt. Obwohl die Klägerin keine spezielle Funktion in der Organisation innehat, hebt sie sich nach außen hin zumindest vom Kreis der bloßen Mitläufer in gewisser Weise ab. Hinzu kommt im Falle der Klägerin, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie aufgrund eines Teiles ihrer Veröffentlichungen von den äthiopischen Behörden in Verbindung zur Ethiopian National Unity Front (ENUF) gebracht wird, einer Vereinigung, die von offizieller äthiopischer Seite als terroristisch eingestuft wird (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2007, S. 11). [...]