VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 03.12.2008 - unbekannt - asyl.net: M14935
https://www.asyl.net/rsdb/M14935
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung von iranischen Staatsangehörigen nach Konversion zum Christentum; keine Möglichkeit der Teilnahme an Gottesdiensten oder der Missionierung im Iran.

 

Schlagwörter: Iran, Konversion, Apostasie, Christen, religiös motivierte Verfolgung, Religion, religiöses Existenzminimum, Anerkennungsrichtlinie, Gottesdienstbesuch, Missionierung, Todesstrafe, Menschenrechtslage, Ahmadinedschad, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung von iranischen Staatsangehörigen nach Konversion zum Christentum; keine Möglichkeit der Teilnahme an Gottesdiensten oder der Missionierung im Iran.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

a) Das Gericht legt dieser Einschätzung folgende Maßstäbe zugrunde:

Die Regelungen des § 60 Abs. 1 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: Richtlinie) und sind daher in deren Lichte auszulegen. Eine Bedrohung an Leben oder Freiheit wegen der Religion gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist gegeben, wenn anknüpfend an den Verfolgungsgrund der Religion (aa) Verfolgungshandlungen drohen (bb).

aa) Die Religion als Verfolgungsgrund umfasst gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. a der Richtlinie insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die vor Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie ergangene Rechtsprechung, nach der es bereits auf der Ebene des Verfolgungsgrundes nur auf die Religionsausübung im Privaten, also abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen im sog. "forum internum" als religiösem Existenzminimum ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.01.2004, 1 C 9.03, InfAuslR 2004, 319; OVG Hamburg, Urteil vom 24.03.2006, 1 Bf 15/98.A, juris), kann angesichts dieser Begriffsbestimmung durch die Richtlinie nicht fortgeführt werden (vgl. OVG Bautzen, Urteil vom 03.04.2008, A 2 B 36/06, juris; OVG Saarlouis, Urteil vom 26.06.2007, 1 A 222/07, juris; VGH München, Urteil vom 23.10.2007, 14 B 06.30315, juris; VGH Mannheim, Urteil vom 21.06.2006, A 2 S 571/05, AuAS 2006, 175; VG Hamburg, Urteile vom 17.04.2008, 10 A 1616/04 und 10 A 426/07; Urteil vom 17.07.2007, 10 A 918/05; Urteil vom 10.07.2007, 10 A 371/05; Urteil vom 31.05.2007, 10 A 958/04, juris m.w.N.).

Für den Iran liegen allerdings keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass ein im Zufluchtsland nur formal vollzogener Glaubensübertritt zum Christentum allein für sich im islamischen Heimatland des schutzsuchenden Ausländers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit selbst dann zu erheblichen Verfolgungsmaßnahmen führt, wenn er dort seine christliche Glaubenszugehörigkeit verheimlichen, verleugnen oder aufgeben würde. Die vorzunehmende Prognose, ob der Ausländer nach Rückkehr in sein Heimatland anknüpfend an die Religion Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist, setzt mithin zunächst eine Prognose des vom Ausländer entsprechend seiner Religion im Heimatland zu erwartenden Verhaltens voraus.

Dabei bietet nur eine dauerhafte und ernsthafte religiöse Überzeugung eine tragfähige Grundlage dafür, ein religionsbezogenes (etwaig Verfolgungsmaßnahmen auslösendes) Verhalten des Ausländers vorherzusagen. Denn es ist nicht zu erwarten, dass der Ausländer nach Rückkehr in sein Heimatland einer Religion entsprechend lebt, die er in seinem Zufluchtsland nur vorgeblich, oberflächlich oder aus asyltaktischen Gründen angenommen hat. Mithin bedarf es bei einer geltend gemachten religiösen Verfolgungsgefährdung wegen eines in Deutschland vorgenommenen Glaubenswechsels vom Islam zum Christentum grundsätzlich einer gerichtlichen Prüfung der inneren, religiös-persönlichkeitsprägenden Beweggründe. Nur wenn - allerdings unter Beachtung der Grenzen richterlicher Erkenntnismöglichkeiten - verlässlich festgestellt werden kann, dass eine Konversion auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung, auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung, und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, kann davon ausgegangen werden, dass ein Verschweigen, Verleugnen oder die Aufgabe der neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung staatlicher oder nicht-staatlicher Repressionen im Heimatland den Betroffenen grundsätzlich und in aller Regel unter Verletzung seiner Menschenwürde existenziell und in seiner sittlichen Person treffen und ihn in eine ausweglose Lage bringen würde und ihm deshalb nicht zugemutet werden kann (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 26.07.2007, 8 UE 3140/05.A, juris, m.w.N., OVG Saarlouis, Urteil vom 26.06.2007, 1 A 222/07, juris; vgl. auch OVG Bautzen, Urteil vom 03.04.2008, A 2 B 36/06, juris; VG Hamburg, Urteile vom 17.04.2008, 10 A 1616/04 und 10 A 426/07). [...]

