VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 17.11.2008 - 7 K 1117/07.A - asyl.net: M14927
https://www.asyl.net/rsdb/M14927
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Frauen, Frauenrechtlerin, Journalisten, Regimegegner, Veröffentlichung, Verhaftung, Inhaftierung, Ausreise, legale Ausreise, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -. Das bedeutet, dass auch das Abschiebungshindernis des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt. [...]

Die Klägerin hat dem Gericht durch ihre Ausführungen in der mündlichen Verhandlung glaubhaft machen können, dass ihre Angaben über ihr Schicksal im Iran zutreffen. Sie hat glaubhaft vorgetragen, dass sie bereits in ihrer kurzen Tätigkeit als Journalistin vor ihrer Ausreise aus dem Iran den iranischen Sicherheitsbehörden auffällig geworden ist. Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie bereits im Jahre 2006 ein regimekritisches Interview mit einer Studentin der Uni in ... geführt hat. Dieses Interview wurde in der Zeitschrift ... veröffentlicht. Am ... 2006 kam es dann zu einer Verhaftung der Klägerin, bei der auch der Computer der Klägerin und weitere Unterlagen beschlagnahmt wurden. Darunter befanden sich auch Unterlagen über Recherchen betreffend einen Informanten der iranischen Sicherheitsbehörden, der in England lebt und Erkenntnisse über dort lebende Iraner weitergibt.

Die Klägerin hat des Weiteren glaubhaft gemacht, dass sie danach zunächst von ihrer Zeitung entlassen worden ist, und man sie, nachdem es ihr gelungen war, die Tätigkeit wiederaufzunehmen, erneut zur Polizeistation vorgeladen hat. [...]

Diese Angaben der Klägerin und die Tatsache, dass sie letztlich - wenn auch mit Schwierigkeiten vor der Ausreise - den Iran legal verlassen durfte, spricht dafür, dass zur Zeit der Ausreise jedenfalls eine Verfolgungsgefahr durch den iranischen Staat nicht mehr aktuell bestand, wie auch das Bundesamt im ablehnenden Bescheid zutreffend ausgeführt hat. Auf das anderen Seite hat das Gericht aufgrund des Gesamteindrucks der Klägerin letztlich keine Bedenken, dass ihre Angabe, man habe sie vor ihrer Ausreise unterschreiben lassen, dass sie sich außerhalb des Landes nicht journalistisch betätige, zutrifft. Angesichts der glaubhaft gemachten Vorgeschichte erscheint es nicht als sinnlos, der Klägerin gewissermaßen eine Warnung mit auf den Weg zu geben.

Selbst wenn man nach alledem mit dem Bundesamt davon ausgeht, dass zur Zeit der Ausreise aus dem Iran für die Klägerin keine Verfolgungsgefahr bestand, steht dies einer Anerkennung als Asylberechtigte hier nicht entgegen. Denn der Klägerin droht aufgrund asylerheblicher Nachfluchtgründe politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Die Klägerin hat dazu nachgewiesen, dass sie hier in der Bundesrepublik in der Zeitschrift ... einen Artikel unter der Überschrift ... veröffentlicht hat, der unter ihrem Namen und mit ihrem Foto erschienen ist. Damit ist das Engagement der Klägerin für eine Verbesserung der Situation der Frauen im Iran in einer Weise öffentlich geworden, die geeignet ist, besonderes Aufsehen hervorzurufen. Durch dieses Engagement ist sie aus der Masse oppositioneller Iraner erkennbar herausgetreten und erscheint als ernsthafte und gefährliche Regimegegnerin. Das Gericht hat dabei nach dem Eindruck der Klägerin auch keinen Anlass anzunehmen, dass es sich lediglich um eine vorgeschobene Betätigung handelt, die ihrem Asylantrag nach Ablehnung durch das Bundesamt noch zum Erfolg verhelfen sollte. Vielmehr ist das Engagement der Klägerin in der Bundesrepublik Ausdruck ihrer bereits im Iran begonnenen glaubhaft gemachten Einstellung gegen das iranische Regime und setzt ihre bereits im Heimatland zum Ausdruck gebrachten Überzeugungen konsequent fort.

Demgemäß steht auch § 28 Abs. 1 AsylVfG einer Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte nicht entgegen.

Das Gericht geht auch davon aus, dass die journalistische Tätigkeit der Klägerin den iranischen Stellen bekannt ist. Nach den vorliegenden Erkenntnissen insbesondere den Lageberichten des Auswärtigen Amtes treiben iranische Stellen einen erheblichen Aufwand, um die Aktivitäten oppositioneller Gruppen zu erfassen. Es findet daher eine intensive Überwachung statt (so Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008).

Nach dem Inhalt der vorliegenden Auskünfte ist insgesamt davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr von den iranischen Stellen als ernstzunehmende Regimegegnerin eingestuft werden wird. Insbesondere ergibt sich aus den Auskünften des Kompetenzzentrums Orient-Okzident, Mainz, dass die iranischen Behörden im Moment schärfer gegenüber rückkehrenden Frau agieren als gegenüber Männern. Seit dem 19.05.2006 existiere ein vom iranischen Präsidenten Ahmandinejad eingerichteter "höchster Rat der Kulturrevolution für Sitte und Bekleidung", der die individuelle Lebensführung auch im Exil überprüfe (so Auskunft vom 30.10.2006 an das VG Wiesbaden, vom 17.11.2006 an das VG Hamburg und vom 22.11.2006 an das VG Wiesbaden).

Auch aus dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2008 ergibt sich insoweit, dass im Zuge verschiedener Kundgebungen zum Internationalen Frauentag Journalistinnen und Frauenrechtsaktivistinnen verhaftet und vom Teheraner Revolutionsgericht wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind. Laut Meldung der Agentur ISNA habe Informationsminister Gholam Hossein Ejeie am 10. April 2007 öffentlich die Frauen- und Studentenbewegung als Teil dieser Auslandsverschwörung bezeichnet. Es bestehe derzeit die Tendenz jegliche Tätigkeit für die Zivilgesellschaft zu kriminalisieren; allein der Kontakt mit dem Ausland könne im Einzelfall zu Repressionen führen. [...]