VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 13.11.2008 - 6 K 930/07.A - asyl.net: M14921
https://www.asyl.net/rsdb/M14921
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für oppositionellen Journalisten aus Aserbaidschan.

 

Schlagwörter: Aserbaidschan, Oppositionelle, Journalisten, MIP, Strafverfahren, Strafurteil, Urkunden, Fälschung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für oppositionellen Journalisten aus Aserbaidschan.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. [...] Die Kläger haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, jeweils in der Fassung des am 28. August 2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970). [...]

Der Kläger zu 1. ist seit 1993 Mitglied der MIP, seit 1995 in verantwortlichen Positionen. Wegen seiner politischen Tätigkeit hat er mehrfach seinen Arbeitsplatz verloren. Seit dem Jahre 2000 war er als Journalist bei der Zeitung ... tätig, für die er auch politische Beiträge geschrieben hat. Im 2000 wurde er verhaftet, als er über eine Demonstration von Mitgliedern der MIP berichten wollte. Das Gericht des Bezirks ... der Stadt ... verurteilte ihn wegen Störung der öffentlichen Ordnung in seiner Sitzung vom 2000 zu einer Geldstrafe in Höhe von 2.750.000,- Manat. Mit Beschluss vom ... 2000 lehnte das Appellationsgericht der Republik Aserbaidschan das vom Kläger zu 1. eingelegte Rechtsmittel ab. In der Folgezeit war der Kläger zu 1. im Visier der Sicherheitskräfte. Nachdem er im ... 2001 über eine Demonstration von Karabach-Invaliden berichtet hatte, wurde er erneut zur Polizeiwache mitgenommen und - unter Hinweis auf seine vorangegangene Verurteilung - mehrfach verhört. Weiteren Vernehmungen entzog er sich, indem er mit seiner Familie am ... 2001 Aserbaidschan verließ.

Der vorstehende Sachverhalt ergibt sich für die Kammer in erster Linie aus dem überzeugenden Vortrag des Klägers zu 1. im gesamten Verfahren. Auf eine Echtheitskontrolle der von den Klägern vorgelegten Dokumente hat die Kammer verzichtet, da eine solche unergiebig gewesen wäre. In Aserbaidschan sind auch echte Dokumente unwahren Inhalts einfach zu beschaffen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 17. Juni 2008 (Stand: Mai 2008)).

Die Kammer wertet den von ihr festgestellten Sachverhalt wie folgt: Die Behandlung, der der Kläger zu 1. in Aserbaidschan ausgesetzt war, erfüllt den Tatbestand der politischen Verfolgung. Seine Verhaftung und Verurteilung im Jahre 2000 war in erster Linie darauf zurückzuführen, dass er sich in einer für die Staatsmacht missliebigen Weise journalistisch betätigt hatte. Er sollte für die Kundgabe seiner politischen Überzeugung abgestraft werden. Damit machte sich seine Behandlung an einem asylerheblichen Merkmal fest. Ob die Verhaftung und Verurteilung im Jahre 2000 für sich genommen bereits asylerhebliche Intensität aufwies, kann dahinstehen. Man könnte hiergegen mit dem Bundesamt einwenden, dass der Kläger zu 1. "nur" zu einer Geldstrafe verurteilt und diese am Ende nicht einmal eingetrieben worden war. Bei der Verhaftung und Verurteilung handelte sich aber jedenfalls um einen "Warnschuss". Der Kläger zu 1. musste befürchten, bei einer Fortführung seiner regimekritischen journalistischen Tätigkeit weitergehenden staatlichen Maßnahmen ausgesetzt zu werden (vgl. zur Gefährdung oppositioneller Journalisten in den Jahren 2000 und 2001: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Aserbaidschan vom 11. Mai 2001). [...]

Der Kläger zu 1. ist nach alledem vorverfolgt ausgereist. Es ist aus heutiger Sicht nicht anzunehmen, dass er bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre. Es mag zwar sein, dass - wie das Bundesamt vorträgt - die Partei MIP inzwischen an Einfluss verloren hat und nicht mehr mit der gleichen Intensität wie früher von der aserbaidschanischen Regierung beobachtet wird. Entscheidend für die politische Verfolgung des Klägers zu 1. war indes nicht in erster Linie seine Mitgliedschaft und sein Engagement in der MIP, sondern - wie bereits ausgeführt - seine journalistische Betätigung. Oppositionelle journalistische Betätigung kann auch heute noch in Aserbaidschan politische Verfolgung auslösen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 17. Juni 2008 (Stand: Mai 2008)). [...]