b) Nach diesen Maßstäben sind Leben oder Freiheit der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2) wegen ihrer Religion bedroht. Ihnen drohen anknüpfend an die Religion (aa) Verfolgungshandlungen (bb).

aa) Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der von der Klägerin zu 1) und von dem Kläger zu 2) geltend gemachte Glaubenswechsel vom Islam zum Christentum ernsthaft und dauerhaft ist. [...]

bb) Die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) müssen bei Rückkehr in ihr Heimatland wegen ihrer Religion mit Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie rechnen. Das Gericht geht davon aus, dass sie im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Ausgrenzung, eine Inhaftierung oder anderweitige erhebliche Repressalien zu befürchten haben, wenn sie dort ihren christlichen Glauben nach außen erkennbar praktizieren würden, insbesondere durch eine regelmäßige Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten, oder wenn sie weiterhin missionarische Aktivitäten entfalten. Ihnen drohen Verfolgungshandlungen, die ihrer Art und Wiederholung nach so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder einer solchen Verletzung vergleichbar sind. Insbesondere drohen erhebliche Verletzungen des Rechts auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 EMRK, die menschenrechtlich nicht gerechtfertigt werden können, da sie dem Verbot einer Diskriminierung nach der Religion gemäß Art. 14 EMRK widersprechen (vgl. z.B. zur Einschätzung der Verfolgungsgefahr für Konvertiten z.B. bereits VG Hamburg, Urteile vom 17.04.2008, 10 A 1616/04 und 10 A 426/07; Urteil vom 17.07.2007, 10 A 918/05; Urteil vom 31.05.2007, 10 A 958/04):

(1) Im Iran sind Konvertiten nach der religiös-rechtlichen Tradition von der "islamischen Staatsgemeinde" und dem "islamischen Staatsvolk" abgefallen und haben sich deshalb des Hochverrates strafbar gemacht, der in der Regel mit der Todesstrafe bedroht ist (OVG Hamburg, Urteil vom 22.02.2002, 1 Bf 486/98.A; Stellungnahme von amnesty international vom 02.02.1999; Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 26.04.2000 sowie des Deutschen Orient-Instituts vom 06.12.2004). [...] Praktisch werden Verstöße gegen das religiöse Recht bislang entweder über Vorschriften, die Tätigkeiten in verbotenen Gruppen betreffen, oder über eine Verletzung des islamischen ordre public behandelt, was sehr von den individuellen Aktivitäten und der Intensität der Betätigung im Rahmen solcher Gottesdienste abhängt (Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 06.12.2004). Im Iran wurde inzwischen eine Strafrechtsreform auf den Weg gebracht, nach der unter anderem der Abfall vom Islam zwingend mit der Todesstrafe zu bestrafen ist (zu Einzelheiten z.B. BAMF, Informationszentrum Asyl und Migration: Iran, September 2008, S. 21 f.). Über den Stand des Gesetzgebungsverfahrens gibt es unterschiedliche Angaben; so wird teilweise berichtet, der Gesetzentwurf sei am 09.09.2008 vom iranischen Parlament mit überwältigender Mehrheit bereits gebilligt worden (siehe FAZ vom 02.10.2008, Bd. 13 des Presseordners) während teilweise auch berichtet wird, der Gesetzentwurf sei zunächst an einen Ausschuss verwiesen worden und solle später erneut im Parlament beraten werden (vgl. den Artikel des Katholischen Nachrichtendienstes vom 21.09.2008 auf der Internetseite www.kath.net; vgl. auch Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 28.09.2008: "Zum Gesetz wird die Verschärfung erst, wenn der religiöse Wächterrat und das Parlament in zweiter Lesung zustimmen."). Jedenfalls ist das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen, denn zu einem Inkrafttreten ist zudem die Zustimmung des Wächterrates erforderlich, bei Uneinigkeit zwischen Parlament und Wächterrat noch die Anrufung des Schlichtungsrates (vgl. zum Gesetzgebungsverfahren im Iran z.B. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008, S. 7), die nach den Erkenntnissen des Gerichts noch nicht vorliegen.

