Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen wegen Übertritts zu den Zeugen Jehovas.
Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen wegen Übertritts zu den Zeugen Jehovas.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Im Übrigen erweist sich die Klage als zulässig und sie ist begründet, soweit der Kläger die Feststellung des Abschiebungshindernisses des § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt. [...]
Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass der Kläger den Iran nicht als politisch oder religiös Verfolgter verlassen hat, steht zur Überzeugung des Gerichts jedoch fest, dass er sich schon im Iran von dem moslemischen Glauben abgewandt hat und dort erste Kontakte geknüpft hat, die schließlich zu seinem Religionswechsel geführt haben. Insoweit ergeben zum einen die Angaben des Klägers sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung, zum anderen aber auch die in sich schlüssigen vollziehbaren Angaben seines Bruders ein Bild, das die Abkehr des Klägers vom Islam als schlüssig und folgerichtig erscheinen lässt.
Dies wird auch bestätigt durch die Angaben des Klägers zu seinen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. [...] Unabhängig von der Frage, ob der Kläger tatsächlich schon im Iran getauft worden ist oder ob er - erstmals - in der Bundesrepublik Deutschland getauftes Mitglied der Zeugen Jehovas wird, steht jedenfalls zur Überzeugung des erkennenden Gerichts fest, dass der Kläger für sich die Entscheidung getroffen hat, den islamischen Glauben aufzugeben und einen neuen, nämlich die Überzeugungen der Zeugen Jehovas, anzunehmen und nach diesem neuen Glauben auch zu leben. Dies führt dann dazu, dass dem Kläger eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten ist und ihm daher Abschiebungsschutz zu gewähren ist, weil dieser Glaubenswechsel auf einer ernsthaften religiösen Gewissensentscheidung beruht und der Kläger sich in seiner Glaubensgemeinschaft in einer Weise betätigt, die ihn bei einer Rückkehr in den Iran einer Verfolgung aus religiösen Gründen aussetzen würde.
Insoweit entspricht es der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 05.09.2001 - 6 A 3293/01.A -, vom 13.02.2002 - 5 A 4412/01.A -, vom 13.05.2004 - 5 A 1833/04.A -, vom 01.06.2005 - 5 A 1737/05.A - und vom 02.12.2005 - 5 A 4684/05.A -; OVG Hamburg, Urteil vom 29.08 2003 - 1 Bf 11/98.A -, Sächsisches OVG, Urteil vom 04.05.2005 - A 2 B 524/04 -, veröffentlicht in juris), dass moslemische Apostaten, die in Deutschland zum christlichen Glauben übergetreten sind und ihren Glauben hier betätigen, im Iran nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sind, wenn sie in Deutschland Aktivitäten ausweisen, die über regelmäßige Gottesdienstbesuche oder Gespräche mit gleichgesinnten hinausgehen. Insoweit wird unter anderem verlangt, dass missionarische Tätigkeiten nach außen erkennbar sind und zum Beispiel über eine bloße Tätigkeit innerhalb der jeweiligen Glaubensgemeinde hinausgehen.
Bei Beachtung dieser obergerichtlichen Rechtsprechung zeigt sich hier, dass ausreichende Gründe dafür vorliegen, dass dem Kläger eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten ist Im Tatsächlichen ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger schon im Iran Kontakt zu Glaubensbrüdern gesucht und gefunden hat und dass er auch in der Bundesrepublik Deutschland sich nicht auf eine Tätigkeit innerhalb der Gruppe der Zeugen Jehovas an seinem Wohnort bzw. in ... beschränkt, sondern dass er - wie nachgewiesen ist - an überregionalen Treffen teilgenommen hat. Er hat darüber hinaus auch versucht, nach seinen Möglichkeiten Landsleute über die Zeugen Jehovas zu informieren, um auch diese zu einem Glaubenswechsel zu veranlassen. Dass hier von dem Kläger angesichts der nur eingeschränkt möglichen Freizügigkeit und der knappen finanziellen Verhältnisse nicht mehr verlangt werden kann, steht zur Überzeugung des Gerichts fest.
Auch ist davon auszugehen, dass dann, wenn der Kläger auch im Iran seine Glaubensgrundsätze beachten wird, ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrechtlich relevante Verfolgung aus religiösen Gründen droht. Zwar führt insoweit der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008 unter anderem aus, dass die Zeugen Jehovas über weniger als 1.000 Anhänger im Iran verfügen und dort nichtöffentlich auftreten. Auch Informationen über staatliche Repressionen gegen diese Gruppe liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Darüber hinaus ist aber auch zu berücksichtigen, dass der genannte Lagebericht auch ausführt, dass Mitglieder der religiösen Minderheiten, denen zum Christentum konvertierte Muslime angehören, staatlichen Repressionen ausgesetzt sein können. Selbst nichtmissionierende, zum Christentum konvertierte Iraner werden wirtschaftlich wie zum Beispiel bei der Arbeitssuche oder gesellschaftlich bis hin zur Ausgrenzung benachteiligt. Bei dieser Sachlage, die auch bestätigt wird durch die der Kammer vorliegenden Presseberichte aus jüngster Zeit, besteht für den Kläger die konkrete und beachtliche Gefahr, nach einer Rückkehr im Iran dort zunächst als Angehöriger der Zeugen Jehovas bekannt zu werden - falls er dies nicht schon vorher war - und dann wegen seines Glaubenswechsels vom Islam zu den Zeugen Jehovas über ein noch zumutbares Maß hinaus benachteiligt zu werden. Insoweit mag auch auf die Stellungnahme von amnesty international vom 07.07.2008 an das VG Mainz verwiesen werden, in der unter anderem ausgeführt wird, dass seit dem Amtsantritt von Präsident Ahmadinejad generell eine verschärfte Verfolgung und Unterdrückung abweichender Meinungen festzustellen ist und dass nunmehr erstmals eine ausdrückliche Bestimmung in das Strafrecht eingefügt werden soll, nach der der Abfall vom Islam als eine Straftat gesehen wird, die zwingend mit der Todesstrafe zu ahnden ist. Zwar liegen speziell für die Gruppe der Zeugen Jehovas keine einzelnen Erkenntnisse vor, aus den ihr vorliegenden Informationen entnimmt die Kammer jedoch, dass jedenfalls Personen wie der Kläger, die sich vom Islam abgewandt haben, die in einer anderen Glaubensrichtung unterwiesen worden sind und die - entsprechend ihrem Glaubensauftrag - Werbung für den neuen Glauben machen, im Iran auch dann einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sein werden, wenn sie ihre diesbezüglichen Aktivitäten bereits in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben. Insoweit entspricht es auch allen vorliegenden Informationen, dass zumindest politische Oppositionsgruppen, die im Ausland tätig sind, von den iranischen Stellen genau beobachtet werden. Insbesondere dann, wenn sich Personen wie der Kläger vorrangig um iranische Staatsangehörige in Deutschland kümmern, spricht von daher alles dafür, dass seine Aktivitäten für die Zeugen Jehovas auch iranischen Stellen nicht unbekannt geblieben sind bzw. bleiben werden. [...]