(2) Weiter geht das Gericht nach Auswertung der verschiedenen Auskünfte davon aus, dass es aktuell für die Klägerin zu 1) und für den Kläger zu 2) als zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime entgegen ihrer bisher hier praktizierten Religionsausübung im Iran nicht möglich ist, an offiziellen christlichen Gottesdiensten teilnehmen zu können, ohne sich der Gefahr asylrelevanter Repressalien auszusetzen. Dies folgt aus einer Betrachtung der Situation der (nicht auf ethnische Minderheiten beschränkten) christlichen (Frei-)Kirchen im Iran und insbesondere der Situation der Konvertiten, wie sie sich in neuerer Zeit darstellt. Offen bleiben kann dabei, ob insoweit in jüngster Zeit auch eine Verschärfung der Lage eingetreten ist, als eine asylrechtlich beachtliche Gefährdung bereits aus der Religionsausübung im privaten Bereich folgt und nicht einmal mehr das religiöse Existenzminimum im Sinne früherer Rechtsprechung gewahrt ist (so VG Stuttgart, Urteil vom 30.06.2008, A 11 K 1623/08, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 20.02.2007, 22 K 3453/05.A, juris).

Zum Christentum konvertierten Muslimen ist die Teilnahme an christlichen Gottesdiensten nicht erlaubt (Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 15.12.2004 und des Deutschen Orient-Instituts vom 06.12.2004). Dies führt dazu, dass die Teilnahme von "Apostaten" an Gottesdiensten der alteingesessenen, ethnisch geprägten, christlichen Glaubensgemeinschaften, wie den armenischen, assyrischen und chaldäischen Christen, im Iran auf jeden Fall ausgeschlossen ist. [...] Die Situation der missionierenden freikirchlichen Gemeinden, zu denen die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) als "Apostaten" allein Zugang haben würden, stellt sich hingegen anders dar. Die Situation der Kirchen hängt dabei von der Aggressivität ihrer Missionsbestrebungen ab, wobei die "Assembly of God" eine Freikirche ist, deren Mitglieder im Iran offen und aggressiv missionieren. Soweit die Kirchen Muslime akzeptieren oder sogar taufen, sind alle gleich gefährdet, die getauften oder Konvertiten ebenso. Den missionierenden Kirchen wird zudem unterstellt, dass es sich bei ihnen nicht um religiöse Gruppen, sondern um politische Organisationen handelt (vgl. zum Vorstehenden: Auskünfte des Deutschen Orient-Instituts vom 06.12.2004 sowie des Auswärtigen Amtes vom 15.12.2004).

Ob danach im Iran für Konvertiten der Besuch öffentlicher Gottesdienste bzw. eine Bekundung des christlichen Glaubens in sonstiger Weise in der Öffentlichkeit möglich ist, wird uneinheitlich beantwortet. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.12.2004 sei - zum damaligen Zeitpunkt - seit mehr als vier Jahren weder in den Medien noch durch kirchliche Würdenträger von Aktivitäten berichtet worden, die dazu geführt hätten, dass "Apostaten" am Betreten der Kirchen anlässlich von Gottesdiensten gehindert wurden (so auch noch Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.06.2005). Die Teilnahme von "Apostaten" an solchen Gottesdiensten sei damit nicht ausgeschlossen. Nach Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 06.12.2004 sei die Teilnahme an solchen Gottesdiensten möglich, wenn nicht kontrolliert werde, was ganz unterschiedlich sei. Im Zeitpunkt der Auskunft werde die "Assembly of God Church" in Teheran nicht kontrolliert, das könne sich aber immer mal ändern. Die Kirche liege in unmittelbarer Nähe der (früheren) amerikanischen Botschaft, in einem Viertel, in dem viele Ausländer arbeiten, so dass dort die Kontrollen tendenziell eher dichter seien als andernorts. Aufgrund ihres Standorts sei die Kirche auch Ansprechstelle der englischsprachigen Auslandsgemeinde Teherans und die dortige Gottesdienstsprache sei Englisch. Wer als Iraner dort auftauche, falle auf und riskiere, dass aufgrund der sich ständig ändernden tagespolitischen Realitäten die Teilnahme problematisch sein könne.

Nach der weiteren Auskunftslage stellt sich die Situation evangelikaler und freikirchlicher Gruppierungen im Iran in neuerer Zeit wie folgt dar: Nachdem sich nach der Ermordung von fünf Priestern zwischen 1990 und 1996 die Lage unter der Präsidentschaft Khatamis zunächst deutlich entspannt hatte, gibt es in den letzten Jahren wieder vermehrt Auskünfte über Verfolgung von Christen. Im Mai 2004 wurden ein Pastor und seine Familie anlässlich eines Treffens mit Gläubigen in seinem Haus festgenommen. Die Inhaftierten wurden nach zehn Tagen mit anderen, bereits im April 2004 festgenommenen Angehörigen der Glaubensgemeinschaft "Assembly of God" wieder entlassen. Der christliche Hauskreis wurde aufgelöst und der Pastor musste seine Priestertätigkeit einstellen. [...]

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (zuletzt mit Urteil vom 24.03.2006, 1 Bf 15/98.A, juris) hat die Erkenntnislage in der Weise interpretiert, dass die Teilnahme an öffentlichen oder offiziellen Gottesdiensten christlicher Kirchen zwar nicht erlaubt, aber zur Zeit dennoch möglich sei. Vieles spricht aber auch aufgrund neuerer Auskünfte dafür, dass eine Vielzahl von gläubigen Christen im Iran aus Furcht vor staatlichen Repressalien von vornherein, soweit es ihnen überhaupt möglich ist, zu christlichen Hausgemeinschaften Zuflucht nimmt (vgl. VG Meiningen, Urteil vom 10.01.2007, 5 K 20256/03.Me, juris). Auch hat das Deutsche Orient-Institut in seiner Auskunft vom 06.12.2004 klargestellt, dass sich die Kontrollpraxis jederzeit ändern könne und die christlichen Kirchen gehalten seien, Muslimen - und damit aus iranischer Sicht auch "Apostaten" - den Zutritt zu den Gottesdiensten zu verwehren.

Aus der aktuellen Auskunftslage ergibt sich hierzu, dass konvertierte Muslime in jüngster Zeit keine öffentlichen christlichen Gottesdienste besuchen können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, festgenommen und möglicherweise unter konstruierten Vorwürfen zu Haftstrafen verurteilt zu werden. Dies wird durch die Angaben im Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu Christen und Christinnen im Iran vom 18.10.2005 bestätigt. Danach werden die Mitglieder evangelikaler Gemeinden gezwungen, Mitgliedsausweise bei sich zu tragen. Zusammenkünfte sind nur sonntags erlaubt und teilweise werden die Anwesenden von Sicherheitskräften überprüft. Die Kirchenführer sollen vor jeder Aufnahme von Gläubigen das Informationsministerium und die islamische Führung benachrichtigen. Kirchenoffizielle müssen Erklärungen unterschreiben, dass ihre Kirchen weder Muslime bekehren noch diesen Zugang in die Gottesdienste gewähren. Konvertiten werden, sobald der Übertritt Behörden bekannt wird, zum Informationsministerium zitiert, wo sie scharf verwarnt werden. Durch diese Maßnahmen soll muslimischen Iranern der Zugang zu den evangelikalen Gruppierungen versperrt werden. Sollten Konvertiten jedoch weiter in der Öffentlichkeit auffallen, so durch Besuche von Gottesdiensten, Missionsaktivitäten oder Ähnliches, können sie mit Hilfe konstruierter Vorwürfe wie Spionage, Aktivitäten illegaler Gruppen oder anderen Gründen vor Gericht gestellt werden. [...]

(3) Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass sich die geschilderte Situation für Christen seit der Wahl Mahmoud Ahmadinejads im Juni 2005 und dem Einfluss des "radikal-konservativen Lagers" weiter verschlechtert hat und Verfolgungsmaßnahmen den Druck nochmals erhöht haben. Die Werte der Islamischen Revolution und der schiitischen Glaubensrichtung sind strikt einzuhalten. Die Reformpolitik Khatamis ist bereits nach einem Jahr der Regierung Ahmadinejad vollständig zum Erliegen gekommen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.09.2006). Die Innenpolitik ist nunmehr durch eine verstärkte Repression geprägt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008, S. 5, 12). Die damit verbundene Verschärfung der Situation auch für "Apostaten" und Christen im Iran kommt nicht zuletzt - mittelbar - darin zum Ausdruck, dass der Iran in den Jahren 2006, 2007 und 2008 an dritter Stelle auf dem "Weltverfolgungsindex" des christlichen Hilfswerkes "open doors", erstellt aufgrund der weltweiten Beobachtung von Repressionen gegen Christen, steht, während er noch in den Jahren 2004 und 2005 an fünfter Stelle von 50 Ländern geführt wurde (www.opendoors-de.org, Pressemitteilungen vom 20.03.2006 und 08.02.2007 und 11.02.2008; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.03.2006, S. 19 - ein entsprechender Hinweis befindet sich im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.09.2006 allerdings nicht mehr; vgl. auch VG Meiningen, Urteil vom 10.01.2007, 5 K 20256/03.Me, juris). Die Organisation "open doors" führt aus, nach der Wahl Ahmadinejads zum Präsidenten im Juni 2005 habe es eine Welle der Christenverfolgung gegeben. Besonders Personen mit muslimischem Hintergrund würden schikaniert, geschlagen oder getötet. Nach den Erläuterungen zum "Weltverfolgungsindex" 2007 seien mindestens acht Zwischenfälle bekannt geworden, in denen zum Christentum konvertierte Muslime verhaftet wurden. In den meisten Fällen seien sie gezwungen gewesen, hohe Kautionen zu hinterlegen, und seien darüber informiert worden, dass ihr Fall wegen einer möglichen Strafverfolgung nicht abgeschlossen sei. Auch dies lässt einen Rückschluss darauf zu, dass eine öffentliche Bekundung des christlichen Glaubens für "Apostaten" im Iran jedenfalls seit der Amtsübernahme von Präsident Ahmadinedschad zunehmend zu staatlichen Eingriffen führt (so auch VG Meiningen, Urteil vom 10.01.2007, a.a.O.).

Der erwähnte Gesetzentwurf, der die Aufnahme des Straftatbestandes der Apostasie in das kodifizierte iranische Strafgesetzbuch zum Gegenstand hat, macht deutlich, dass die frei-evangelikale Szene und auch die Hauskirchen-Szene im Iran zu einem "Ärgernis" geworden ist {vgl. Gutachten von Brocks vom 05.06.2008 an den VGH Kassel, zitiert nach VG Stuttgart, Urteil vom 30.06.2008, A 11 K 1623/08). Zwar ist derzeit noch nicht absehbar, ob, wann und ggf. mit welchen Änderungen die geplante Kodifizierung in Kraft tritt, und zudem ist gänzlich offen, wie die Anwendung der Norm in der iranischen Strafrechts- und Vollstreckungspraxis aussehen würde. Gleichwohl hat die bloße Tatsache, dass die Apostasie im kodifizierten iranischen Strafrecht unter Strafe gestellt werden soll, eine gewisse Indizwirkung für eine deutliche Verschärfung der Situation für zum Christentum konvertierte Muslime (vgl. OVG Bautzen, Urteil vom 03.04.2008, A 2 B 36/07, juris).

(4) Aufgrund der Willkür des iranischen Regimes ist nach Auffassung des Gerichts bei einer offenen Darstellung des Glaubensübertritts sowie im Falle einer nicht verheimlichten Religionsausübung jedenfalls in einer beträchtlichen Anzahl der Fälle mit der Einleitung von asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass im Iran Folter bei Verhören, in der Untersuchungs- und in regulärer Haft vorkommt. Es gibt im Iran auch weiterhin willkürliche Festnahmen sowie lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008, S.32). Aufgrund der bereits genannten Verschärfungen (Mitgliedsausweise bei evangelikalen Kirchen sowie teilweise Überprüfung Anwesender durch Sicherheitskräfte bei Gottesdiensten, Einschaltung des Informationsministeriums) sind weitere umfangreiche Kontrollen von evangelisch-freikirchlichen Gottesdiensten und staatliche Repressionen gegen Teilnehmer dieser Gottesdienste gerade wegen der Ausrichtung des iranischen Regimes an den Werten der Islamischen Revolution und islamischen Prinzipien (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.09.2006, S. 5), nach denen der Abfall vom Islam ("Apostasie") mit dem Tod zu bestrafen ist, unter der Regierung Ahmadinejad wieder zu erwarten. Da die missionierenden protestantischen Kirchen in jüngster Zeit vermehrt Ziel staatlicher Repressalien waren, besteht neben der verstärkten Gefahr von Kontrollen auch die Gefahr von Schließungen einzelner Freikirchen. Soweit angesichts der Entwicklungen nicht auszuschließen ist, dass die Freikirchen ihre Arbeit im Untergrund fortführen, kann die Klägerin hierauf aufgrund des Schutzes, den die Richtlinie auch für die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit verleiht, nicht verwiesen werden. Die christliche Religionszugehörigkeit zu verschweigen, um Festnahmen zu entgehen, ist nicht zumutbar (so auch VG Bayreuth, Urteil vom 27.04.2006, B 3 K 06.30073, juris).

(5) Es kann auch nicht eingewandt werden, dass die angeführten Referenzfälle lediglich Einzelfälle - soweit es sich in jüngster Zeit überhaupt noch nur um solche handelt - sind. Das Gericht ist der Überzeugung, dass zum einen nur aus dem Grund "Einzelfälle" angeführt werden, weil andere Fälle lediglich nicht bekannt werden. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die vorliegenden Auskünfte und Berichte die Verfolgungssituation der genannten protestantischen Gemeinden im Iran naturgemäß nur unvollständig wiedergeben. Einer Auskunft von amnesty international vom 21.07.2004 zufolge stehen die christlichen Gemeinden unter starkem Druck und geben keine genaue Auskunft über ihre Situation, um jede öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden. Auch die "Apostaten" selbst halten ihre Konversion geheim, sprechen nicht darüber und versuchen, die Dinge nach außen nicht sichtbar werden zu lassen (Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 06.12.2004). Zum anderen darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die absolute Anzahl der freikirchlichen Bewegungen, die allein zumindest in der Vergangenheit "Apostaten" Zutritt gewährt haben, so gering ist (vgl. Auskünfte des Deutschen Orient-Instituts vom 01.06.2001 und 06.12.2004), dass bereits relativ wenige Einzelfälle ein bedeutendes Gewicht erlangen. In diesem Zusammenhang erscheinen u.a. die - wenn auch teilweise kurzfristigen - Verhaftungen von 86 Mitgliedern der „Assembly of God"-Kirche bereits als Anhaltspunkt für eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit.

(6) Angesichts der dargelegten Verfolgungssituation der evangelikalen und freikirchlichen Gruppierungen erscheint die Teilnahme an Gottesdiensten für zum Christentum konvertierte Muslime nicht möglich, ohne dass sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgungsmaßnahmen erleiden müssten. Das Gericht sieht sich in seiner Auffassung bestätigt durch eine Vielzahl neuerer Gerichtsentscheidungen (z.B. OVG Bautzen, Urteil vom 03.04.2008, 2 A B 36/06, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 21.01.2008, A 11 K 552/07, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 20.02.2007, 22 K 3453/05.A, juris; VG Ansbach, Urteil vom 23.01.2007, AN 3 K 06.30870, juris; VG Meiningen, Urteil vom 10.01.2007, 5 K 20256/03.Me, juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2006, A 6 K 10463/04, AuAS 2007, 57; VG Bayreuth, Urteil vom 27.04.2006, B 3 K 06.30073, juris; vgl. VGH München, Urteil vom 23.10.2007, 14 B 06.30315, juris; offen lassend OVG Hamburg, Beschluss vom 04.05.2007, 1 Bf 19/07.AZ, juris).

(7) Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass sich eine besondere Gefährdung der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2) auch daraus ergibt, dass sie sich verpflichtet sehen, ihren Glauben auch aktiv zu verbreiten, weil die Missionierung im Iran zu einer beachtlichen Gefährdung führt. Das Gericht geht davon aus, dass beide ihre Missionstätigkeit, also das offene bzw. öffentliche Ansprechen von muslimischen Landsleuten und das Berichten von den christlichen Lehren, damit diese von den angesprochenen Personen übernommen werden, auch im Iran fortsetzen würden. Denn beide haben bereits in Deutschland aktiv missioniert und sehen die Befolgung des Missionsbefehls als wichtigen Bestandteil der christlichen Lehre an.

Bereits in der früheren Rechtsprechung war anerkannt, dass Christen und Apostaten im Iran nur solange keiner politischen Verfolgung ausgesetzt sind, wie sie den absoluten Machtanspruch der Muslime respektieren und keine Missionierung unter ihnen betreiben, also solange sie nicht auf die Verbreitung der christlichen Religion gerichtet tätig werden. Apostaten droht danach wegen ihres Glaubenswechsels politische Verfolgung bei "über den bloßen Besuch öffentlicher Gottesdienste hinausgehenden, öffentlich wirksamen religiösen Betätigung oder bei missionierender Tätigkeit" (BayVGH, Beschluss vom 02.05.2005, 14 B 02.30703, juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.01.2004, a.a.O.; Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 26.02.1999, 01.06.2001 und 28.06.2001). Das Verbot der Missionierung von Christen im Iran stellt - anders als im Drittland - eine absolute Schranke dar, bei deren Überschreiten es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu staatlichen Repressionen kommen wird (vgl. VG Meiningen, Urteil vom 10.01.2007, 5 K 20256/03.Me, juris). Dies hängt damit zusammen, dass der politische, religiös fundierte Machtanspruch der Mullahs absolut ist und deshalb ein Ausbreiten der christlichen Religion in das „muslimische Staatsvolk" hinein diesen Führungsanspruch in Frage stellen kann. Das islamische Regime differenziert nämlich nicht zwischen Politik und Religion und überträgt dies auf andere Religionsgemeinschaften, denen unterstellt wird, ebenfalls Politik im religiösen Gewand zu betreiben (vgl. Auskünfte des Deutschen Orient-Instituts vom 11.12.2003 und 06.12.2004). Missionierungstätigkeit wird damit zugleich als Angriff auf den Staat angesehen - daher rührt auch das Verbot jeglicher Missionierungstätigkeit -, weshalb besonders missionarische Mitglieder christlicher Gemeinden der Gefahr staatlicher Repressionen ausgesetzt sind (Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 26.02.1999).

Auch nach den jüngsten Lageberichten des Auswärtigen Amtes können Mitglieder der religiösen Minderheiten, denen zum Christentum konvertierte Muslime angehören und die selbst offene und aktive Missionierungsarbeit unter Muslimen im Iran betreiben, der Gefahr staatlicher Repressionen ausgesetzt sein. Mögliche Gefahr besteht für alle missionierenden Christen, gleichgültig, ob es sich um konvertierte oder nicht-konvertierte handelt. Staatliche Maßnahmen hätten sich zwar bisher ganz überwiegend gezielt gegen die Kirchenführer und in der Öffentlichkeit besonders Aktive gerichtet, nicht aber gegen einfache Gemeindemitglieder (siehe Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18.03.2008, S. 20; vgl. insoweit die oben angeführten Referenzfälle). Auch nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.12.2004, das sich auf die Aussagen kirchlicher Würdenträger bezieht, haben aber (nur) solche Apostaten, die keine Missionierung betreiben, keine staatlichen Repressalien zu befürchten.

(8) Das Gericht geht schließlich davon aus, dass den iranischen Behörden die Konversion und die Aktivitäten insbesondere des Klägers zu 2), aber auch der Klägerin zu 1), durch die Teilnahme an zahlreichen Gottesdiensten und Bibelkursen in und die öffentlichkeitswirksamen Missionierungsaktivitäten bekannt geworden sind, da der iranische Geheimdienst die Auslandsaktivitäten iranischer Staatsbürger sorgfältig und umfangreich überwacht (vgl. die jüngsten Lageberichte des Auswärtigen Amtes über den Iran).